Archiv


Minutiös recherchiert und glänzend geschrieben

"Die Rächer" heißt das Buch von Aaron Klein über die Jagd des israelischen Geheimdienstes auf die Olympia-Attentäter von München. Der Geheimdienstexperte hat sich die Mühe gemacht, mit vielen Beteiligten zu sprechen und hinter den Kulissen Details zusammenzutragen. Ihm ist ein Beitrag zur Wahrheitsfindung gelungen.

Von Igal Avidan |
    Aaron Kleins Titel – auf Englisch heißt das Buch "Zurückschlagen" - täuscht. Die Geheimdienstler und sogar Premierministerin Golda Meir schworen Rache, aber die Hauptmotivation für die Liquidierungen waren laut Autor Aaron Klein nicht Rache, sondern Prävention und Abschreckung.
    "Nach dem Massaker bei den Olympischen Spielen in München hat Israel eine Anti-Terror-Kampagne mit dem alleinigen Ziel ausgeführt, weitere Terroranschläge durch Palästinenser in Europa zu verhindern. Das war kein Rachefeldzug. Es ist ein Mythos, dass Israel sich an denjenigen gerächt hat, die das Massaker von München geplant und ausgeführt hatten. Das stimmt nicht. Die Palästinenser, die Israel getötet hat, spielten in München keine Rolle. Nur gegen zwei Menschen hegte man den Verdacht, dass sie in München involviert waren. Aber sie wurden getötet, weil sie palästinensische Terrornetze in Rom und Paris geführt hatten. Von hier aus wurden die meisten Terroranschläge gegen Israelis in Europa organisiert."

    Im Februar 1970 verübten Palästinenser einen Anschlag auf israelische Flugpassagiere in München, töteten einen und verletzten 11 von ihnen. Im Mai 1972, vier Monate vor den Olympischen Spielen, ermordeten japanische Terroristen im Auftrag einer palästinensischen Terrorgruppe auf dem Flughafen Lod bei Tel Aviv 25 Menschen. Dennoch waren sowohl die Israelis als auch die Deutschen völlig unvorbereitet auf Terroranschläge. Die Sicherheitsbeamten ignorierten die Warnungen des Leiters der israelischen olympischen Delegation, dass es zu gefährlich sei, das israelische Team im Erdgeschoss eines für jedermann zugänglichen Gebäudes unterzubringen. Ein Zollbeamter am Flughafen Köln ließ zwei Araber samt ihren Waffen unbehelligt über die Grenze. Hätte er die drei Gepäckstücke des einreisenden Paars geprüft, hätte er acht Kalaschnikows, Dutzende von Magazinen mit Patronen und zehn Handgranaten entdeckt. Mit Hilfe dieser Waffen wurden die elf Sportler als Geiseln genommen. Beim Versuch, die Geiseln zu befreien, haben die Deutschen völlig versagt. "Haarsträubend und unverzeihlich" seien ihre Fehler, die direkt zum Tod der israelischen Geiseln führten, schreibt Aaron Klein. Aber Deutschland hat rasch die Konsequenzen gezogen.

    "Die deutschen Sicherheitsbehörden haben nach München sehr schnell das Fiasko eingesehen und ihre Hilflosigkeit gegenüber Terroraktionen begriffen. Sie wandten sich an die Israelis um Hilfe, um eine Spezialeinheit zu gründen. Die Israelis haben sie über die passenden Waffen beraten und führten auch das Training aus, das in Deutschland stattfand. Heute ist die Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes zur Bekämpfung des Terrorismus, die GSG 9, eine der besten Einheiten weltweit. Seit Jahren arbeiten der BND und der Mossad sowie die militärische Aufklärung beider Länder sehr eng zusammen."

    Von diesen Taten berichtet Aaron Klein, der minutiös recherchiert hat und glänzend schreibt. Wie ein Krimi lesen sich die Kapitel über die Liquidierungen durch den Mossad. Klein hat als erster herausgefunden, dass auch der Terrorist Wadija Hadad, ein Weltmeister in Flugzeugentführungen, vom Mossad getötet wurde. Als einziger erpresste Hadad von Israel 1968 erfolgreich die Freilassung palästinensischer Häftlinge. Die Lufthansa zahlte ihm mehrere Millionen Dollar Lösegeld für eine entführte Maschine samt Passagieren. Im Oktober 1972 organisierte er die rätselhafte Lufthansa-Entführung, die zur Freilassung der drei überlebenden Terroristen der Münchner Olympiade führte. Hadad lebte in Bagdad und reiste nur selten. Der Mossad beschloss daher, den Propheten zum Berg zu bringen, schreibt Aaron Klein.

    "Er wurde in Bagdad vergiftet und zwar durch Schokolade. Er war ein großer Schokoladenjunkie. Die Israelis besorgten feinste belgische Schokolade, die sie mit dem passenden Gift präparierten. Eine palästinensische Quelle übergab sie Hadad. Die Annahme war, dass er alles allein aufessen würde, weil er in Bagdad ziemlich einsam war. Und tatsächlich aß er die ganze Schokolade allein und erkrankte schwer. Sein Immunsystem brach zusammen. Dieser Mann, der bis dahin 140 Kilogramm gewogen hat, ein Frauenschwarm, der gern gegessen und getrunken hatte, war bereits sehr abgemagert und krank, als er zur medizinischen Behandlung nach Ost-Berlin ausgeflogen wurde. Wenige Wochen später starb er im März 1978."

    Nicht der Mossad selbst, sondern ein Ministergremium unter Führung des Regierungschefs erteilte dem Geheimdienst die Genehmigung für Tötungsmissionen. Seit Golda Meir erlaubten alle Ministerpräsidenten solche Anfragen des Geheimdienstchefs. Doch manchmal strich der Mossad Namen aus seiner Todesliste aus. In den 70er Jahren jagte man den Palästinenser Abu Daud, der das Münchner Attentat geplant und geleitet hatte. 1981 wurde er in einem Restaurant in Warschau angeschossen und schwer verletzt. Aaron Klein fand heraus, dass der Täter kein Mossad-Agent, sondern ein radikaler Palästinenser war.

    Abu Daud erholte sich in der DDR unter dem Schutz der Stasi und war für Israel nicht mehr interessant. 1996 erlaubte ihm der damalige Regierungschef Shimon Peres sogar, israelisches Gebiet zu betreten. Abu Daud kam aus Jordanien und reiste weiter nach Gaza. Dort nahm er an einer Sitzung des Palästinensischen Nationalrates teil, bei der die Zerstörung Israels aus der PLO-Charta gestrichen wurde. Das war der Hauptgrund für die Einreisegenehmigung.

    Aaron Klein war Militärgeheimdienstler und arbeitet in Israel als Korrespondent des amerikanischen "Time Magazine". Er konnte das Vertrauen von 50 ehemaligen Offizieren des Mossad und des militärischen Nachrichtendienstes nur gewinnen, indem er ihnen versprach, sie keinesfalls namentlich zu nennen. Ihre Aussagen verifizierte er anhand von Dokumenten. Kein einziger seiner Gesprächspartner hatte Ähnlichkeiten mit Avner, dem Mossad-Agenten im neuen Spielberg-Film "München", sagt Klein:

    "Erst einmal: Einen solchen Avner gibt es nicht. So einen gab es nie und wird es wahrscheinlich nicht geben. Ich habe mit über 50 ehemaligen Mossad-Agenten aller Hierarchieebenen gesprochen, die in solche Aktionen verwickelt waren. Nicht nur verspürte keiner von ihnen Schuldgefühle oder Reue wie der Held des Films, sondern sie sehen in ihrer Tätigkeit eine heilige Aufgabe. Auch 30 Jahre danach sind sie stolz auf das, was sie getan haben."

    München stellte eine Zäsur in der israelischen Geschichte dar. Als Folge des Massakers machte Israel Attentate zum Kampfmittel gegen Terroristen. Im Epilog stellt Aaron Klein die Frage, ob die Liquidierungen als Mittel gegen den Terror etwas bewirken – auch heutzutage gegen Anführer von Terrorgruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad. Mordanschläge funktionieren nur manchmal, und ein Ende des Terrors kann nur durch einen politischen Dialog erreicht werden, meint Aaron Klein.

    "Liquidierungen sind eine taktische und keine strategische Waffe, und sie wirken nur für eine begrenzte Zeit. Man löst nicht einen Konflikt zwischen zwei Völkern durch Liquidierungen, sondern stoppt zeitweise die Terroraktivitäten einer bestimmten Organisation, Gruppe, Terrorzelle oder Einzelperson, bis ein anderer diese ersetzt. Nehmen wir die Zeit nach München: Die Israelis sind stolz darauf, dass sie mit diesem damals neuen Instrument den palästinensischen Terror in Europa vernichtet haben. Die Palästinenser hingegen behaupten, dass sie aus eigenem Entschluss den Terror eingestellt hätten, weil sie den politischen Kampf über die UNO bevorzugten."

    Aaron Klein: Die Rächer
    Deutsche Verlagsanstalt, Frankfurt a. M., 2006
    284 Seiten
    17,90 Euro