85 ist sie, exzentrisch, chic, steinreich, verwitwet und glücklich verliebt in den 12 Jahre jüngeren Glücksspieler William. Ihre späte Liebe ist aufregender als alle Romanzen, die ihre Enkelin Sophia je erlebt hat. In "Miss Felicitys kleine Geheimnisse", dem neuen Roman der englischen Schriftstellerin Fay Weldon, versucht Sophia daher, mehr über die spannende Lebensgeschichte ihrer unternehmungslustigen Großmutter herauszufinden, die der Autorin des Buches ein wenig gleicht. Weldon:
Ich glaube, dass ich immer dachte, alt genug zu sein, um die Wahrheit zu sagen. Aber ich spreche heute immer seltener Wahrheiten aus. Wissen Sie, es ist seltsam, aber ich sehe heute mehr als früher ein, dass Takt notwendig ist - im Unterschied zu Felicity. Aber ich bin ja auch noch nicht so alt wie Felicity.
70 ist sie, exzentrisch auf angelsächsische Art, glücklich verheiratet mit dem 18 Jahre jüngeren Musiker Nick Fox, Mutter vier erwachsener Söhne aus zwei früheren Ehen und Großmutter. Überdies hat Fay Weldon in den letzten vier Jahrzehnten ihre Geschichte der modernen Frau geschrieben, mehr als 20 ironisch-intelligente Romane, die in den 50er Jahren beginnen und mit dem Millenium noch lange kein Ende finden. Sie ist keine dogmatische Feministin, sie weist Ideologien zurück, sie konzentriert sich auf erfahrbare Realitäten. So zeichnet sie die Folgen der sexuellen Revolution in unserer Zeit auf, in der junge Frauen wie Sophia, Protagonistin ihres neuen Romans, auf eine eigene Familie verzichten. Singles sind "in". "Out" hingegen ist die Großfamilie, wie Fay Weldon sie gegründet hat.
Familie ist sehr wichtig für mich, weil ich kaum eine hatte. Ich hielt es immer für erstrebenswert, einen Stammbaum weiterzuentwickeln, für eine ganz besondere Sache, die mir stets sehr wichtig war. Aber ich habe große Sympathien für Sophia, die frei sein möchte und ihr eigenes Leben leben will. Ich glaube, dass eine junge Frau heute lange darüber nachdenkt, bevor sie ein Kind bekommt - insbesondere, wenn sie gebildet ist.
Sophia ist 35, Film-Cutterin, selbständig, unabhängig, kurz, ein echter Single. Sie lebt in einer engen Wohnung in Londons Szeneviertel Soho, in der ihre wechselnden Liebhaber, unter ihnen der Regisseur Harry Krassner, gelegentlich eine Nacht verbringen. Seit dem frühen Tod der wahnsinnnigen Mutter ist die geliebte Großmutter in Rhode Island, USA, Sophias einzige Verwandte. Was wird geschehen, wenn Felicity sterben sollte?
Dann konnte ich endlich nur noch ich sein, aus dem Nichts entsprungen, Produkt meiner Generation - die Vergangenheit irrelevant, die Familiengeschichte vergessen -, und als Teil der neuen Londoner Ciabatta-Kultur (um einen Ausdruck des großen Harry Krassner zu benutzen) die unzähligen Freuden des Hier und Jetzt unbeschwert genießen. Ich selbst, Sophia King, Cutterin, Tag um Tag in einem fensterlosen Raum mit schlechter Klimaanlage und dem beruhigenden Summen computerisierter Technologien zubringend, aber frei von Vergangenheit. Ich fand es weitaus einfacher, Harry Krassners qualitativ sehr unterschiedliches Rohmaterial zu deuten als das wirkliche Leben; und lieber ließ ich mir von Filmbildern Anfänge, Mittelpunkte, Enden und Moral liefern. Das wirkliche Leben hat nie einen ordentlichen Plot, wird nie vernünftig erläutert, kein Jüngstes Gericht klärt die Dinge auf, Gott ist nichts als ein unzuverlässiger Cutter, der, zu faul, das Rohmaterial zu verstehen, garantiert mitten im Geschehen zur Beerdigung seiner Großmutter jettet.
Die junge Frau hingegen jettet nicht zur Beerdigung, sondern zum Umzug ihrer Großmutter nach Amerika. Während dieser Reise spult sich Felicitys Lebensgeschichte in Sophias Kopf ab wie ein Film, in dem verschiedene Ehemänner auftreten, ein eheliches und ein uneheliches Kind, das zur Adoption freigegeben wurde - damals, in den 50em, als die ledige Mutter die Albtraumgestalt einer Gesellschaft war, die allein die Ehe als Reproduktionsgemeinschaft vorsah. Sophia findet die ihr bisher unbekannte Tante in einem Sterbehospiz. Das ist nicht die Wahlverwandtschaft, nicht die Wunschfamilie, von der sie insgeheim träumt. Aber als sie sich in Felicitys Arme flüchten will, liegt dort schon William, der neue Ehemann der Großmutter. Am Ende des Romans ahnt Sophia, dass sie sich nach einer eigenen Familie sehnt. Fraglich ist, ob sie mit Kindern glücklicher sein wird als Felicity es war.
Ich finde, Frauen sind immer noch Gefangene. Sie sind Gefangene ihrer Natur, ihrer Körper - weniger als früher, aber sie sind es noch immer. Jede Frau, die ein Kind hat, ist die Gefangene ihrer eigenen Gefühle. Die Frau von heute weiß das und löst das Problem meist, indem sie überhaupt kein Kind bekommt oder höchstens eins, nicht mehr, denn die Gesellschaft macht es ihr schwer, Kinder zu haben. Mich schockiert dieser plötzliche Abfall der Geburtenrate in ganz Europa, der dadurch begründet ist, dass man von den Frauen erwartet, auf eine ganz bestimmte Weise zu leben. Das hat nichts mit Selbstsucht zu tun und sehr wenig mit Feminismus. Nein, Feminismus ist meiner Meinung nach nicht der Grund für den Lebensstil junger Frauen von heute. Vielmehr ist es die Konsumgesellschaft, gesellschaftliche Werte, die Menge Arbeit, die Frauen heute leisten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre Kinder aufzuziehen.
Immerhin verzeichnet die Chronistin der Frauenbewegung in ihrem neuen, rund 400 Seiten starken Roman auch die Fortschritte, die es in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegeben hat. In lebendigen Szenen und Dialogen schildert Fay Weldon die verschiedenen Lebensentwürfe zweier Frauen, die vieles miteinander verbindet, obwohl ein Altersunterschied von einem halben Jahrhundert sie trennt. Einfühlsam erforscht sie die unbewussten Sehnsüchte einer emanzipierten Frauengeneration, die mit alten Zwängen und Mustern auch alte Wünsche und Ziele aufgegeben hat, obwohl sie immer noch lebenswert sind.
Ich glaube, dass ich immer dachte, alt genug zu sein, um die Wahrheit zu sagen. Aber ich spreche heute immer seltener Wahrheiten aus. Wissen Sie, es ist seltsam, aber ich sehe heute mehr als früher ein, dass Takt notwendig ist - im Unterschied zu Felicity. Aber ich bin ja auch noch nicht so alt wie Felicity.
70 ist sie, exzentrisch auf angelsächsische Art, glücklich verheiratet mit dem 18 Jahre jüngeren Musiker Nick Fox, Mutter vier erwachsener Söhne aus zwei früheren Ehen und Großmutter. Überdies hat Fay Weldon in den letzten vier Jahrzehnten ihre Geschichte der modernen Frau geschrieben, mehr als 20 ironisch-intelligente Romane, die in den 50er Jahren beginnen und mit dem Millenium noch lange kein Ende finden. Sie ist keine dogmatische Feministin, sie weist Ideologien zurück, sie konzentriert sich auf erfahrbare Realitäten. So zeichnet sie die Folgen der sexuellen Revolution in unserer Zeit auf, in der junge Frauen wie Sophia, Protagonistin ihres neuen Romans, auf eine eigene Familie verzichten. Singles sind "in". "Out" hingegen ist die Großfamilie, wie Fay Weldon sie gegründet hat.
Familie ist sehr wichtig für mich, weil ich kaum eine hatte. Ich hielt es immer für erstrebenswert, einen Stammbaum weiterzuentwickeln, für eine ganz besondere Sache, die mir stets sehr wichtig war. Aber ich habe große Sympathien für Sophia, die frei sein möchte und ihr eigenes Leben leben will. Ich glaube, dass eine junge Frau heute lange darüber nachdenkt, bevor sie ein Kind bekommt - insbesondere, wenn sie gebildet ist.
Sophia ist 35, Film-Cutterin, selbständig, unabhängig, kurz, ein echter Single. Sie lebt in einer engen Wohnung in Londons Szeneviertel Soho, in der ihre wechselnden Liebhaber, unter ihnen der Regisseur Harry Krassner, gelegentlich eine Nacht verbringen. Seit dem frühen Tod der wahnsinnnigen Mutter ist die geliebte Großmutter in Rhode Island, USA, Sophias einzige Verwandte. Was wird geschehen, wenn Felicity sterben sollte?
Dann konnte ich endlich nur noch ich sein, aus dem Nichts entsprungen, Produkt meiner Generation - die Vergangenheit irrelevant, die Familiengeschichte vergessen -, und als Teil der neuen Londoner Ciabatta-Kultur (um einen Ausdruck des großen Harry Krassner zu benutzen) die unzähligen Freuden des Hier und Jetzt unbeschwert genießen. Ich selbst, Sophia King, Cutterin, Tag um Tag in einem fensterlosen Raum mit schlechter Klimaanlage und dem beruhigenden Summen computerisierter Technologien zubringend, aber frei von Vergangenheit. Ich fand es weitaus einfacher, Harry Krassners qualitativ sehr unterschiedliches Rohmaterial zu deuten als das wirkliche Leben; und lieber ließ ich mir von Filmbildern Anfänge, Mittelpunkte, Enden und Moral liefern. Das wirkliche Leben hat nie einen ordentlichen Plot, wird nie vernünftig erläutert, kein Jüngstes Gericht klärt die Dinge auf, Gott ist nichts als ein unzuverlässiger Cutter, der, zu faul, das Rohmaterial zu verstehen, garantiert mitten im Geschehen zur Beerdigung seiner Großmutter jettet.
Die junge Frau hingegen jettet nicht zur Beerdigung, sondern zum Umzug ihrer Großmutter nach Amerika. Während dieser Reise spult sich Felicitys Lebensgeschichte in Sophias Kopf ab wie ein Film, in dem verschiedene Ehemänner auftreten, ein eheliches und ein uneheliches Kind, das zur Adoption freigegeben wurde - damals, in den 50em, als die ledige Mutter die Albtraumgestalt einer Gesellschaft war, die allein die Ehe als Reproduktionsgemeinschaft vorsah. Sophia findet die ihr bisher unbekannte Tante in einem Sterbehospiz. Das ist nicht die Wahlverwandtschaft, nicht die Wunschfamilie, von der sie insgeheim träumt. Aber als sie sich in Felicitys Arme flüchten will, liegt dort schon William, der neue Ehemann der Großmutter. Am Ende des Romans ahnt Sophia, dass sie sich nach einer eigenen Familie sehnt. Fraglich ist, ob sie mit Kindern glücklicher sein wird als Felicity es war.
Ich finde, Frauen sind immer noch Gefangene. Sie sind Gefangene ihrer Natur, ihrer Körper - weniger als früher, aber sie sind es noch immer. Jede Frau, die ein Kind hat, ist die Gefangene ihrer eigenen Gefühle. Die Frau von heute weiß das und löst das Problem meist, indem sie überhaupt kein Kind bekommt oder höchstens eins, nicht mehr, denn die Gesellschaft macht es ihr schwer, Kinder zu haben. Mich schockiert dieser plötzliche Abfall der Geburtenrate in ganz Europa, der dadurch begründet ist, dass man von den Frauen erwartet, auf eine ganz bestimmte Weise zu leben. Das hat nichts mit Selbstsucht zu tun und sehr wenig mit Feminismus. Nein, Feminismus ist meiner Meinung nach nicht der Grund für den Lebensstil junger Frauen von heute. Vielmehr ist es die Konsumgesellschaft, gesellschaftliche Werte, die Menge Arbeit, die Frauen heute leisten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre Kinder aufzuziehen.
Immerhin verzeichnet die Chronistin der Frauenbewegung in ihrem neuen, rund 400 Seiten starken Roman auch die Fortschritte, die es in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegeben hat. In lebendigen Szenen und Dialogen schildert Fay Weldon die verschiedenen Lebensentwürfe zweier Frauen, die vieles miteinander verbindet, obwohl ein Altersunterschied von einem halben Jahrhundert sie trennt. Einfühlsam erforscht sie die unbewussten Sehnsüchte einer emanzipierten Frauengeneration, die mit alten Zwängen und Mustern auch alte Wünsche und Ziele aufgegeben hat, obwohl sie immer noch lebenswert sind.