Sonntag, 28. April 2024

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Misshandlungen bei den Regensburger Domspatzen
Sonderermittler beklagt "Kultur des Schweigens"

Bei den Regensburger Domspatzen wurden bis in die 1990er-Jahre mindestens 547 Jungen körperlich oder sexuell misshandelt. Das geht aus dem Abschlussbericht eines mit der Aufklärung betrauten Sonderermittlers hervor. Als mutmaßliche Täter wurden 49 Personen ermittelt.

18.07.2017
    Ein Schild weist den Weg zum Gymnasium der Regensburger Domspatzen, aufgenommen am 12.10.2016 in Regensburg (Bayern).
    Georg Ratzinger leitete den Chor der Regensburger Domspatzen lange. Er bestreitet, von den Missbrauchsfällen gewusst zu haben. (dpa/Armin Weigel)
    Laut Sonderermittler Ulrich Weber haben seit 1945 500 Schüler körperliche Gewalt erlebt, 67 wurden Opfer sexueller Übergriffe, einige beides. Als mutmaßliche Täter wurden Webers Bericht zufolge 49 Personen ermittelt. Neun von ihnen hätten Schüler sexuell missbraucht. Schwerpunktmäßig hätten sich die Taten in den 1960er und 1970er Jahren ereignet.
    "Kultur des Schweigens" bei Verantwortlichen
    Weber sagte, Opfer hätten ihre Zeit bei den Domspatzen als "Gefängnis, Hölle oder Konzentrationslager" beschrieben. Physische Gewalt sei alltäglich gewesen. Der Sonderermittler erklärte weiter, es habe bei den Verantwortungsträgern eine "Kultur des Schweigens" gegeben. Sie hätten mindestens ein Halbwissen über die Vorfälle gehabt, aber nur ein geringes Interesse an der Aufarbeitung.
    Der Anwalt Weber hatte zwei Jahre am Abschlussbericht zum Misshandlungsskandal gearbeitet. Vertreter des Bistums und des weltberühmten Knabenchors sollen nach seiner Präsentation Stellung nehmen. Das Bistum Regensburg hat den Opfern unter anderem sogenannte Anerkennungsleistungen zugesagt. Sie liegen pro Person zwischen 5.000 und 20.000 Euro. Aufgrund der großen Zahl der Fälle war die Veröffentlichung des Berichts mehrfach verschoben worden.
    Neuer Bischof trieb Aufklärung voran
    Bischof Rudolf Voderholzer hat seit seiner Amtseinführung 2013 die Aufklärung maßgeblich vorangetrieben. Er könne es nicht ungeschehen machen und "die Opfer nur um Vergebung bitten", sagte er im vergangenen Herbst.
    Voderholzers Vorgänger, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, war vorgeworfen worden, die Aufklärung behindert zu haben. Er hatte gesagt, der Missbrauch durch Priester sei von Medien aufgebauscht worden. Er wehrte sich gegen den Verdacht, der Aufklärung entgegengestanden zu haben. Auch die Rolle von Georg Ratzinger, dem Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI., wird seit Bekanntwerden des Skandals hinterfragt. Er war jahrzehntelang Leiter der Domspatzen - und bestreitet, vom Missbrauch gewusst zu haben.
    (vic/am)