Schmitz: In Paris ändert sich was. Weil einer sich bereit erklärt hat, zu gehen. Serge July, der legendäre Chef der französischen Tageszeitung "Libération". 1973 hatte der damalige Maoist July das heute linksliberale Blatt gegründet, zusammen mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre. Im vergangenen Jahr hatte sich der Unternehmer Edouard de Rothschild in die finanziell marode Zeitung eingekauft. Fast 40 Prozent gehören ihm nun, doch trotz rigiden Sparplans und Stellenabbaus machte die "Libération" allein im April einen Verlust von knapp einer Million Euro. Rothschild wirft July Misswirtschaft vor. Er will jedoch die Zeitung mit einer neuen Finanzspritze von 15 Millionen Euro versorgen, aber nur wenn July den Platz räumt.
Betrieb Serge July Misswirtschaft oder findet eine linksliberale Zeitung heute einfach nicht mehr genug Leser – habe ich Jürgen Ritte in Paris gefragt.
Ritte: Ja, beides muss man sagen. Misswirtschaft hat July schon seit langem betrieben oder zumindest eine sehr unglückliche Hand bewiesen in den letzten Jahren. "Libération" hat sich ja mehrfach gehäutet und geändert. Sie sprachen eben von den maoistischen Ursprüngen, mit denen war es spätestens 1981 vorbei, im Mai 1981 vorbei. Und das war im Grunde genommen kein Zufall, denn gleichzeitig hatte ja mit Mitterand zum ersten Mal ein linker Präsident die Macht angetreten in Frankreich. Und so ging die Linke dann in Frankreich den Weg der Sozialdemokratie und "Libération" wandelte sich zum linken, aber eher linksliberalen Blatt, also sagen wir salonfähigen Linken und nicht mehr maoistischen Linken. Und in den 90er Jahren versuchte "Libération" auch aufzuspringen auf den kurzzeitig expandierenden Zeitungsmarkt. Das haben andere auch gemacht, das hat es ja auch in Deutschland gegeben. Und er gründete "July Libération III". Das war ein wahnsinnig ehrgeiziges Unternehmen, das ein Jahr später schon mit einer absoluten Bruchlandung endete. Und da war "Libération" zum ersten Mal gezwungen, mehrheitlich fremdes Kapital aufzunehmen.
Schmitz: Für welches Denken stand und steht Serge July und seine "Libération"?
Ritte: Das kommt darauf an, auf welchem Standpunkt man selber steht. Die französischen Alt-Linken, von denen gibt es ja hier eine ganze Menge noch, die haben ihm immer so etwas wie Verrat vorgeworfen, also dass er eben den Weg allen Fleisches gegangen sei und sich immer mehr zum Salon-Linken, zur gauche caviar, wie das heißt, zur Kaviar-Linken gewandelt habe. Trotzdem hat "Libération" bis zum Schluss - wir wissen ja nicht ob es jetzt schon Schluss ist, aber bis gestern - immer noch doch eher linke Positionen vertreten und auch versucht, vergeblich versucht, die Jugend als Leserschaft zu mobilisieren und zu gewinnen. Das war für die alten Leser von "Libération" teilweise eine Zumutung. Der Versuch sozusagen, absolut modisch und trendig zu sein.
Schmitz: Ist die "Libération" so etwas geworden, wie die "taz" in Deutschland für die Deutschen?
Ritte: Ja, kann man sagen. Wobei die "taz" manchmal doch noch immer etwas lustiger und radikaler ist. Bei "Libération", die war eine Zeit lang sehr berühmt für ihre sehr witzigen, wortspielerischen Überschriften, in denen im Grunde genommen schon alles gesagt war, also sehr satirisch formuliert war. Alles das hat sehr stark nachgelassen. Das hat sie auch sehr viele Leser in den letzten Jahren gekostet.
Schmitz: Welche Stellung hat denn die Zeitung dann heute in der französischen Zeitungslandschaft? Steht sie einzigartig da, wäre es ein großer Verlust, wenn dieses Segment wegbrechen würde?
Ritte: Es ist zu befürchten, dass es ein so großer Verlust gar nicht wäre. Das linke Spektrum wird zum Teil halt immer noch auch von "Le Monde" abgedeckt. Und "Libération" hat eben auch kaum noch Leser. Das ist natürlich ein riesiges Problem. Aber nicht nur "Libération", alle Zeitungen kämpfen um Leser in Frankreich. Die deutsche Presse hat auch Probleme, aber das sind Luxusprobleme im Vergleich zur französischen Presse, die immer mehr auch in den Einflussbereich gerät von pressefremden und pressefernen Geldgebern. Das sind Finanzgruppen, es sind Betonmischer, es sind Waffenschmiede wie Lagardere, denen die französischen Medien gehören. Und die haben ganz bestimmte Vorstellungen von Presse und Zeitungen. Das sind für die meistens dann auch nur noch Werbeträger, und das hat auch der Qualität des französischen Journalismus ganz empfindlichen Schaden zugeführt.
Schmitz: Ist denn der Großaktionär Edouard de Rothschild auch ein solcher, der Zeitung eigentlich fremder Aktionär?
Ritte: Ja, er ist ein zeitungsfremder Aktionär. Er ist ein Financier. Das ist jemand, der sein Geld dadurch verdient, dass er es irgendwo arbeiten lässt. Bei "Libération" hat er es natürlich auch reingesteckt in der Hoffnung, dass irgendwann mal etwas rauskommt. Er hätte das Geld wahrscheinlich im Immobilienmarkt besser anlegen können, insofern kann man sagen, er war immerhin pressefreundlich. Aber er erwartet schon eine bessere Führung, mehr Rendite aus dieser Zeitung. Und er ist von sich aus bereit, diese 15 zusätzlichen Millionen, von denen Sie eben gesprochen haben, in das Blatt reinzuschießen. Allerdings nur, wenn Serge July seinen Hut nimmt.
Schmitz: Ja, das hat er ja als Bedingung an sein Gehen geknüpft. Aber wird denn Rothschild auch ein Interesse haben, das Blatt inhaltlich umzukrempeln?
Ritte: Das tun irgendwann, so zeigt die Erfahrung ja in Frankreich, alle Besitzer von Zeitungsblättern. Wir haben den Flugzeugkonstrukteur Dassault als Besitzer von "Le Figaro". Er hat sich lange im Hintergrund gehalten, aber immer wieder versucht er, in die Redaktion einzugreifen. Das haben wir auch im "L'Express". Das haben wir fast überall. Bisher hat es das bei Rothschild noch nie gegeben und er hat auch bisher keinerlei Anstalten gemacht oder Anzeichen gegeben, dass er das in Zukunft tun will. Ihm geht es im Moment eigentlich nur darum, dass das Geld, das er im letzten Jahr hineingesteckt hat, 20 Millionen haben Sie gesagt, die jetzt schon restlos durch den Wind sind, dass dieses Geld doch ein bisschen mehr einbringt und ein bisschen gewinnbringender und ein bisschen nützlicher verwaltet wird.
Schmitz: Jürgen Ritte über die Krise der "Libération".
Betrieb Serge July Misswirtschaft oder findet eine linksliberale Zeitung heute einfach nicht mehr genug Leser – habe ich Jürgen Ritte in Paris gefragt.
Ritte: Ja, beides muss man sagen. Misswirtschaft hat July schon seit langem betrieben oder zumindest eine sehr unglückliche Hand bewiesen in den letzten Jahren. "Libération" hat sich ja mehrfach gehäutet und geändert. Sie sprachen eben von den maoistischen Ursprüngen, mit denen war es spätestens 1981 vorbei, im Mai 1981 vorbei. Und das war im Grunde genommen kein Zufall, denn gleichzeitig hatte ja mit Mitterand zum ersten Mal ein linker Präsident die Macht angetreten in Frankreich. Und so ging die Linke dann in Frankreich den Weg der Sozialdemokratie und "Libération" wandelte sich zum linken, aber eher linksliberalen Blatt, also sagen wir salonfähigen Linken und nicht mehr maoistischen Linken. Und in den 90er Jahren versuchte "Libération" auch aufzuspringen auf den kurzzeitig expandierenden Zeitungsmarkt. Das haben andere auch gemacht, das hat es ja auch in Deutschland gegeben. Und er gründete "July Libération III". Das war ein wahnsinnig ehrgeiziges Unternehmen, das ein Jahr später schon mit einer absoluten Bruchlandung endete. Und da war "Libération" zum ersten Mal gezwungen, mehrheitlich fremdes Kapital aufzunehmen.
Schmitz: Für welches Denken stand und steht Serge July und seine "Libération"?
Ritte: Das kommt darauf an, auf welchem Standpunkt man selber steht. Die französischen Alt-Linken, von denen gibt es ja hier eine ganze Menge noch, die haben ihm immer so etwas wie Verrat vorgeworfen, also dass er eben den Weg allen Fleisches gegangen sei und sich immer mehr zum Salon-Linken, zur gauche caviar, wie das heißt, zur Kaviar-Linken gewandelt habe. Trotzdem hat "Libération" bis zum Schluss - wir wissen ja nicht ob es jetzt schon Schluss ist, aber bis gestern - immer noch doch eher linke Positionen vertreten und auch versucht, vergeblich versucht, die Jugend als Leserschaft zu mobilisieren und zu gewinnen. Das war für die alten Leser von "Libération" teilweise eine Zumutung. Der Versuch sozusagen, absolut modisch und trendig zu sein.
Schmitz: Ist die "Libération" so etwas geworden, wie die "taz" in Deutschland für die Deutschen?
Ritte: Ja, kann man sagen. Wobei die "taz" manchmal doch noch immer etwas lustiger und radikaler ist. Bei "Libération", die war eine Zeit lang sehr berühmt für ihre sehr witzigen, wortspielerischen Überschriften, in denen im Grunde genommen schon alles gesagt war, also sehr satirisch formuliert war. Alles das hat sehr stark nachgelassen. Das hat sie auch sehr viele Leser in den letzten Jahren gekostet.
Schmitz: Welche Stellung hat denn die Zeitung dann heute in der französischen Zeitungslandschaft? Steht sie einzigartig da, wäre es ein großer Verlust, wenn dieses Segment wegbrechen würde?
Ritte: Es ist zu befürchten, dass es ein so großer Verlust gar nicht wäre. Das linke Spektrum wird zum Teil halt immer noch auch von "Le Monde" abgedeckt. Und "Libération" hat eben auch kaum noch Leser. Das ist natürlich ein riesiges Problem. Aber nicht nur "Libération", alle Zeitungen kämpfen um Leser in Frankreich. Die deutsche Presse hat auch Probleme, aber das sind Luxusprobleme im Vergleich zur französischen Presse, die immer mehr auch in den Einflussbereich gerät von pressefremden und pressefernen Geldgebern. Das sind Finanzgruppen, es sind Betonmischer, es sind Waffenschmiede wie Lagardere, denen die französischen Medien gehören. Und die haben ganz bestimmte Vorstellungen von Presse und Zeitungen. Das sind für die meistens dann auch nur noch Werbeträger, und das hat auch der Qualität des französischen Journalismus ganz empfindlichen Schaden zugeführt.
Schmitz: Ist denn der Großaktionär Edouard de Rothschild auch ein solcher, der Zeitung eigentlich fremder Aktionär?
Ritte: Ja, er ist ein zeitungsfremder Aktionär. Er ist ein Financier. Das ist jemand, der sein Geld dadurch verdient, dass er es irgendwo arbeiten lässt. Bei "Libération" hat er es natürlich auch reingesteckt in der Hoffnung, dass irgendwann mal etwas rauskommt. Er hätte das Geld wahrscheinlich im Immobilienmarkt besser anlegen können, insofern kann man sagen, er war immerhin pressefreundlich. Aber er erwartet schon eine bessere Führung, mehr Rendite aus dieser Zeitung. Und er ist von sich aus bereit, diese 15 zusätzlichen Millionen, von denen Sie eben gesprochen haben, in das Blatt reinzuschießen. Allerdings nur, wenn Serge July seinen Hut nimmt.
Schmitz: Ja, das hat er ja als Bedingung an sein Gehen geknüpft. Aber wird denn Rothschild auch ein Interesse haben, das Blatt inhaltlich umzukrempeln?
Ritte: Das tun irgendwann, so zeigt die Erfahrung ja in Frankreich, alle Besitzer von Zeitungsblättern. Wir haben den Flugzeugkonstrukteur Dassault als Besitzer von "Le Figaro". Er hat sich lange im Hintergrund gehalten, aber immer wieder versucht er, in die Redaktion einzugreifen. Das haben wir auch im "L'Express". Das haben wir fast überall. Bisher hat es das bei Rothschild noch nie gegeben und er hat auch bisher keinerlei Anstalten gemacht oder Anzeichen gegeben, dass er das in Zukunft tun will. Ihm geht es im Moment eigentlich nur darum, dass das Geld, das er im letzten Jahr hineingesteckt hat, 20 Millionen haben Sie gesagt, die jetzt schon restlos durch den Wind sind, dass dieses Geld doch ein bisschen mehr einbringt und ein bisschen gewinnbringender und ein bisschen nützlicher verwaltet wird.
Schmitz: Jürgen Ritte über die Krise der "Libération".