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Miniflügel unter Wasser

Energie.- Die Kraft aus Fluss- und Meeresströmungen hat es in sich. Fachleuten für erneuerbare Energien zufolge, birgt sie das Potenzial, rund vier Prozent des globalen Strombedarfs zu decken. Genutzt wird diese Erkenntnis bislang nicht einmal ansatzweise.

Von Ralf Krauter |
    Konzepte für umweltfreundliche Strömungskraftwerke, die die Energie von Fluss- und Meeresströmungen ohne Staudämme ernten, haben Ingenieure haufenweise in ihren Schubladen. Unter Wasser montierte Rotoren, die kleinen Windturbinen ähneln, sind ein naheliegender Ansatz. Mächtige Tragflächen, die sich vom Wasserstrom getrieben periodisch auf- und abwärts bewegen, ein anderer. In einem Fjord auf den schottischen Shetland-Inseln ging 2002 der Prototyp eines solchen Flügelkraftwerks in Betrieb, gefördert mit Millionen von der britischen Regierung. 20 Meter hoch und 180 Tonnen schwer war der stählerne Koloss. Seine Tragfläche hatte eine Spannweite von über 30 Metern und rauschte im 15-Sekunden-Takt auf und ab durchs Wasser, erinnert sich Professor Martin Lawerenz von der Universität Kassel.

    "Die Bewegung von diesem Flügel an diesem Arm ist dann genutzt worden, um Hydraulikstempel auf und ab zu bewegen. Dadurch hat man Informationen gehabt, was man da an Energie oder Leistung dann übertragen kann."

    300 Kilowatt Leistung lieferte die auf den Namen "Stingray" getaufte Maschine. Als Experte für Strömungsmechanik hat Martin Lawerenz die Testläufe des "Stachelrochens" aufmerksam verfolgt.

    "Die haben gezeigt: Technisch ist das möglich. Die Quintessenz von der Firma, die das realisiert hat, war allerdings, dass man das unter den Randbedingungen, die in England herrschen, wirtschaftlich nicht betreiben kann."

    Aufwand und Ertrag standen in keinem Verhältnis - auch weil die riesige Konstruktion kompliziert war. Aber vielleicht ließe sich das Ganze viel kleiner, einfacher und billiger realisieren, dachte sich Martin Lawerenz. Das zum Patent angemeldete Ergebnis seiner Arbeit präsentiert er auf dem Laptop. In der Computersimulation bewegt sich ein etwa ein Meter langer und 30 Zentimeter tiefer Unterwasserflügel im Zeitlupentempo auf und ab in einem imaginären strömenden Gewässer.

    "Da ist also jetzt so eine Animation zu sehen, wie das hier realisiert wurde. Das ist im Endeffekt die Energie übertragende Fläche, die durchs Wasser bewegt würde. Die bewegt sich also rauf und runter. Und diese Auf-und-Ab-Bewegung, der ist also noch eine Drehbewegung dieses Flügels überlagert, damit das Ganze überhaupt funktioniert."

    Der Flügel hängt an einem stählernen Arm unter Wasser. Ein Steuerstangen-Mechanismus sorgt dafür, dass sich sein Anstellwinkel während des Bewegungszyklus’ verändert. Von der Seite betrachtet, beschreibt die Flügelnase deshalb achterförmige Bahnen. Der Effekt ist derselbe, wie bei einem Segler, der gegen den Wind kreuzt: Dem umströmenden Medium wird kontinuierlich Energie entzogen. Eine simple Mechanik an der Wasseroberfläche verwandelt das periodische Auf und Ab des Flügelarms in eine Drehbewegung. Verglichen mit dem viel größeren Prototypen in Schottland benötigt der Entwurf aus Kassel nur einen Bruchteil der Bauteile und keine Hydraulikkolben.

    "Und das ist eigentlich das, was in diesem Patent dargestellt wurde, dass es mit einer vergleichsweise einfachen Kinematik gelingt, sowohl diese Auf- und Abbewegung also auch die Drehbewegung zu koordinieren – und gleichzeitig das Ganze in eine kontinuierliche Drehung zu versetzen."

    Dank 100.000 Euro aus einem Machbarkeitsfonds des Landes Hessen hat Martin Lawerenz jetzt freie Bahn für den Bau eines Prototypen, der in der Fulda erprobt werden soll. Die strömt an Kassel mit einem Meter pro Sekunde vorbei und soll den Unterwasserflügel in flottem Fußgängertempo auf- und abwärts bewegen. Zwischen 200 und 400 Watt elektrische Leistung könnte er liefern. Ob der Strom aus dem Fluss einmal preislich konkurrenzfähig werden könnte, wissen die Kassler Forscher allerdings wohl frühestens in zwei Jahren. Momentan tüfteln sie an der Auslegung der Bauteile, wohl wissend, dass beim Übergang von der Theorie in die Praxis zahlreiche Fallstricke lauern.

    "Die Simulation, die wir hier gemacht haben, basiert darauf, dass sich aufgrund der Änderung des Anstellwinkels keine Wirbel ablösen. Das ist eine Annahme, die wir hier treffen mussten. Die wird in der Realität so nicht gelten. Inwieweit das die Effizienz beeinflusst, das werden wir dann am Experiment sehen."

    Treibgut, Wellengang und winterliches Eis auf dem Fluss könnten den Ingenieuren ebenfalls noch Kopfzerbrechen bereiten.