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Minderheiten in Indien
"Der Hindu-Mehrheit unterordnen"

Aus Sicht der Regierungspartei BJP ist Indien in erster Linie das Land der Hindus: Hetze gegen Minderheiten gehört für die Partei von Premier Modi zum guten Ton. In Uttar Pradesh schloss sie nun hunderte muslimische Schlachtereien. Die Opposition ist alarmiert, doch Modi verfügt weiter über starken Rückhalt.

Von Jürgen Webermann | 27.05.2017
    Mohammad Sharif (re.), dessen Schlachterei von den Hindunationalisten geschlossen wurde.
    Mohammad Sharif (re.), dessen Schlachterei von den Hindunationalisten geschlossen wurde. (Quelle: Jürgen Webermann)
    Mohammad Usman ist ein gemütlicher Mann, Anfang 50, weißes Leinenhemd, ordentlicher Bauchansatz. Er ist der Besitzer von Tunday Kebab, der wohl bekanntesten Braterei in der Stadt Lucknow im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Bis vor Kurzem kamen viele Gäste, weil sie sein Beef, also Rindfleisch so gerne aßen. Aber jetzt gibt es kein Beef mehr. Dafür aber Vegetarisches.
    "Unser Geschäft ist eingebrochen, fast um die Hälfte. Sicher: Ein Grund ist die derzeitige Sommer-Hitze. Aber der Hauptgrund ist die Tatsache, dass es kein Rind- oder Büffelfleisch mehr gibt."
    Hunderte muslimische Schlachtereien geschlossen
    Seit März ist in Uttar Pradesh die BJP des indischen Premierministers Modi an der Macht. Die Partei knüpfte sich dort als Erstes die muslimischen Schlachtereien vor und schloss Hunderte, angeblich wegen fehlender Lizenzen. Aber klar ist auch: Die BJP will, dass sich Minderheiten in Indien der Hindu-Mehrheit unterordnen. Und das bedeutet: Rindfleisch und das Schlachten der für Hindus heiligen Kuh sind tabu.
    BJP-Politiker fordern sogar die Todesstrafe für diejenigen, die die heiligen Tiere töten. Hetze gegen Minderheiten oder Andersdenkende gehört ohnehin zum guten Ton der Partei von Premier Modi. Der neue BJP-Regierungschef in Uttar Pradesh sagte einst, sollten Muslime einen Hindu umbringen, müssten dafür viele Muslime sterben.
    Modis Wirtschaftsreformen
    Sanjay Malhotra blickt zufrieden durch seine Werkshallen. Malhotra stellt Autoteile wie etwa Armaturen her. Die meisten Waren exportiert er. Aber seit Modi an der Macht ist, hofft Malhotra, endlich auch den riesigen indischen Markt erobern zu können:
    "Es wird alles besser hier. Bisher war der Markt sehr klein. Im vergangenen Jahr sind wir aber auf dem indischen Markt um 50 Prozent gewachsen, und für dieses Jahr peilen wir weitere 50 Prozent an. Der Lebensstandard in Indien wächst."
    Die indische Wirtschaft wächst derzeit um etwa sieben Prozent, das war auch schon vor Modis Amtsantritt Ende Mai 2014 so. Aber Modi verbreitet Aufbruchsstimmung. Er wirbt im Ausland um Investoren. Er will Indien digitalisieren. Sein Sprachrohr heißt Twitter, dort folgen ihm 30 Millionen Nutzer. Modi drängt auf Wirtschafts-Reformen, er hat erstmals eine einheitliche Mehrwertsteuer für Indien durchgesetzt.
    "Die Reform hat auch deshalb funktioniert, weil sie alle gleich gemacht hat"
    Und er hat ein riesiges Geldexperiment gewagt. Im November erklärte Modi über Nacht 80 Prozent des Bargelds für ungültig. Wochenlang stand das Land, in dem fast alle Geschäfte in bar abgewickelt werden, still, weil niemand auf diesen Schritt vorbereitet war. Sanjay Malhotra findet die Entscheidung trotzdem gut. Denn Modi wollte Schwarzgeldbesitzer treffen. Im notorisch korrupten Indien kommt so etwas gut an:
    "Ich glaube, die Reform hat auch deshalb funktioniert, weil sie alle gleich gemacht hat. Tagelöhner hatten auf einmal das gleiche Problem wie reiche Landbesitzer. Das hat den Leuten gefallen, nach dem Motto: Das geschieht denen mal recht."
    Der Unternehmer Sanjay Malhotra unterstützt Modis Wirtschaftspolitik. Für ihn gibt es aber eine klare, innenpolitische rote Linie, die nicht überschritten werden darf.
    Der Unternehmer Sanjay Malhotra unterstützt Modis Wirtschaftspolitik. Für ihn gibt es aber eine klare, innenpolitische rote Linie, die nicht überschritten werden darf. (Quelle: Jürgen Webermann)
    "Wir brauchen stärkeres Wachstum, mehr Jobs als bisher und sozialen Frieden"
    Und so ließen die meisten Inder Modi gewähren, und nicht nur das. Er triumphierte bei den Regionalwahlen in Uttar Pradesh. In dem Bundesstaat leben 200 Millionen Menschen. Einige vergleichen Modi bereits mit der legendären Premierministerin Indira Gandhi oder dem Staatsgründer Nehru. Deren Kongresspartei, einst die dominante Kraft in Indien, steckt in einer tiefen Krise. Rajeev Gowda ist Parlamentsabgeordneter der Kongresspartei.
    "Modi kam einfach zu einer Zeit, in der das Land einen Populisten, einen starken Mann wollte. Ich glaube aber, die Realität wird die Regierung noch einholen. Wir brauchen ein stärkeres Wachstum, mehr Jobs als bisher und sozialen Frieden. Minderheiten wie Muslime sind unter Druck, ihnen soll vorgeschrieben werden, was sie essen dürfen und so weiter. Das ist eine Talibanisierung Indiens. Das macht uns wütend."
    "Es geht uns hier um wirtschaftliche Entwicklung, und der Rest ist unwichtig"
    Der Kebab-König von Lucknow, Mohammad Usman, sagt, er habe keine Angst vor der BJP, trotz der Fleischverbote. Am Ende regiere Gott die Welt, und nicht Modi. Unternehmer Sanjay Malhotra zieht dagegen eine klare rote Linie. Zwar ist Modi für ihn der richtige Mann zur richtigen Zeit. Aber:
    "Die Regierung hat den Auftrag, unser Land und seine Leute zu entwickeln. Wenn sie das vernachlässigt, wenn sie sich zu sehr radikalen Ideen, sei es von rechts oder links zuwendet, dann wird sie ihre Macht verlieren. Es geht uns hier um wirtschaftliche Entwicklung, und der Rest ist unwichtig."