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Minimalismus mit klarer Kante

Die amerikanische Malerin Jo Baer gilt als Wegbereiterin des Minimalismus. Das Museum Ludwig in Köln zeigt eine Retrospektive ihres Werks. Es ist die erste Einzelausstellung in einem deutschen Museum.

Von Georg Imdahl | 24.05.2013
    Die Geschichte mag heute bereits nach Klischee klingen. Sie handelt von der entschlossenen Künstlerin, die in die Domäne einer von Männern beherrschten Kunst einbricht, um ihnen die Stirn zu bieten. Die Bilder, die Jo Baer in den sechziger Jahren bekannt gemacht haben, könnten einfacher kaum sein. Die gesamte Leinwand ist homogen mit weißer Farbe bemalt, keine Handschrift, keinerlei Gestik gibt sich dem Auge zu erkennen.

    Umrandet ist das makellose Weiß allein von einem gemalten schwarzen Rahmen und einer schmalen farbigen Linie. Der Blick auf die große weiße Fläche nimmt diese Farbbänder allenfalls als Widerschein an der Peripherie wahr. Alles Begehren nach einer reinen Abstraktion im 20. Jahrhundert scheint in den Gemälden von Jo Baer vollständig befriedigt. Für eine solche reduzierte Kunst bürgerte sich der Name Minimal Art ein.

    Doch die Wortführer dieser letzten großen Avantgarde der Abstraktion fanden das Medium der Malerei antiquiert. Programmatisch wollten die Künstler Donald Judd und Robert Morris die Brücken zur Tradition einreißen, weshalb sie alle Malerei als erledigt deklarierten. Davon fühlte sich die Malerin Jo Baer naturgemäß angesprochen, und sie wehrte sich heftig in einem heute legendären offenen Brief aus dem Jahr 1967.

    Die erste Einzelausstellung der Amerikanerin in Deutschland überhaupt im Museum Ludwig in Köln hat zahlreiche bestechende solcher Bilder zu bieten, die immer paarweise, als Diptychen, nebeneinander hängen. Die Schau zeigt erstmals auch das zeichnerische Frühwerk der 1929 in Seattle geborenen Künstlerin, das jahrzehntelang in Schuhkartons verschwunden war.
    Umso denkwürdiger, dass Baer den Ansatz ihrer damaligen, durchaus hehren und utopischen Abstraktion heute naiv nennt. Naiv jedenfalls in politischer Hinsicht sei die Idee gewesen, die gegenstandslose Kunst könne so etwas wie eine Individualität in der Gesellschaft verkörpern, wie sie damals gemeint habe.

    Nicht zuletzt die politischen Krisen in Amerika und der ganzen Welt hatten Baer zu der Einsicht gebracht, dass sich Kunst dezidiert politisch begreifen müsse. So bricht sie 1975 ebenso unvermittelt wie kompromisslos mit der Abstraktion und verlässt dafür sogar New York, weil in dieser Stadt vor allem der Markt zähle – der verlange gerade von erfolgreichen Künstlern, immer wieder dasselbe zu machen.

    Baer zieht nach Irland, später nach London und 1984 nach Amsterdam, wo sie bis heute lebt. Sie verlegt sich auf eine von ihr sogenannte "Radikale Figuration". Buchstäblich zu den Wurzeln der Menschheit will die Malerin zurückgehen. In pastellfarbenen Bildern greift Baer prähistorische Motive der Höhlenmalerei auf und bringt archaische Fruchtbarkeitssymbole auf die Leinwand. In einzelnen Werken bespiegelt sie nichts weniger als die antiken Hochkulturen in Griechenland und Ägypten. In fragmentarischen Darstellungen erörtert sie den Aufbau des Parthenon-Frieses und stößt schließlich zu autobiografischen Motiven vor.

    All diese Werke sind erkennbar von einem humanistischen Ethos getragen, und doch: Essenzieller und auf jeden Fall unverwechselbarer als diese angeblich "Radikale Figuration" ist am Ende jene glasklare Abstraktion im Frühwerk. Schon in den sechziger Jahren entlarven ihre minimalistischen Gemälde den oft beschworenen Tod der Malerei als Trugbild.