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Mit Absicht gegrunzt

Neurobiologie. - Auf die Frage, ob Tiere überhaupt in der Lage sind, über einen eventuell zu tätigenden Ruf, Schrei oder Pfiff nachzudenken, gab es bislang keine Antwort. Auf die Suche nach dieser haben sich nun Tübinger Neurobiologen begeben und zwar bei Rhesusaffen.

Von Michael Stang | 04.10.2013
    "Die Grundfrage war: Können Rhesusaffen willentlich ihre Stimme kontrollieren?"

    Was sich naiv anhört, so Steffen Hage, sei nichts weniger als eine der essenziellen Fragen der Biologie. Nur jene Lebewesen, die ihre Lautäußerungen willentlich kontrollieren können, besitzen die Voraussetzung für eine Lautsprache. Menschen sind bekanntermaßen zur Lautsprache fähig, jedoch zählt nicht jeder Laut, der unsere Lippen verlässt, zwangsläufig zur gesprochenen Sprache.

    "Lachen, Weinen, Schreien, Stöhnen. Wir verwenden diese Laute in unterschiedlichen emotionalen Situationen. Und so kann man das eigentlich auch vergleichen mit den Affen generell. Die produzieren Laute, wenn sie in einer gewissen emotionalen Stimmung sind."

    Das akustische Spektrum der Rhesusaffen sei groß, so der Neurobiologe der Universität Tübingen. Die Altweltaffen zwitschern mitunter Vögeln gleich, grunzen als Lautäußerung einem Gegenüber zu und rufen tief in den Wald hinein, um Artgenossen zu informieren. Um zu testen, ob diese Tiere ihr Repertoire auch gezielt - im Sinne von "bewusst" - einsetzen, nahmen Steffen Hage und seine Kollegen einige Tiere mit ins Labor, wo diese am Computer spielen sollten: sitzend vor einem Bildschirm, den Kopf fixiert, einen Joystick in der Hand, mit dem sie selbst steuern können, wann der Versuch gestartet werden soll.

    "Und dann bekommen die Tiere gewisse Stimuli gezeigt, auf die sie dann vokalisieren müssen oder auch nicht."

    Das Training habe ihn ein Jahr Arbeit gekostet, so der Neurobiologe. Denn die Affen mussten erst lernen, dass es Lichtpunkte am Monitor gab, bei denen sie rufen sollten, aber auch Signale erschienen, bei denen sie schweigen sollten. Lagen die Versuchstiere richtig, bekamen sie als Belohnung und Verstärker ein Schlückchen Saft.

    "Wir hatten unterschiedliche Tiere; jedes Tier hat eine andere Lautäußerung von sich gegeben. Das waren teilweise Laute, die für Kommunikation über länge Distanz verwendet werden, aber auch Laute, die für kurze Distanzen nützlich sind."

    Nachdem die Rhesusaffen trainiert waren, folgten eine Reihe Tests, bei denen geklärt werden sollte, ob die Tiere tatsächlich ihre Rufe kontrollieren können oder nicht. Bei den Prüfungen erschien ein Stimulus an Monitor, bei dem die Affen nicht vokalisieren durften, erst beim zweiten Stimulus durften sie dann grunzen oder rufen, um die Belohnung zu bekommen. Das Ergebnis war eindeutig.

    "Rhesusaffen sind in der Lage, ihre Lautäußerungen willentlich zu kontrollieren. Und daraus könnte man schlussfolgern, dass unsere letzten gemeinsamen Vorfahren auch schon in der Lage waren, willentlich ihre Stimme zu kontrollieren, weil das eben ein ganz, ganz wichtiger Punkt ist bei der Sprachentwicklung."

    Soll heißen: Diese Fähigkeit hat sich vermutlich schon vor mehr als 20 Millionen Jahren entwickelt. In einem weiteren Experiment untersuchten die Forscher, ob dieses Verhalten im Stirnhirn der Affen gesteuert wird, dem so genannten Broca-Areal.

    "Wir wollten einfach wissen, welche Struktur im Gehirn steuert dieses willentliche Verhalten? Und da haben wir uns eben das Broca-Areal angeschaut, weil das eben die Struktur ist, die beim Menschen für die Sprache zuständig ist. Und was wir eben jetzt zeigen können ist, dass obwohl die Tiere nicht sprechen können, sie diese Vorstufe haben. Das heißt: sie steuern willentlich ihre Vokalisation und das scheint auch schon von dieser Struktur gesteuert zu werden."

    Demnach ist das Broca-Areal nicht nur für die Sprachsteuerung zuständig, sondern auch für die willentliche Initiierung von Lauten, die Primaten produzieren – Rhesusaffen wie auch Menschen.