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Minimalismus
Weniger ist mehr

Anhänger des Minimalismus bevorzugen das einfache Leben: Wenig Konsum, übersichtlicher Kleiderschrank, Lebensmittel ohne Verpackung. Zu Beginn der Bewegung vor zehn Jahren mussten sich minimalistische Menschen vorwiegend über Blogs im Internet austauschen. Inzwischen gibt es in vielen deutschen Städten regelmäßige Treffen.

Von Maike Strietholt | 10.02.2016
    Shoppen in Hamburg
    Was wäre eigentlich, wenn niemand mehr etwas kaufen würde? (picture alliance / dpa / Foto: Daniel Bockwoldt)
    Es ist Sonntagnachmittag, ein Café im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Claudia, 30 Jahre alt, die Hornbrille eingerahmt von dunklen Stirnfransen, ist Organisatorin des Hamburger Minimalismus-Stammtisches und als erste vor Ort – fünf bis zehn Leute erwartet sie noch.
    "Es gibt Familien, es gibt Singles, Alte und Junge. Der Wunsch nach dem reduzierten Leben verbindet alle so, dass es immer sofort so locker und sehr geschmeidig läuft... austauschen über das, was übrig bleibt."
    Übrig geblieben ist für Claudia heute auf jeden Fall ein großer Becher heiße Schokolade, der dampfend vor ihr steht – nicht gerade minimalistisch! Doch als die anderen Stammtischgäste eintrudeln, wird schnell klar, dass es hier nicht um den Verzicht auf Süßigkeiten geht – und auch nicht um die Abstinenz vom Internet. Denn darüber haben sich die meisten hier kennengelernt – auch Jörg, der zum ersten Mal dabei ist:
    "Ich fand das eine interessante Philosophie! Zum Beispiel beim Umzug, wenn man in die hinteren Fächer vom Schrank guckt und dann denkt: Komisch, das lag da jetzt vier Jahre, und ich hab nichtmals gewusst, dass ich's noch hatte – und eigentlich hab ich's auch nie gebraucht."
    Nur das einkaufen, was wirklich nötig ist
    Es gibt Gelächter am Tisch – dieses Phänomen kennen viele. Hier geht es vor allem ums Ausmisten, ums Dinge loswerden. Und eben auch darum, genau das zu vermeiden: Also bewusst nur das einzukaufen, was wirklich nötig ist.
    "Also, ich habe bislang keinen Minimalisten getroffen, der gern rumbummelt oder die Samstagnachmittage in Shoppingmalls verbringt..."
    Barbara, die einen Vollzeitjob in der IT-Branche hat, stellt beispielsweise in ihrer Freizeit gern mal selbst Wasch- und Spülmittel her:
    "Das ist ganz einfach, da nimmst du ein bisschen Kernseife und Natron, und füllst das mit Wasser auf. Da gibt es zig verschiedene Rezepte im Internet! Und das Waschpulver fand ich total super, beim Spüli – es hat nicht geschäumt und war nicht wirklich effektiv, das hat mich so frustriert, dass ich dann wieder Spüli gekauft hab."
    Barbara stört sich bei Fertigprodukten vor allem an den Plastikverpackungen – weswegen sie auch regelmäßig den bislang einzigen verpackungsfreien Laden Hamburgs besucht. Aber sie kauft – zu ihrem eigenen Ärger – auch gern mal andere Dinge ein:
    "Ich habe unglaublich viele Taschen – ich habe auch unglaublich viele Schuhe! Bei Taschen bin ich immer froh, wenn jemand mit mir shoppen ist. Ich habe echt ein Taschenproblem."
    Statt einem Bett nur ein Lattenrost
    Die vielen Schuhe haben Barbara dazu gebracht, die zwei mal 45 Minuten zur täglichen Arbeit zu Fuß zu absolvieren – um die Schuhe endlich mal 'aufzubrauchen', wie sie sagt. Julia hingegen, eine Arbeitskollegin von Barbara, nervt es massiv, wenn daheim Krempel herumsteht, den sie nicht wirklich nutzt:
    "Es ist einfach übersichtlicher – wenn man da nicht fünf Cremes stehen hat, sondern nur eine – da muss ich nicht drüber nachdenken! Oder ich hab nur fünf Pullover, dann weiß ich: Montag zieh ich den an, und Dienstag den und so weiter das ist einfach einfacher!"
    Julias Freund Matthias, der ebenfalls dabei ist – allerdings nur als Begleitung, wie er betont – trägt es mit Fassung, dass Julia statt einem Kleiderschrank nur eine Kleiderstange besitzt und statt einem Bett auch nur ein Lattenrost auf dem Fußboden.
    "Ich bin eh eher so funktional. Zum Beispiel hab ich zwölf Jahre alte Schuhe – und die werfe ich auch nicht weg, weil die am bequemsten sind!"
    Ob das jetzt auch schon minimalistisch ist – Matthias ist sich unsicher. Claudia, die Organisatorin des Stammtisches, ist jedenfalls davon überzeugt, dass unbedachter und ausufernder Konsum nicht nur für Ressourcen und Umwelt ein Problem ist:
    "Die Leute merken, dass dieser ganze Überfluss gar nicht so gut tut. Und da schleicht sich dann immer dieses kollektive schlechte Gewissen ein, wenn man dieses berühmte drei-Euro-T-Shirt kauft. Die Frage ist ja: Was überfordert mich eigentlich, und was überfordert uns als Gesellschaft? Und da hat man viel Spielraum zum weiterdenken, wenn man mal aussortiert."