Reeta Toivanen:
" Als wir angefangen haben, habe ich dann mit meiner studentischen Assistentin Simone Holzwart gedacht, okay, wir telefonieren jetzt mal und gucken in den Kultusministerien und Bildungsministerien der Länder, wer da verantwortlich ist. Und diese Gespräche waren hochgradig amüsant, bis man irgendwann verzweifelt war. Man wurde immer weiter geleitet. Menschenrecht, hm, was meinen sie? Politische Bildung? Ja, vielleicht das Landeszentrale für politische Bildung? Es war einfach absolut sehr schwierig, jemanden zu finden, die gesagt hätte: ich bin die Person, die hier in diesem Land verantwortlich bin für die Koordination der Menschenrechtsarbeit. "
Die Rede ist von Deutschland. Die Ethnologin Dr. Reetta Toivanen von der Humboldt-Universität zu Berlin ist eine von drei Wissenschaftlerinnen, die in sechs europäischen Ländern nach der Vermittlung der Menschenrechte während der UN-Dekade für Menschenrechtsbildung 1994 bis 2004 gefragt haben. Dabei stießen sie bei den politisch Verantwortlichen in Spanien, Armenien, Estland, Finnland, der Slowakei und gerade auch in Deutschland zum Teil auf erstaunliche Orientierungslosigkeit. Die Juristin Dr. Claudia Mahler vom Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam fasst gängige Reaktionen von Lehrkräften zusammen:
" Unsere Schüler müssen so etwas nicht wissen. Wir haben ja die Verfassung, das Grundgesetz. Menschenrechte sind wunderbar für diejenigen, die dann in der Dritten Welt irgendwo ihren Auslandseinsatz haben, die müssen darüber Bescheid wissen. "
"Teaching human rights" - Menschenrechtsbildung wird als erfolgreiches Exportprodukt der europäischen Staaten wahrgenommen, aber weitaus weniger als Aufgabe im eigenen Land.
" Trotzdem muss man natürlich sagen: die Staaten haben sich ja dazu verpflichtet, auch die europäischen Staaten. Alles, was sozusagen von den vereinten Nationen kommt, dort gibt es sehr wichtige Menschenrechtskonventionen, die haben sie ratifiziert. Das heißt, sie müssen die auch umsetzten in nationales Recht, und dieses nationale Recht muss ja natürlich auch für die Bürger des Landes gelten. Das heißt, wir sind sehr wohl daran interessiert in Deutschland, sage ich jetzt, oder in Finnland, dass die Bürger auch ihre Menschenrechte kennen. Denn nur wer seine Rechte kennt, kann sie sozusagen einfordern und kann damit auch arbeiten. "
Die Wissenschaftlerinnen haben die Probe aufs Exempel gemacht, und sich angeschaut, ob sich die angeblich so selbstverständlich verankerte Kenntnis der Menschenrechte in europäischen Ländern auf das Verhältnis der Mehrheitsbevölkerungen zu ihren eigenen nationalen Minderheiten - das heißt den verfassungsrechtlich anerkannten und geschützten Minderheiten - positiv auswirkt, Verständnis für deren kulturelle Bedürfnisse weckt und damit ethnischer Diskriminierung vorbeugt.
" Denken wir gerade an die Sorben in Sachsen, die sind rechtlich ganz gut gestellt und hatten auch immer einen sehr schönen Status, dann wäre es doch interessant zu sehen, ob denn die Bevölkerung von Sachsen etwas über ihre Minderheit weiß, die sozusagen in der Nachbarschaft lebt. Ich muss Ihnen sagen, es steht in den Schulbüchern nichts drin, und die Menschen wissen auch kaum etwas, dass sie Nachbarn haben, die zweisprachig sind, die sorbisch können - "
Toivanen:
" Da kommt immer die Frage "Serben, oder was meinen sie eigentlich?" Es gibt sehr wenig Verständnis dafür, warum jemand, der ja sowieso perfekt deutsch kann, warum muss er dann noch irgendwelche Rechte haben, sorbisch zu sprechen oder sorbischen Unterricht zu bekommen oder irgendwelche kulturellen Rechte? Solange es sozusagen nur solche Festivals sind, irgendwelche wie das Osterreiten, das ist schön! Das ist toll! Das wollen wir. Aber wir wollen nicht, dass sie noch was irgendwie in der Bildungswesen zum Beispiel irgendwelche Kosten verursachen, das ist ja die Perspektive gerade jetzt, wenn die Kassen sind knapp, und man will sozusagen die nationalen Minderheiten sich nicht leisten. "
Das Resultat der Forschungsarbeit ernüchtert: Menschenrechtsbildung ist trotz vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den vereinten Nationen oder dem Europarat in keinem der sechs europäischen Länder zu einer vorrangigen innenpolitischen Aufgabe geworden. Die Mehrheitsbevölkerungen sind sich über die garantierten Rechte ihrer Mitbürger nicht im Klaren und reagieren den Ansprüchen von Minderheiten gegenüber mit Unverständnis und Ablehnung. Also müssen nationale Minderheiten ihr Menschenrecht etwa auf Pflege der eigenen Kultur mühsam einklagen, was für schwächere Gruppen wie zum Beispiel die Sinti und Roma - eine in vielen europäischen Ländern anerkannte Minderheit - nicht einfach ist, so die Politologin Dr. Anja Mihr von der Humboldt-Universität zu Berlin.
" Den Roma, den Chitanos in Spanien, sind sehr viele Rechte garantiert, was Bildung angeht, was Arbeit, was Antidiskriminierung angeht, was die Förderung ihrer Kultur und ihrer Sprache angeht, aber sie werden keine Schule in Spanien finden, in denen Calo, die Sprache der Chitanos in Spanien, tatsächlich öffentlich gefördert wird. .. Sie werden keine Flächen deckenden Antidiskriminierungsprogramme finden. Das ist zum größten Teil von NGOs betrieben, also nicht vom Staat, sondern von Nicht-Regierungsorganisationen. "
Warum aber tun sich die offiziellen Stellen, die europäischen Regierungen mit Menschenrechtsbildung im eigenen Land so schwer? Das diskutierten auf dem Symposium die zahlreich anwesenden internationalen Experten von Menschenrechtsorganisationen immer wieder. Ein Grund sind konkurrierende Bildungskonzepte, in denen die Vermittlung der Menschenrechte vermeintlich aufgeht.
" Flächendeckend in sehr weiten Teilen in Europa ist Menschenrechtsbildung eigentlich eine politische Bildung heutzutage. Es ist Bildung des Staatsbürgers, des guten Bürgers. "
Die zuständige Abteilung des Europarates heißt dementsprechend "Division of Citizenship and Human Rights Education". Zwischen Bürgerschaft- und Menschenrechtserziehung wird dabei kein genauer Unterschied gemacht, obwohl durchaus klar ist, dass Menschenrechtsbildung grundlegend für alle weiteren Bildungskonzepte ist. Der universale Anspruch auf Toleranz sieht keine Unterscheidungen etwa zwischen Bürgern, Inländern, Ausländern oder Touristen vor. Aber diese Einsicht ist nicht immer leicht zu vermitteln. Karin Völkner vom Europarat:
" Ein ganz genauer Unterschied wird bei uns im Europarat schon allein deswegen nicht gemacht, weil wir gar nicht so ganz genau, ganz in die Tiefe von Definitionen gehen wollen, um das nicht völlig unakzeptabel für verschiedene Mitgliedsstaaten zu machen, weil die in verschiedenen Kontexten, verschiedenen historischen Zusammenhängen, politischen Kontexten agieren, und deswegen auch verschiedene Definitionen haben. Deswegen müssen wir da relativ vage bleiben. "
Aber damit bleiben eben auch am Ende die Kenntnisse der Menschenrechte vage. Dabei ist die Menschenrechtsbildung an sich ein sehr gutes Mittel, um Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen, betonen die Wissenschaftlerinnen. Sie müsste nur konsequent koordiniert und pädagogisch sehr viel besser betrieben werden. Claudia Mahler:
" Also es müssen einfach langfristige Programme und Initiativen sein, die weitergeführt werden, und wo natürlich auch die Betroffenen miteinbezogen werden müssen! Für eine Roma-Bevölkerung in Estland, da habe ich gerade ein Beispiel im Kopf, dort wurde ein Theaterprojekt gestartet, um Roma mit ihrer Kultur den Esten näher zu bringen, und Roma wurden von Beginn an nicht einbezogen! und die Verantwortlichen konnten überhaupt nicht verstehen, warum Roma-Jugendliche nicht dafür zu interessieren waren, und meinten dann abschließend nach diesem Gespräch: ja, ja die kulturellen Unterschiede sind einfach zu groß. "
" Als wir angefangen haben, habe ich dann mit meiner studentischen Assistentin Simone Holzwart gedacht, okay, wir telefonieren jetzt mal und gucken in den Kultusministerien und Bildungsministerien der Länder, wer da verantwortlich ist. Und diese Gespräche waren hochgradig amüsant, bis man irgendwann verzweifelt war. Man wurde immer weiter geleitet. Menschenrecht, hm, was meinen sie? Politische Bildung? Ja, vielleicht das Landeszentrale für politische Bildung? Es war einfach absolut sehr schwierig, jemanden zu finden, die gesagt hätte: ich bin die Person, die hier in diesem Land verantwortlich bin für die Koordination der Menschenrechtsarbeit. "
Die Rede ist von Deutschland. Die Ethnologin Dr. Reetta Toivanen von der Humboldt-Universität zu Berlin ist eine von drei Wissenschaftlerinnen, die in sechs europäischen Ländern nach der Vermittlung der Menschenrechte während der UN-Dekade für Menschenrechtsbildung 1994 bis 2004 gefragt haben. Dabei stießen sie bei den politisch Verantwortlichen in Spanien, Armenien, Estland, Finnland, der Slowakei und gerade auch in Deutschland zum Teil auf erstaunliche Orientierungslosigkeit. Die Juristin Dr. Claudia Mahler vom Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam fasst gängige Reaktionen von Lehrkräften zusammen:
" Unsere Schüler müssen so etwas nicht wissen. Wir haben ja die Verfassung, das Grundgesetz. Menschenrechte sind wunderbar für diejenigen, die dann in der Dritten Welt irgendwo ihren Auslandseinsatz haben, die müssen darüber Bescheid wissen. "
"Teaching human rights" - Menschenrechtsbildung wird als erfolgreiches Exportprodukt der europäischen Staaten wahrgenommen, aber weitaus weniger als Aufgabe im eigenen Land.
" Trotzdem muss man natürlich sagen: die Staaten haben sich ja dazu verpflichtet, auch die europäischen Staaten. Alles, was sozusagen von den vereinten Nationen kommt, dort gibt es sehr wichtige Menschenrechtskonventionen, die haben sie ratifiziert. Das heißt, sie müssen die auch umsetzten in nationales Recht, und dieses nationale Recht muss ja natürlich auch für die Bürger des Landes gelten. Das heißt, wir sind sehr wohl daran interessiert in Deutschland, sage ich jetzt, oder in Finnland, dass die Bürger auch ihre Menschenrechte kennen. Denn nur wer seine Rechte kennt, kann sie sozusagen einfordern und kann damit auch arbeiten. "
Die Wissenschaftlerinnen haben die Probe aufs Exempel gemacht, und sich angeschaut, ob sich die angeblich so selbstverständlich verankerte Kenntnis der Menschenrechte in europäischen Ländern auf das Verhältnis der Mehrheitsbevölkerungen zu ihren eigenen nationalen Minderheiten - das heißt den verfassungsrechtlich anerkannten und geschützten Minderheiten - positiv auswirkt, Verständnis für deren kulturelle Bedürfnisse weckt und damit ethnischer Diskriminierung vorbeugt.
" Denken wir gerade an die Sorben in Sachsen, die sind rechtlich ganz gut gestellt und hatten auch immer einen sehr schönen Status, dann wäre es doch interessant zu sehen, ob denn die Bevölkerung von Sachsen etwas über ihre Minderheit weiß, die sozusagen in der Nachbarschaft lebt. Ich muss Ihnen sagen, es steht in den Schulbüchern nichts drin, und die Menschen wissen auch kaum etwas, dass sie Nachbarn haben, die zweisprachig sind, die sorbisch können - "
Toivanen:
" Da kommt immer die Frage "Serben, oder was meinen sie eigentlich?" Es gibt sehr wenig Verständnis dafür, warum jemand, der ja sowieso perfekt deutsch kann, warum muss er dann noch irgendwelche Rechte haben, sorbisch zu sprechen oder sorbischen Unterricht zu bekommen oder irgendwelche kulturellen Rechte? Solange es sozusagen nur solche Festivals sind, irgendwelche wie das Osterreiten, das ist schön! Das ist toll! Das wollen wir. Aber wir wollen nicht, dass sie noch was irgendwie in der Bildungswesen zum Beispiel irgendwelche Kosten verursachen, das ist ja die Perspektive gerade jetzt, wenn die Kassen sind knapp, und man will sozusagen die nationalen Minderheiten sich nicht leisten. "
Das Resultat der Forschungsarbeit ernüchtert: Menschenrechtsbildung ist trotz vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den vereinten Nationen oder dem Europarat in keinem der sechs europäischen Länder zu einer vorrangigen innenpolitischen Aufgabe geworden. Die Mehrheitsbevölkerungen sind sich über die garantierten Rechte ihrer Mitbürger nicht im Klaren und reagieren den Ansprüchen von Minderheiten gegenüber mit Unverständnis und Ablehnung. Also müssen nationale Minderheiten ihr Menschenrecht etwa auf Pflege der eigenen Kultur mühsam einklagen, was für schwächere Gruppen wie zum Beispiel die Sinti und Roma - eine in vielen europäischen Ländern anerkannte Minderheit - nicht einfach ist, so die Politologin Dr. Anja Mihr von der Humboldt-Universität zu Berlin.
" Den Roma, den Chitanos in Spanien, sind sehr viele Rechte garantiert, was Bildung angeht, was Arbeit, was Antidiskriminierung angeht, was die Förderung ihrer Kultur und ihrer Sprache angeht, aber sie werden keine Schule in Spanien finden, in denen Calo, die Sprache der Chitanos in Spanien, tatsächlich öffentlich gefördert wird. .. Sie werden keine Flächen deckenden Antidiskriminierungsprogramme finden. Das ist zum größten Teil von NGOs betrieben, also nicht vom Staat, sondern von Nicht-Regierungsorganisationen. "
Warum aber tun sich die offiziellen Stellen, die europäischen Regierungen mit Menschenrechtsbildung im eigenen Land so schwer? Das diskutierten auf dem Symposium die zahlreich anwesenden internationalen Experten von Menschenrechtsorganisationen immer wieder. Ein Grund sind konkurrierende Bildungskonzepte, in denen die Vermittlung der Menschenrechte vermeintlich aufgeht.
" Flächendeckend in sehr weiten Teilen in Europa ist Menschenrechtsbildung eigentlich eine politische Bildung heutzutage. Es ist Bildung des Staatsbürgers, des guten Bürgers. "
Die zuständige Abteilung des Europarates heißt dementsprechend "Division of Citizenship and Human Rights Education". Zwischen Bürgerschaft- und Menschenrechtserziehung wird dabei kein genauer Unterschied gemacht, obwohl durchaus klar ist, dass Menschenrechtsbildung grundlegend für alle weiteren Bildungskonzepte ist. Der universale Anspruch auf Toleranz sieht keine Unterscheidungen etwa zwischen Bürgern, Inländern, Ausländern oder Touristen vor. Aber diese Einsicht ist nicht immer leicht zu vermitteln. Karin Völkner vom Europarat:
" Ein ganz genauer Unterschied wird bei uns im Europarat schon allein deswegen nicht gemacht, weil wir gar nicht so ganz genau, ganz in die Tiefe von Definitionen gehen wollen, um das nicht völlig unakzeptabel für verschiedene Mitgliedsstaaten zu machen, weil die in verschiedenen Kontexten, verschiedenen historischen Zusammenhängen, politischen Kontexten agieren, und deswegen auch verschiedene Definitionen haben. Deswegen müssen wir da relativ vage bleiben. "
Aber damit bleiben eben auch am Ende die Kenntnisse der Menschenrechte vage. Dabei ist die Menschenrechtsbildung an sich ein sehr gutes Mittel, um Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen, betonen die Wissenschaftlerinnen. Sie müsste nur konsequent koordiniert und pädagogisch sehr viel besser betrieben werden. Claudia Mahler:
" Also es müssen einfach langfristige Programme und Initiativen sein, die weitergeführt werden, und wo natürlich auch die Betroffenen miteinbezogen werden müssen! Für eine Roma-Bevölkerung in Estland, da habe ich gerade ein Beispiel im Kopf, dort wurde ein Theaterprojekt gestartet, um Roma mit ihrer Kultur den Esten näher zu bringen, und Roma wurden von Beginn an nicht einbezogen! und die Verantwortlichen konnten überhaupt nicht verstehen, warum Roma-Jugendliche nicht dafür zu interessieren waren, und meinten dann abschließend nach diesem Gespräch: ja, ja die kulturellen Unterschiede sind einfach zu groß. "