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Mindeststandards für den Umgang mit Flüchtlingen

Noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs verabschiedeten die Vereinten Nationen am 28. Juli 1951 auf einer Sonderkonferenz die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie ist bis heute die einzige weltweit gültige Vereinbarung, die den Umgang mit Flüchtlingen regelt.

Von Monika Köpcke | 28.07.2011
    ""Sagen Sie mal. Wo kommen Sie denn nun her mit diesem Transport?"

    "Ich komme aus der russischen Gefangenschaft und habe Glück gehabt, dass ich jetzt entlassen worden bin. Aber ich habe leider mein Heim verbrannt und alles, nichts mehr aufgefunden, auch keine Angehörigen, niemanden, und habe mich hier dem Treck angeschlossen, um jetzt im Reich meine Angehörigen wiederzufinden.”

    "Ich komme aus Breslau, wir waren nun leider auch gezwungen, unsere Heimat zu verlassen, also binnen einer Stunde, das ging ziemlich schnell. Viel Gepäck konnten wir uns nicht mitnehmen, aber die Fahrt bis hierher war sehr gut.”"

    Ausgelöst durch Hitlers Krieg und verschärft durch die Nachkriegsvertreibungen aus Osteuropa war es noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine der drängendsten Aufgaben der internationalen Gemeinschaft, all den in Europa herumirrenden, entwurzelten Menschen zu helfen. Der UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld sagte 1959:

    "Es wird angenommen, dass seit Ende des Zweiten Weltkrieges etwa 40 Millionen Männer, Frauen und Kinder Flüchtlinge geworden sind. Viele, etwa 15 Millionen sind noch Flüchtlinge. Das Flüchtlingsproblem ist ein menschliches Problem. Es liegt an jedem von uns, dieser Aufforderung Folge zu leisten."

    Die Vereinten Nationen beschränkten sich nicht auf Appelle an die individuelle Hilfsbereitschaft. Bereits 1951 hatten sie zwei bedeutende Instrumente geschaffen: Das Hochkommissariat für Flüchtlinge, kurz UNHCR, das bis heute weltweit praktische Hilfe leistet; und das "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge”, das am 28. Juli 1951 in Genf verabschiedet wurde und drei Jahre später in Kraft trat. Als "Genfer Flüchtlingskonvention” machte es weltweit Karriere. Zum ersten Mal wurden Mindeststandards für den Umgang mit Flüchtlingen definiert. Standards, die es noch nicht gab, als 1938 Vertreter von 32 Staaten im französischen Badeort Evian über Hilfe für die von Hitler verfolgten Juden beriet. Die spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir, die in Evian dabei war, schrieb:

    ""Dazusitzen in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von 32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie eine größere Zahl Flüchtlinge aufnehmen würden und wie schrecklich leid es ihnen tue, dass sie das leider nicht tun könnten, war eine erschütternde Erfahrung.”"

    Dieses Versagen sollte sich nicht noch einmal wiederholen. Mit der Genfer Konvention sollte Flüchtlingsschutz nicht länger nur eine Frage der freiwilligen Wohltätigkeit sein, sondern eine staatliche Pflicht werden. Und sie legte völkerrechtlich verbindlich fest, wer ein Flüchtling ist:

    "Der Ausdruck Flüchtling findet auf jede Person Anwendung, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt."

    Flüchtlinge genießen im Aufnahmeland Religions- und Bewegungsfreiheit, sie bekommen öffentliche Fürsorge, sie haben das Recht auf Bildung und das Recht zu arbeiten, sie haben Anspruch auf Zugang zu den Gerichten. Und sie dürfen nicht in ihr Land zurückgeschickt werden, wenn ihnen dort politische Verfolgung droht.

    ""Ich habe geweint, weil ich mein Zuhause verlassen musste. Wir haben den Bus in die nächste Stadt genommen. Als wir dort ankamen, hatten wir Hunger. Aber wir hatten nichts zu essen, weil wir alle Vorräte zu Hause lassen mussten."

    "Bei jedem Angriff der Regierungsarmee mussten wir das Dorf verlassen und uns verstecken. Wir lebten in ständiger Angst.”"

    Die Flüchtlingskonvention war ursprünglich nur für diejenigen geschaffen worden, die vor 1951 in Europa ihre Heimat verlassen mussten. Erst als der Ungarnaufstand, der Algerienkrieg und bewaffnete Konflikte in China und Afrika neue Flüchtlingsströme auslösten, wurde 1967 jede zeitliche und räumliche Beschränkung aufgehoben. Dennoch genießt von den über 43 Millionen Flüchtlingen, die heute weltweit unterwegs sind, nur eine Minderheit den Schutz der Genfer Konvention. Und das nicht nur, weil die Aufnahmebereitschaft der Industrieländer kontinuierlich abnimmt. Die große Zahl der Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge fällt erst gar nicht unter ihre Definition. In einer Welt, deren Gründe für Flucht sich seit 1951 gewandelt haben, hinkt sie den heutigen Realitäten hinterher.