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Mindestrente würde zu höheren Beitragssätzen führen

Hans-Peter Probst: Am Telefon ist Herr Raffelhüschen, Finanzwissenschaftler aus Freiburg. "Die SPD-Fraktion erwägt die Einführung einer Mindestrente", lautete heute früh die Schlagzeile. Es solle sichergestellt werden, dass die Altersbezüge auf lange Sicht ein eindeutig festgelegtes Niveau nicht unterschreiten, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Schaich-Walch. Mindestrente, Rentenniveau, werden da in dieser Verkürzung zwei Dinge miteinander vermischt?

    Bernd Raffelhüschen: Nun, da wird vieles miteinander vermischt. Das ist eigentlich auch der Knackpunkt an der ganzen Geschichte, denn wir hatten früher einmal ein Mindestrentenniveau und es gerade abgeschafft. Wenn wir es jetzt wieder einführen, heißt es auf gut Deutsch, dass wir die Beitragssätze doch deutlich wieder steigen lassen müssen und damit zukünftige Generationen sehr stark belasten. Und das alles dafür, dass wir bestimmte Rentner, vielleicht zu wenig bekommen, aus der Bedürftigkeitsprüfung herausnehmen, denn eins ist klar: Wir haben eine Grundsicherung in Deutschland, und das ist durch die Sozialhilfe, Wohngeld etc. abgedeckt.

    Probst: Nun haben wir eben in dem Beitrag verschiedene Fallbeispiele gehört: Absenkung auf 43 Prozent oder 53 Prozent. Brauchen wir das in der gegenwärtigen Diskussion über die Reform, so, wie sie dann geplant ist, eine Garantie, ein Rentenniveau, eine Mindestrente?

    Raffelhüschen: Also es ist rentenpolitisch völlig unsystematisch, überhaupt in die Konzeption der Rente bei uns eine Mindestrente einzufügen. Wir haben ein Rentensystem, das da sagt, dass derjenige, der durchschnittlich im Erwerbsleben fährt, auch durchschnittlich in der Rente fährt, und wer weit unterdurchschnittlich im Erwerbsleben gefahren ist, hat auch weit unterdurchschnittlich einbezahlt und bekommt dann eine weit unterdurchschnittliche Rente. Wenn die dann unter dem Sozialhilfeniveau ist, dann greift die Grundsicherung, die wir für alle gesetzt haben. Die gilt für alle, egal ob Rentner, Kinder oder arme Erwerbstätige.

    Probst: Das Ministerium von Frau Schmidt argumentiert auch, die Rente sei verfassungsrechtlich geschützt und das reiche aus. Würden Sie das auch so sehen?

    Raffelhüschen: Nun, die Rente ist sicherlich verfassungsrechtlich geschützt, aber das Einkommen zukünftiger Generationen dürfte genau denselben Verfassungsschutz genießen. Man kann nicht das eine gegen das andere ausspielen.

    Probst: So wie ich die Beispiele von Herrn Ruland und anderen verstanden habe, lässt sich ja dann, wenn diese verschiedenen Modelle nicht eindeutig austariert werden, auch die geplante Festschreibung des Rentenbeitragssatzes wohl nicht halten. Ist das richtig?

    Raffelhüschen: Das ist vollkommen richtig. Dazu fehlt sowieso auch noch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Die Rente mit 67 wird kommen und sie muss so schnell wie möglich kommen. Da sollten wir den Leuten auch relativ schnell reinen Wein einschenken.

    Probst: Aber da sagt die Fraktion beispielsweise, das werde in dieser Legislaturperiode auf keinen Fall kommen.

    Raffelhüschen: Nun, dann kommt es 2006. Es ist dafür, dass wir zwischen 2011 und 2030 die Renten mit 67 einführen wollen, im Grunde genommen egal, ob wir das in zwei, drei oder vier Jahren ankündigen. Wichtig ist, dass wir uns darauf einstellen.

    Probst: Da würde ein gewisser Jahressprung nicht viel ändern bei der Reform, was nun das Rentenniveau angeht?

    Raffelhüschen: Langfristig können wir das Rentenniveau nur halten, wenn wir es etwa um 20 Prozent senken. Wie auch immer wir rechnen, wir werden genau zu diesem Niveau kommen. Wichtig ist nur, dass sich die Generation der heute Dreißig- bis Fünfzigjährigen genau auf dies einstellt und die entsprechenden Vorsorgemaßnahmen betreibt.

    Probst: Neben diesen grundsätzlichen Dingen gibt es ja auch noch aktuell Aufregung um die geplante Erhebung von Abgaben und die Besteuerung von Betriebsrenten und Pensionen. Ist sie berechtigt?

    Raffelhüschen: Nun, da muss man aufpassen, worüber man spricht. Die Verbeitragung von Betriebsrenten ist genauso falsch wie die Verbeitragung von Lohn. Hier sollten wir auf eine Gesundheitsprämie hinausgehen. Dann hätten wir das auch einigermaßen im Griff. Bei der Besteuerung ist es so, dass wir jeden verdienten Euro einmal im Lebenszyklus besteuern wollen, und immer dann, wenn etwas aus unversteuertem Einkommen unversteuert fließt, ist das ungerechtfertigt und sollte nachgelagert besteuert werden.

    Probst: Aber hier wird ja der Vorwurf der Doppelbesteuerung erhoben bei der gegenwärtig geplanten Regelung von Herrn Eichel.

    Raffelhüschen: Das ist für manche Gruppen unter Umständen der Fall. Dafür müssten wir entsprechende Ausnahmeregelungen schaffen. Für die meisten ist das nicht der Fall.

    Probst: Es wäre nur eine kleine Minderheit?

    Raffelhüschen: Ja.

    Probst: Das betrifft die höheren Einkommensgruppen?

    Raffelhüschen: Da kann es dazu kommen. Es geht darum, dass selbstständig Beschäftigte den Arbeitgeberbeitrag selbst bezahlt haben. Wenn man sie zu hart rannehmen würde, wäre das doch eine Doppelbesteuerung.

    Probst: Generell und grundsätzlich: Der Vorwurf der steigenden Abgabenlast und des sinkenden Niveaus, wenn bei den Plänen nichts geändert wird, ist nicht von der Hand zu weisen?

    Raffelhüschen: Es wird zu einem sinkenden Rentenniveau kommen. Das kann nicht anders sein. Dafür haben wir in den letzten 40 Jahren schlichtweg nicht genügend Kinder in die Welt gesetzt, um das Rentenniveau von heute auf Dauer zu halten.

    Probst: Und reichen die bisher geschaffenen Möglichkeiten der Eigenvorsorge aus oder müssen da zusätzliche Möglichkeiten und Anreize geschaffen werden?

    Raffelhüschen: Da liegt eigentlich der wirkliche Knackpunkt. Wir haben das Rentenniveau durch den Nachhaltigkeitsfaktor nochmals um 12 bis 13 Prozent gesenkt oder werden ihn senken im Laufe der nächsten 15 Jahre, und dasselbe wird mit der Rente mit 67 passieren. Das heißt, dass wir den Leuten sagen müssen: Die Altersvorsorge, die man privat zu betreiben hat, ist deutlich größer als das, was wir nach der Riester-Reform anvisiert haben.

    Probst: Vielen Dank für das Gespräch.