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Mindestausbildungsvergütung
Mehr Geld reicht nicht

Seit Jahresanfang müssen Unternehmen ohne Tarifvertrag ihren Auszubildenden im ersten Lehrjahr mindestens 515 Euro pro Monat bezahlen. Das soll die berufliche Ausbildung attraktiver machen. Kritiker wie der Unternehmer Guido Paar aus Willich sagen aber: Dafür hätte es ganz andere Maßnahmen gebraucht.

Von Katja Scherer | 02.01.2020
Auszubildende arbeiten in einem Frisörsalon in Willich
In NRW bekommen Frisör-Lehrlinge schon jetzt mehr als die Mindestausbildungsvergütung. (Deutschlandradio / Katja Scherer)
"Guten Tag, die Paarfrisöre. Mein Name ist Guido Paar."
Guido Paar betreibt einen Frisörsalon in Willich bei Düsseldorf. Der Unternehmer hat 13 Beschäftigte, vier davon sind Auszubildende. Die Suche nach Nachwuchs werde schwieriger, für die gesamte Branche, sagt er:
"Wenn ich zehn Jahre noch zurückblicke in das Jahr 2007 hatten wir noch 40.000 Auszubildende, blicke ich jetzt auf 2018 zurück waren es 20.000."
Bessere Bezahlung als Motivation
In vielen anderen Branchen, wie der Gastronomie oder der Pflege, ist das ähnlich. Hier setzt die Mindestausbildungsvergütung an, mit der Auszubildende in Betrieben ohne Branchen- oder Unternehmenstarifvertrag mindestens 515 Euro pro Monat im ersten Lehrjahr erhalten. Bis 2023 steigt diese Untergrenze auf 620 Euro an. Daniel Gimpel vom Deutschen Gewerkschaftsbund findet das richtig: Die bessere Bezahlung helfe, Ausbildungen wieder attraktiver zu machen:
"Die Mindestausbildungsvergütung, die jetzt kommt, ist für uns eine gute Sache. Wir hätten sie uns höher gewünscht, aber es ist ein Kompromiss und damit können wir gut leben."
Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit verdienen aktuell bundesweit etwa 115.000 Auszubildende weniger als 515 Euro – vor allem in Ostdeutschland und in Kleinstbetrieben. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Branchen, die schon jetzt freiwillig mehr bezahlen. Mehrere Lebensmitteldiscounter zum Beispiel haben angekündigt, ihre Vergütung im ersten Lehrjahr wegen des Fachkräftemangels auf bis zu 1000 Euro pro Monat anzuheben.
Arbeitgeber äußern Kritik
Und auch Guido Paar zahlt mehr als die Mindestvergütung: Der Tariflohn für Friseur-Auszubildende in NRW wurde kürzlich auf 540 Euro erhöht. Für Paars Auszubildenden Justin Weber war auch das ein Grund dafür, warum er sich für den Beruf entschieden hat:
"Das für mich ein Punkt, wo ich mir gedacht habe, höher geht, aber darunter kommt nicht. Und ich glaube wäre es noch weniger gewesen, hätte ich eventuell gesagt: Das traue ich mir finanziell nicht zu."
Porträt des Auszubildenden Justin Weber
Der Auszubildende Justin Weber ist aktuell im 1. Lehrjahr. (Deutschlandradio / Katja Scherer)
Beim Zentralverband des Deutschen Handwerks ist man über die neue gesetzliche Vorgabe dagegen nicht erfreut. Jan Dannenbring, Leiter der Abteilung Tarifpolitik, weist darauf hin, dass die Vergütung für Auszubildende grundsätzlich nur als Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten gedacht und daher nicht mit einem normalen Lohn vergleichbar sei. Er befürchtet, dass durch das neue Gesetz Tarifabsprachen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften an Einfluss verlieren – auch wenn diese der Mindestvergütung stets übergeordnet sind:
"weil sie sagen, ja jetzt gibt es ja ohnehin eine staatlich festgelegte Ausbildungsvergütung, da müssen wir als Tarifvertragsparteien ja gar nicht mehr tätig werden."
Verkürzte Ausbildungszeiten als Alternative?
Auch Unternehmer Guido Paar sieht die Mindestvergütung kritisch. Er geht davon aus, dass sich das zentrale Problem seiner Branche – der Fachkräftemangel – dadurch nicht lösen lässt. Stattdessen würden manche Betriebe wegen der höheren Kosten gar nicht mehr ausbilden, vermutet er. Der Gewinn vieler Läden sei gering – auch, weil die Branche zu wenig dafür getan habe, dass Kunden die Leistung wertschätzen:
"Teilweise sind Unternehmen gezwungen mit Billiglöhnen zu arbeiten, weil sie sonst überhaupt nicht über die Runden kommen und der Ausweg daraus ist natürlich: Qualität muss nach oben entwickelt werden. Geht die Qualität nach oben, geht der Preis nach oben, geht die Rentabilität nach oben."
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Der Frisör Guido Paar aus Willich bei Düsseldorf sieht die Mindestausbildungsvergütung kritisch (Deutschlandradio / Katja Scherer)
Statt der Vergütungsvorgaben hätte er sich von der Regierung, den Kammern und Verbänden daher andere, kreativere Maßnahmen gewünscht, sagt Paar: verkürzte Ausbildungszeiten für Quereinsteiger zum Beispiel, modernere Ausbildungsinhalte und vor allem eine Modernisierung der beruflichen Ausbildung generell:
Fachkräftemangel bleibt zentrales Thema
"Wenn ich mir anschaue, wie äußerst sexy und attraktiv eine Abifeier ist und wenn ich mir angucke wie langweilig, beerdigungsmäßig komatös ne Lossprechungsfeier im Handwerk ist, dann kann man einfach sehen, welche Berufsrichtung ist sexy und welche nicht."
Um seinen Teil zur Image-Verbesserung beizutragen, hat Paar kürzlich einen eigenen Youtube-Kanal gestartet. Darin spricht er darüber, welche unternehmerischen Chancen seine Branche bietet. Für den Salonbetreiber ist klar: Die zentrale Herausforderung wird es künftig nicht mehr sein, Kunden zu finden – sondern Fachkräfte.