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Missbrauchsvorwürfe
James Levine von der Met suspendiert

Über mehr als vier Jahrzehnte war James Levine der Stardirigent der New Yorker Metropolitan Opera. Doch als Vorwürfe über sexuellen Missbrauch laut wurden, folgte der Sturz: Nachdem er über 2.500 mal am Dirigentenpult gestanden hatte, wurde Levine von der Met suspendiert.

Von Kai Clement | 04.12.2017
    James Levine dirigiert das Boston Symphony Orchestra beim Luzern-Festival (Archivfoto vom 26.08.2007).
    Bestreitet die Anschuldigungen: Der Dirigent James Levine (picture alliance / dpa / Sigi Tischler)
    Für die Metropolitan Opera sei er bereit alles zu geben, hat James Levine einmal gesagt. Die weltberühmte New Yorker Oper sei die Verbindung seines Lebens - eine Ehe geradezu.
    Er war der Stardirigent der Met über mehr als vier Jahrzehnte. Er prägte und formte sie derartig, dass die beiden Namen untrennbar schienen. Mehr als 2.500 mal hat er dort am Pult gestanden, zuletzt selbst vom Rollstuhl aus dirigiert. Auch angesichts seiner zunehmenden Parkinson-Erkrankung ging er nicht ganz - er verabschiedete sich lediglich in das neu geschaffene Amt eines Musikdirektors Emeritus.
    Aus dieser Höhe eines musikalischen Halbgottes kam der gewaltige Sturz.
    Vorwürfe aus den 60er-Jahren
    Noch Sonntagmorgen hatte die Met angekündigt, die Missbrauchsvorwürfe gegen James Levine selbst prüfen zu wollen. Doch keine 24 Stunden nach dieser Ankündigung ist Levine suspendiert, alle geplanten Aufführungen mit ihm am Pult sind zunächst abgesagt - auch Puccinis "Tosca". Geplant für Silvester wäre die Oper sicher ein weiteres Levine-Fest in New York geworden.
    Einen damals 15-jährigen Jungen soll Levine Ende der 60er-Jahre missbraucht haben. Der Fall ist seit vergangenem Jahr bei der Polizei aktenkundig. Aber, verteidigt sich Met-Chef Gelb, seitdem habe man weiter nichts mehr gehört. James Levine selbst habe die Vorwürfe damals als vollkommen falsch zurück gewiesen. Am Sonntagabend aber veröffentlicht die "New York Times" ähnliche Aussagen von zwei weiteren Männern. Für die Met war das der Zeitpunkt zum Handeln, zur Suspendierung.
    Nicht nur die Musikkritikerin Anne Midgette von der "Washington Post" stellt jetzt Fragen zum Opferschutz.
    "Ging es der Oper darum, ihn zu schützen? Das wird jetzt untersucht. Sie wissen seit mindestens einem Jahr von den Vorwürfen. Aber sie kümmern sich erst jetzt darum, wo sie öffentlich wurden."
    Oper war seit Jahren über Vorwürfe informiert
    Met-Chef Gelb hat gegenüber der "New York Times" eingeräumt, die Oper habe sich schon vor fast 40 Jahren, 1979 nämlich, mit ähnlichen Beschuldigungen befasst. Grundlage damals war ein anonymer Brief. Geschehen ist nichts.
    Johanna Fiedler, ehemaliger Pressechefin der Met, hat in ihrem Buch "Molto agitato" über die Met bereits 2001 die Gerüchte aufgegriffen. Ganz ähnlich also wie bei dem ersten großen Prominenten-Skandal um sexuellen Missbrauch, bei dem Film-Produzenten Harvey Weinstein, reibt man sich die Augen, warum nicht schon früher etwas geschehen ist. Klassik-Expertin Anne Midgette im Interview mit dem Sender NBC:
    "Der Traditionalismus dieses Gebiets führt dazu, alles ruhig halten zu wollen. Das fördert die Veröffentlichung von dergleichen nicht."
    Die Metropolitan Opera hat heute erklärt, sich vorerst nicht mehr äußern zu wollen. Sie prüfe mit Hilfe einer Anwaltskanzlei die Vorwürfe, die die 60er- bis 80er-Jahre betreffen, so ihre letzte Stellungnahme via Twitter. Und Peter Gelb hat in dieser schriftlichen Erklärung mitgeteilt, die Entwicklung sei eine Tragödie für jeden, dessen Leben davon in Mitleidenschaft gezogen werde. Das sind natürlich vor allem die mutmaßlichen Opfer, die hinter der Prominenz des - ebenfalls vorerst mutmaßlichen - Täters zu verschwinden drohen.
    Am Samstagabend noch hat James Levine Verdis Requiem dirigiert. Vielleicht war das sein letzter großer Auftritt.