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Minimalismus als Modell

Manche sprechen von einem Theaterwunder, das sich vor zehn Jahren im Münchner Norden ereignet hat. Dort wurde nämlich in einem alten Kinosaal ein Theater gegründet, während das Szene-Sterben anderswo beharrlich weiterging. Der Leiter des Metropol-Theaters Jochen Schölch steht für ein Erzähltheater. Zum Jubiläum hat man nun seine "Black-Rider"-Inszenierung aus der ersten Spielzeit wieder aufgenommen. Tom Waits hatte aus Begeisterung für diese Interpretation seines Freischütz-Musicals die Rechte wieder freigegeben.

Von Rosemarie Bölts | 05.11.2008
    "Hello, ladies and gentlemen. We are back. After ten years we are back again."

    Es ist der diabolisch rot gewandete Oheim aus der Jubiläumsaufführung von "The Black Rider", der unter den Live-Klängen einer Jazz-Combo das Publikum begrüßt:

    "Munich, if you remember. It's the Metropol, isn't it?"

    Auch diese etwas andere Art des Theatereinlasses, bei der es ohne Vorhang und Orchestergraben gleich zur Sache geht, gehört zum Markenzeichen des Münchner "Metropol"-Theaters. Mit minimalistischen Bühnen- und Ausstattungsmitteln hat der Theatermacher Jochen Schölch wieder die Phantasie in den Köpfen der Zuschauer als bestimmende Größe seiner Inszenierungen eingeführt, was nach Jahren der allgemeinen Provokation und Dekonstruktion und Postdramatik inzwischen auch andere Theater entdeckt haben.

    Beim Musical-Märchen "Black Rider" zum Beispiel sind schwarze Regenschirme nicht nur schwarze Regenschirme, sondern Gewehre, Baumkronen, Unterholz, Kutschfahrten, eine Brücke, ein Ruderboot. In anderen, preisgekrönten Stücken wie "Die drei Leben der Luci Cabrol" sind es schlichte Holzbalken, mit denen während des Spiels die Schauspieler in ständigem Umbau ein ganzes Bergbauerndorf auf der kleinen Bühne symbolisieren. Bei Schölch ist ein Tisch ein Tisch, dann ein Dach, eine Schultafel und eventuell eine Totenbahre. Die sinnliche, oft poetische, immer lustvolle Umsetzung von meist Buch- und Filmvorlagen und seltener, wie bei "The Black Rider", von fertigen Stücken - das ist es wohl, wonach das Publikum süchtig geworden ist und das den Erfolg des ungewöhnlichen Theaters im Münchner Norden ausmacht:

    "Das Geheimnis hat natürlich auch damit zu tun, dass wir eine Art Opposition geworden sind für viele - viele Leute, die mir das so sagen, dass es eine Opposition geworden ist im Sinne von, entgegen der großen Ausstattungstheater, die mit Geld Theater machen, zu sagen, hier geht's auf die Einfachheit, auf die Phantasie, und die deswegen auch den Weg auf sich nehmen. Es ist ja nun nicht Zentrum von München, leider."

    Für Intendant Jochen Schölch war das ehemalige Filmtheater inmitten der eher spießbürgerlichen Wohngegend Freimanns trotzdem ein Glücksfall. Der 50er-Jahre-Look des Kinos mitsamt der grün gerafften Wandbespannung blieb erhalten, die Stuhlreihen auch - immerhin konnten sie dank der Spenden des Freundeskreises zum zehnjährigen Jubiläum repariert werden. Auch ein kleines Theaterglück: Die Aufstockung von 140 auf 160 Holzstühle, die nicht mehr bei jeder Bewegung knarzen!

    Krisen und damit Anlässe zum Aufgeben gab es schließlich genug: das Auseinanderbrechen der fünf Gesellschafter nach dem ersten Jahr, gnadenlose Brandschutz-Auflagen, Geldsorgen trotz Selbstausbeutung aller Mitwirkenden. Wäre es da nicht längst an der Zeit, vom Freien Theater weg an ein staatlich oder städtisch finanziertes Haus zu gehen? Intendant und Regisseur Jochen Schölch:

    "Natürlich könnte ich bestimmte Inszenierungen genauso in einem Stadttheater machen. Also die Zeiten sind ja nun wirklich vorbei, in denen es diese Grenze gab. Also, was die Münchner Kammerspiele machen, ist viel mehr Off-Theater, als die Off-Theater machen. Es gibt natürlich die Institution, die einen unheimlich einschränkt. Es gibt natürlich den Punkt, dass, wenn das Theater, das Metropol auf der Stelle tritt und sich zurück entwickelt und man nur noch versucht, Bestand und Besitz zu wahren und nur noch darum kämpft, dass das Haus irgendwie überlebt, dann mache ich es natürlich lieber zu."

    Erst aber geht es noch mit "Dogville" zum "International Art Festival" nach Shanghai, außerdem steht im März wieder eine neue Premiere an, sämtliche Vorstellungen von "The Black Rider" sind schon jetzt ausverkauft. Und überhaupt, solange Intendanten und Regisseure nach Freimann pilgern, um Ideen und Schauspieler für ihre Häuser zu entdecken, solange dürfte der Traum vom "Theaterwunder" noch nicht ausgeträumt sein. Es geht wohl auch um mehr als Phantasie und Poesie, es geht auch um die Art des Umgangs miteinander, erklärt Jochen Schölch:

    "Ich glaube, was Schauspieler brauchen, ist Sicherheit und, ich will nicht sagen, Geborgenheit, aber sich aufgehoben fühlen, in einer vertrauensvollen Atmosphäre zu arbeiten. In so einer Atmosphäre blühen Schauspieler erstmal auf. Es geht da sehr um Respekt. Und wenn wir über Menschen erzählen wollen, müssen wir auch menschlich arbeiten. Das ist natürlich mit ein Grund, warum es das Ganze hier gibt."