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Minderjährigen-Ehe
"Auf Einzelfälle schauen"

Sollen im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen in Deutschland grundsätzlich nicht anerkannt werden? Über ein neues Gesetz wird gerade gestritten. Die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi ist gegen eine Zwangs-Annullierung. "Wir können nicht mit dem Zeigefinger darauf hinweisen, dass alles falsch ist, was da läuft", sagte sie im Deutschlandfunk.

Hamideh Mohagheghi im Gespräch mit Christiane Florin | 08.11.2016
    Eine junge Schauspielerin spielt bei einer Veranstaltung von Amnesty International in Rom die kleine Giorgia (10 Jahre), die dazu gezwungen wurde, Paolo (47) zu heiraten.
    Eine junge Schauspielerin spielt bei einer Veranstaltung von Amnesty International in Rom die kleine Giorgia (10 Jahre), die dazu gezwungen wurde, Paolo (47) zu heiraten. (AFP / Gabriel Bouys)
    Christiane Florin: Heiraten ist ein Menschenrecht. In Artikel 16 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: "Heiratsfähige Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen". Wer aber als "heiratsfähig" gilt, ist lässt sich nicht allgemein regeln. Es ist abhängig von Tradition, Kultur und Religion. Das katholische Kirchenrecht zum Beispiel sieht als Mindestalter der Braut 14 vor, in einem Land wie dem Jemen sind Hochzeiten schon vor der Pubertät möglich. Das bürgerliche Gesetzbuch der Bundesrepublik legt ein Mindestalter der Beteiligten von 18 fest, erlaubt allerdings Ausnahmen.
    In Deutschland leben laut Ausländerzentralregister 1475 verheiratete Jugendliche, die meisten davon sind Mädchen. 361 sind jünger als 14 Jahre. Bundesjustizminister Heiko Maas will noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zum Verbot von Minderjährigen-Ehen in Deutschland vorlegen. Seit bekannt wurde, dass in dem Entwurf Ausnahmen für schon bestehende im Ausland geschlossene Ehen vorgesehen sein könnten, schlagen die Emotionen hoch. Der Minister missachte die Rechte von Mädchen, er lasse zu, dass Lustgreise sich an ihnen vergreifen, zetern die einen. Es sei notwendig, zu differenzieren und Einzelfälle genau zu betrachten, mahnen andere.
    Ich bin nun verbunden mit Hamideh Mohagheghi, sie ist islamische Theologin an der Universität Paderborn. Geboren wurde sie im Iran, dort hat sie Jura studiert. Seit 1977 lebt sie in Deutschland, und, eine Erwähnung wert, mit 45 Jahren hat sie ihr Theologiestudium erst begonnen. Guten Morgen, Frau Mohagheghi.
    Hamideh Mohagheghi: Guten Morgen, Frau Florin.
    Grundlegendes zur islamischen Ehe
    Florin: Was ist eine islamische Ehe?
    Mohagheghi: Eine islamische Ehe ist ein zivilrechtlicher Vertrag. Das heißt, dass beide Partner eine freiwillige Einwilligung dazu geben müssen, damit dieser Vertrag auch rechtsgültig wird.
    Florin: Gibt es Altersgrenzen?
    Mohagheghi: Das steht in den Quellen nicht so eindeutig. Man geht davon aus, dass es mit der Pubertät möglich ist. Aber es kann auch keine feste Altersbegrenzung in den Quellen zu finden sein, weil sich die Gesellschaften und Zeiten verändern und sich auch das Verständnis von Volljährigkeit für die Ehe verändert.
    Florin: Wenn Sie die Grenze zu ziehen hätten, wo läge die dann?
    Mohagheghi: Momentan würde ich sagen: Ab 16 Jahren könnte man den jungen Menschen zugestehen, dass sie wissen, was sie tun und ihnen die Möglichkeit geben. Für muslimische Familien ist Sexualität nur innerhalb der Ehe möglich, nur innerhalb der Ehe kann Sexualität gelebt werden. Deshalb müsste es dann eigentlich nicht so spät sein.
    Florin: Sie meinen, weil die Ehe der einzig legitime Ort ist für Sexualität, soll man nicht so lange mit der Ehe warten? Habe ich Sie richtig verstanden?
    Mohagheghi: Genau. Nach dem traditionellen Verständnis im Islam ist es so, dass die Sexualität nur innerhalb der Ehe möglich ist. Ja.
    Genaues Hinschauen bei Minderjährigen-Ehen nötig
    Florin: Wie in dem Beitrag gehört: Wir sprechen über Fälle, die es jetzt in Deutschland vermehrt gibt: über Minderjährigen-Ehen - manche sprechen auch von Kinderehen. Wie soll da vorgegangen werden? Sind Sie dafür, diese Ehen erst einmal nicht anzuerkennen und zum Beispiel zu warten, bis die Bedingungen unseres Rechts erfüllt sind und die Ehepartner 18 sind?
    Mohagheghi: Es ist wirklich eine schwierige Angelegenheit. Erstens ist es rechtlich so, dass im Ausland geschlossene Ehen in Deutschland anerkannt werden können, wenn sie entsprechend des deutschen Rechts sind. Das heißt: Wenn es 16-Jährige sind, kann man das auch hier anerkennen. Wofür ich nicht bin, ist eine pauschale Zwangs-Annullierung der Ehen. Denn diese Ehen sind ja für diejenigen, die zu uns kommen, rechtsgültig. Und es ist ja so, wenn es um Geflüchtete geht: Sie haben diesen Halt, diese Geborgenheit in der Familie und innerhalb dieser Ehe. Man nimmt ihnen etwas weg, was sie dann, wenn sie als Geflüchtete kommen, durchaus auch brauchen. Daher bin ich dafür, dass man wirklich genau schaut und sich Einzelfälle anguckt, ob dann wirklich eine Zwangsehe vorliegt. Dass man, wenn die Minderjährige vielleicht auch unter 14 Jahren alt ist, darauf schaut, ob man annullieren kann oder ihnen die Möglichkeit geben kann, dass sie zusammen leben, aber später nach deutschem Recht heiraten. Also es muss wirklich sehr sensibel damit umgegangen werden, weil man Menschen, die sowieso in einer schwierigen Situation sind, etwas wegnimmt, was sie als Halt brauchen, wenn sie zu uns kommen.
    Hamideh Mohagheghi
    Die Juristin, islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi (Universität Paderborn)
    Benachteiligte bei pauschaler Annullierung sind die Frauen
    Florin: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung hat diesen Aspekt sehr stark gemacht. Sie hat gesagt, wir können diese Ehen nicht einfach für nichtig erklären, auflösen. Damit würde man die Frauen ins Abseits stellen. Und der Chef der Polizeigewerkschaft hat daraufhin ihren Rücktritt gefordert. Wer hat Ihrer Ansicht nach Recht in dieser Auseinandersetzung?
    Mohagheghi: Sie hat recht. Man kann eigentlich nicht pauschal sagen: Wir können diese Ehen für nichtig erklären, weil wir der Meinung sind, dass die Frauen oder Mädchen in einer Zwangsehe leben. Wir müssen da wirklich genauer schauen. Benachteiligte sind dann tatsächlich diese Mädchen oder diese Frauen. Wenn wir sie nach deutschem Recht trennen, dann bekommen sie keine soziale Hilfe. Sie bekommen dann keinen Unterhalt von dem Ehemann. Ihr Leben, ihre Welt wird dann wirklich zusammenbrechen. Ich bin nicht dafür, dass wir von vornherein sagen, dass es nicht akzeptabel ist, sondern dass wir auf Einzelfälle schauen. Und wo die Mädchen benachteiligt sind und sehr jung, 12 oder 13 Jahre alt sind, da muss man tätig werden, um sie aus dieser Situation herauszubringen. Aber pauschal zu sagen, alle zu annullieren, das finde ich, ist der falsche Weg.
    Florin: Aber es war ja nun auch hier in Deutschland, in Europa ein langer, zäher Kampf für Frauenrechte und auch für Kinderrechte. Was ist so schlimm daran zu sagen: Wir haben nun mal hier unsere Wertvorstellungen - in diesem Zusammenhang ist ja auch oft von 'ordre public' die Rede, also die grundlegende Wertvorstellung dieser Gesellschaft - und wir möchten, dass Menschen, die hier hin kommen, sich danach richten?
    Geflüchtete brauchen Halt in ihrer krisenhaften Situation
    Mohagheghi: Natürlich, das können wir machen. Wir stehen aber vor einem Problem oder einer Frage in einer Krisensituation. Natürlich, wir müssen darauf bestehen, dass, wenn die Ehen hier in Deutschland geschlossen werden, sie nach unserem Verständnis geschlossen werden. Aber wir sind im Moment in einer Sondersituation. Wenn Geflüchtete zu uns kommen, die sowieso keinen Schutz und keinen Halt im Leben haben, dann können wir ihnen nicht von vornherein alles wegnehmen, woran sie hängen. Wir können nicht mit dem Zeigefinger darauf hinweisen, dass alles falsch ist, was da läuft. Sondern wir müssen wirklich schauen, ob die, die dann hier in diesen Minderjährigen-Ehen leben, wirklich unseren Schutz brauchen oder nicht. Dann können wir tätig werden. Aber von vornherein zu sagen, das ist alles falsch, alles schlecht, damit kommen wir nicht voran. Ich finde, dass das der falsche Weg ist, dass man nicht anerkennt, dass da auch etwas ist, was gut sein könnte für diese Menschen, die gerade in einer solchen Situation leben.
    Florin: Sie haben selbst zwei Töchter. Welches Ehebild haben sie denen vermittelt?
    Mohagheghi: Sie haben beide mit über 20 geheiratet.
    Florin: Sagt Hamideh Mohagheghi von der Universität Paderborn. Herzlichen Dank für das Gespräch. Gerne, Frau Florin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.