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"Mindestens jedes halbe Jahr muss Rechenschaft abgegeben werden"

Der Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Volker Hauff, hat seine Anforderungen an das noch zu verabschiedende Klimaschutzprogramm der Bundesregierung formuliert. Es reiche nicht aus, einzelne Maßnahmen aufzuzählen. Werde ein Ziel benannt, so müssten dazu konkrete Verantwortlichkeiten verteilt werden und dann im Halbjahresrhythmus auch kontrolliert werden mittels Rechenschaftsbericht.

Moderation: Jule Reimer |
    Jule Reimer: Welche Erwartungen hat der Nachhaltigkeitsrat an das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, das am 23. und 24. August bei der Kabinettsklausur in Meseburg beschlossen werden soll?

    Volker Hauff: Wir haben der Bundesregierung sehr klipp und klar gesagt - sowohl im Energiegipfel als auch in einer ersten Stellungnahme -, dass es nicht reicht, Ziele zu benennen und dass es auch nicht reicht, einzelne Maßnahmen aufzuzählen, insbesondere staatliche Ausgabenprogramme zu definieren. Also, wenn man ein Ziel benannt hat, also wie zum Beispiel Erhöhung der Energieeffizienz, und dem auch zugeordnet hat eine bestimmte Maßnahme, nämlich Erhöhung der Energieproduktivität, dann muss auch gesagt werden: Wer trägt in diesem Prozess welche Verantwortlichkeiten? Welche Rolle spielt die Industrie, welche Rolle spielen die Verbraucher, welche Rolle spielt die Regierung? Und dann muss man dafür auch ein ganz sauberes Reporting- und Controlling-System aufmachen. Solange das nicht geschieht, halte ich das alles für Absichtserklärungen, sehr wohlmeinende Absichtserklärungen, die da abgegeben werden, aber nicht für etwas, wohinter ein wirklicher Gestaltungswille steht. Ich verkenne nicht, dass das schwierig ist, die Privatwirtschaft und die Regierung und die zivile Gesellschaft auf einen Nenner zu bringen. Aber wenn man sich vor diesem Problem drückt, dann wird das Ganze misslingen und dann wird nach wenigen Jahren festgestellt, April, April, wir haben die Ziele leider nicht erreicht.

    Reimer: Heißt das, Sie wollen kein Gesamtziel, also, Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent bis 2020, sondern Sie möchten das aufgegliedert haben, der Beitrag der Industrie sollte X Prozent sein und der Haushalt Y Prozent?

    Hauff: Es dreht sich nicht um ein Entweder-oder, sondern gerade weil ich das übergeordnete Ziel für richtig halte, ist es notwendig, dieses Ziel mit Maßnahmen zu unterlegen, und zwar nicht global "die Wirtschaft soll irgendwas machen", sondern: Was geschieht im Bereich der Haushaltsgeräte? Was geschieht im Bereich des Verkehrs? Hier gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, die da diskutiert wird, was geschieht im Bereich der Gebäudeisolierung und so weiter, und so fort, und die müssen zusammengefasst werden und dann aber auch in einem Controlling-System gemanagt werden, weil es reicht nicht, Absichtserklärungen abzugeben.

    Reimer: Würden Sie da verbindliche Vorgaben machen für die Industrie, oder setzen Sie auch auf freiwillige Selbstverpflichtungen?

    Hauff: Ich bin ein großer Anhänger von freiwilligen Selbstverpflichtungen unter einer Voraussetzung - oder unter zwei Voraussetzungen. Erstens, dass es wirklich absolut volle Transparenz gibt, mindestens jedes halbe Jahr muss Rechenschaft abgegeben werden, ob das tatsächlich eingehalten wird, ob der Zielkorridor noch stimmt. Und das Zweite: Es muss klar sein, wenn die Ziele nicht erreicht werden, was dann passiert, da müssen klare Absprachen da sein. Nur so eine Absichtserklärung, wir machen das mal und dann nach drei Jahren - wie das jetzt geschehen ist zum Beispiel im Bereich der Automobilindustrie - nach drei Jahren festzustellen, ja, es hat leider nicht geklappt, so stelle ich mir nicht vor, dass ein Management der öffentlichen Dinge wirklich aussieht.

    Reimer: In welchen Sektoren sehen Sie denn den höchsten Handlungsbedarf?

    Hauff: Es gibt gar keinen Zweifel, dass der höchste Handlungsbedarf im Bereich - was den Energieverbrauch angeht - der Gebäude liegt. Das ist der höchste Anteil auch Energie, das sind fast 40 Prozent, die da reinfließen. Da gibt es unmittelbaren Handlungsbedarf in der Frage Gebäudeisolierung, aber auch in der Frage energieeffiziente Systeme, in der Frage regenerative Energien. Das alles muss zusammengefasst werden. Die anderen Bereiche dürfen nicht ausgelassen werden, also, der Verkehr spielt sicher auch eine wichtige Rolle, aber der Gebäudebereich ist sicher derjenige, der das größte Potenzial hat.

    Reimer: Raten Sie denn zum Einsatz der Atomkraft?

    Hauff: Wir haben uns mit der Atomkraft im Rat zur Nachhaltigkeit nicht beschäftigt, aber meine persönliche Meinung deckt sich mit dem, was auch in dem Gutachten herausgekommen ist, das die Bundesregierung unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten in Auftrag gegeben hat: Die Klimaziele sind mit der Atomenergie und ohne die Atomenergie erreichbar. Das lässt sich nicht feststellen, dass man sagen kann, nur in dem einen Fall ist es möglich. Und meine große Sorge wäre, dass, wenn man hier in großem Umfang im Bereich der Atomenergie investiert, dann bleiben andere Investitionen zurück, die uns dringender sind, wenn man das unter langfristigen Gesichtspunkten sieht. Und es bleibt einfach eine unbestreitbare Tatsache, dass die Atomenergie mit einer ganzen Reihe von ungelösten Fragen verknüpft ist, die es sehr schwer machen, diese Energieform öffentlich zu rechtfertigen. Es beginnt mit der Frage, wo eigentlich der Müll hinkommt, es geht weiter mit der Absprache über internationale Sicherheitsstandards und endet mit der ganz, ganz schwierigen Frage: Was ist eigentlich wirklich möglich, um den militärischen Missbrauch von Nuklearenergie zu verhindern, wenn jemand sie zivil nutzt?

    Reimer: Ihr Ratskollege Klaus Töpfer, der frühere Chef des UN-Umweltprogramms, hat kürzlich gesagt: Nachhaltigkeitsräte sollen mit unbequemen Themen der Stachel im Fleisch der Regierenden sein. Bei welchen Themen ist der Deutsche Nachhaltigkeitsrat, sind Sie unbequem für die Bundesregierung?

    Hauff: Also, eines der Beispiele, wo wir Empfehlungen ausgesprochen haben, die nicht so befolgt wurden, wie wir uns das eigentlich gewünscht haben, war der ganze Bereich Energiecontracting, also die Frage, wie man im Gebäudebereich die Privatwirtschaft stärker engagieren kann, um zu einer besseren Energienutzung zu kommen. Das ist sehr halbherzig aufgenommen worden am Anfang, man hat dann ein bisschen nachgebessert, aber noch heute bin ich der Meinung, dass das nicht wirklich die Größenordnung hat. Und da werden wir weiter drauf bestehen, auch in öffentlichen Stellungnahmen, dass das tatsächlich gemacht wird. Ein zweites Beispiel ist das Thema Warenkorb, nachhaltiger Warenkorb, also, wie kann man die Verbraucher in die Lage versetzen, dass sie dann, wenn sie was einkaufen oder wenn sie eine Investition machen, also, eine Waschmaschine kaufen, wie kann man da sicherstellen, dass die wirklich in breitem Umfang die Informationsmöglichkeiten haben, die notwendig sind, damit sie sich wirklich so verhalten können? Aber unbequem sind wir nicht nur im Hinblick auf die Regierung, sondern wir haben heute eine Empfehlung ausgesprochen, die hat viele kontroverse Diskussionen ausgelöst, ich glaube, dass sie nach wie vor richtig ist. Wir haben die Empfehlung ausgesprochen, in einem Energiesystem der Zukunft auf die Kohle auf keinen Fall zu verzichten, aber darauf zu achten, dass sie mit der Abschaltung der CO2-Emissionen verknüpft wird, also, neue Kohletechnologien zu entwickeln, weil anders ein Weltenergiesystem überhaupt nicht denkbar ist. Das hat auf der anderen Seite dann auch bei manchem, der sich sehr stark dem Umweltschutz verpflichtet fühlt, mindestens zu Stirnrunzeln geführt. Also, wir sind schon dazu da, Nachhaltigkeit ernst zu machen, das heißt, darauf zu bestehen, dass man nicht nur auf einen Aspekt dabei achtet - nur auf die Wirtschaftlichkeit oder nur auf den Umweltschutz -, sondern dass es da zu einer sorgfältigen Abwägung kommt der unterschiedlichen Gesichtspunkte. Und insofern sind wir und werden in Zukunft auch in stärkerem Maße noch der Stachel im Fleisch sein.

    Reimer: Eine Nachfrage zum Kohleeinsatz, sind Sie da auch für Braunkohle?

    Hauff: Also, wir sind auch für Braunkohle.

    Reimer: Obwohl die emissionstechnisch sehr umstritten ist?

    Hauff: Nein, nein, das ist genau der Punkt. Es dreht sich darum, nicht, dass man einfach die bestehenden Technologien weiter nutzt, sondern dass neue Technologien entwickelt werden, die jetzt auch, es hat sich am Energiegipfel die Industrie zunächst dazu verpflichtet, jetzt hakts ein bisschen, weil es da ja auch große Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft gegeben hat -, sondern dass man völlig neue Kohletechnologien entwickelt, in denen die CO2-Emissionen, die bei der Braunkohle höher sind als bei der Steinkohle, in denen man die abschaltet und auffängt.

    Reimer: Das sind aber Technologien, von denen man sagt, dass die wahrscheinlich erst in 20 Jahren greifen werden.

    Hauff: Nein. Es dreht sich im Augenblick darum, dass mindestens an drei Stellen hier in der Bundesrepublik erste Pilotanlagen gebaut werden. Die Amerikaner sind massiv in diesem Bereich tätig, die geben dafür eine Milliarde Dollar aus. In UK wird intensiv daran gearbeitet.

    Reimer: Also, in Großbritannien.

    Hauff: Diese Technologie, die wird im nächsten Jahrzehnt zur Verfügung stehen und es kommt jetzt darauf an, die Kraftwerke so zu bauen auf jeden Fall, dass sie darauf vorbereitet sind.

    Reimer: Passiert das denn?

    Hauff: Das geschieht im Augenblick noch nicht.

    Reimer: Also, das heißt, wenn schon, dann gleich so konstruieren, dass die Techniken einsatzfähig sind?

    Hauff: Es muss wirklich zukunftssicher sein, und da kann man nicht einfach weitermachen wie bisher, auch in der Kohletechnologie, aber man kann ja auch nicht sagen, es ist einfach unrealistisch zu sagen, wir können ein Weltenergiesystem aufbauen, das ohne die Kohle auskommen würde. Und ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das so eine stolze Tradition hat in der Kohletechnologie, sollte damit an der Spitze sein, an der Entwicklung völlig neuer Technologien, die die Kohle sehr viel umweltfreundlicher machen.

    Reimer: Sie werden ja vom Bundeskanzler ernannt, die einzelnen Räte, die dem Nachhaltigkeitsrat angehören. Dann gibt es auch Nachhaltigkeitsräte auf Ebene der Bundesländer. Sie verlangen eine Aufwertung der Nachhaltigkeitsräte, wie soll das geschehen?

    Hauff: Ja, ich glaube, dass man jetzt in unserer Arbeit, und darüber können wir nur reden, mehr Verbindlichkeit bringen sollte. Das deckt sich übrigens auch mit einer Empfehlung, die auf EU-Ebene gegeben wurde, wenn man Nachhaltigkeitsräte installiert, dass die dann eine größere Verbindlichkeit kriegen, dass man das Ganze auch auf stärkere Bewertungen aus ist, also, sogenannte Peer-Reviews durchführt, wo man ausländische Experten dazu einlädt - und den Prozess auch organisiert -, die eigene Nachhaltigkeitsarbeit zu bewerten. Die Niederländer haben das gerade erfolgreich abgeschlossen, die Bundesregierung prüft im Augenblick, ob sie das noch macht. Wir haben empfohlen, dass man es macht, um einfach sichtbar zu machen: Wo liegen möglicherweise Schwachstellen in unserer Arbeit, wo liegen auch Schwachstellen innerhalb der Regierung und wo liegen Schwachstellen in der Kommunikation zwischen Regierung und Wirtschaft? Um die ganzen Fragen zu behandeln und zu bewerten sind solche Peer-Reviews eine sehr sinnvolle und richtige Einrichtung, die dann in der Lage sind, mehr Verbindlichkeit, mehr Transparenz reinzubekommen und auch den richtigen Ansatz zu wählen, dass, wie gesagt, es sich nicht darum dreht, dass man irgendwelche netten Sachen sagt, sondern dass man genau bestimmt, wer hat welche Verantwortung, wer tut was, um die Ziele, die man sich gesetzt hat, auch tatsächlich zu erreichen. Dazu braucht man Indikatoren, die man dann tatsächlich messen kann, also, nicht nur dass man sagt, wir wollen eine nachhaltige Landwirtschaft haben, sondern sagt, wir messen das beispielsweise am Eintrag von Stickoxyd pro Hektar landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche, so dass man am Ende des Tages wirklich feststellen kann, ist man dem Ziel näher gekommen? Denn nur was man messen kann, kann man auch managen.

    Reimer: Die Zahl Ihrer Mitglieder ist ja bei der diesjährigen Neuberufung von 19 auf 15 gesenkt worden, und es ist beispielsweise kein Vertreter einer entwicklungspolitischen Organisation mehr dabei. Wie stark kann oder sollte ein deutscher Nachhaltigkeitsrat national denken oder inwieweit muss er global denken?

    Hauff: Er muss auf jeden Fall global denken. Das war eines unserer Hauptargumente vor sechs Jahren, als die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung entwickelt wurde, als wir als Rat sagten, wer über nachhaltige Entwicklung nachdenkt, der muss wissen, das lässt sich nur erreichen, wenn man das in internationale Prozesse einbettet. Und deswegen ist jede Art von nationaler Nabelschau fehl am Platze. Aber trotzdem, man muss national die Hausaufgaben machen.

    Reimer: Aber stimmt dann die Besetzung?

    Hauff: Ich glaube nicht, dass man es daran messen kann. Wenn Sie 15 Personen benennen, dann geht es nicht darum, dass man es bemisst. Es gibt beispielsweise ja auch die Tatsache, dass im Augenblick kein unmittelbarer Vertreter der katholischen Kirche beispielsweise Mitglied ist - das hat auch viel Unruhe gebracht. Die Mitglieder im Rat, die werden nicht benannt als Repräsentanten von Organisationen. Sie sind benannt als Einzelpersonen und sie sind auch nur sich selbst gegenüber rechtfertigungspflichtig, das heißt, er setzt sich nicht zusammen, dass man da irgendeinen repräsentativen Querschnitt macht, und die internationalen Aspekte, die spielen bei uns eine Riesen-Rolle. Wie wollen Sie dann jemandem wie Klaus Töpfer, der mein Stellvertreter ist als Vorsitzender, absprechen, dass er etwas von internationalen Prozessen der Nachhaltigkeit versteht? Das wäre ja geradezu absurd.

    Reimer: Bräuchten Sie mehr Unterstützung durch die Öffentlichkeit, müssten Sie populärer werden, oder betreibt man Politikberatung besser im Stillen?

    Hauff: Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit Wert darauf gelegt, dass wir unsere Empfehlungen gegenüber der Regierung aussprechen, ohne dass das allzu große, öffentliche Wellen geschlagen hat. Das hat in vielen Fällen funktioniert, in anderen haben wir festgestellt, dass diese etwas verhaltene Öffentlichkeitsarbeit sich nicht ausgezahlt hat, und insofern wird man wohl davon ausgehen können, dass man unsere Stimme in der Zukunft in der Öffentlichkeit etwas deutlicher noch wahrnehmen kann.