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Mit angezogener Handbremse in die Chefetage

Ein Forschungsprojekt der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis: Frauen fehlen nicht allein die Chancen, sondern oft auch die Lust oder das Selbstvertrauen, eine leitende Position einzunehmen. Ein Fragekatalog soll helfen.

Von Patric Seibel |
    Was bringt Frauen vor den Chefetagen ins Stolpern? Der Hamburger Psychologe Prof. Jörg Felfe sagt: nicht nur unfaire Rahmenbedingungen – sondern auch ihre eigene Motivationsbremse.

    "Also, insgesamt muss man sagen, dass die Motivation, Führungspositionen einzunehmen bei Frauen und Männern, wenn man jetzt mal alle in einen Topf wirft, gar nicht so unterschiedlich ist. Allerdings, wenn man etwas differenzierter hinschaut, stellt man doch fest, dass es einige, ja dann doch auch, relevante Unterschiede gibt. Zum Beispiel ist es vor allem die Furcht, in Führungspositionen zu versagen oder mit den Anforderungen dort nicht klarzukommen, die bei den Frauen etwas stärker ausgeprägt ist, als bei den Männern. Wir bezeichnen das, ich sag mal dieses Gegenspiel oder dieses Kräfteverhältnis, was da wirkt, fast wie einen Effekt, den man als angezogene Handbremse bezeichnen könnte."

    Jörg Felfe und sein Team aus drei Psychologinnen haben für ihr Forschungsprojekt "Führungsmotivation im Geschlechtervergleich" mehr als 60 ausführliche Interviews geführt und über 3.000 Personen befragt. Die Psychologin Gwen Elprana vermutet, dass die Weichen für die geschlechtsspezifischen Mentalitätsunterschiede schon früh gestellt werden:

    "Also, es scheint grundsätzlich so zu sein, dass Männer und Frauen natürlich weiterhin auf eine ganz unterschiedliche Erziehung zurückblicken können. Das bedeutet, dass Männern von vorneherein oder Jungs schon von vorneherein beigebracht wird, dass sie Verantwortung tragen, dass sie auch Kampfgeist zeigen und in den Wettbewerb treten, wenn sie noch jung sind. Während jungen Frauen und Mädchen noch beigebracht wird, dass sie eher brav sein sollen und bescheiden sein sollten."

    Aufgrund dieser erlernten Rollenmuster, so Elprana, übernehmen Mädchen schon in Kindergarten und Schule weniger Führungsaufgaben. Den meisten Frauen fehle später im Beruf schlicht die Erfahrung – sie wüssten gar nicht, ob sie Führung "könnten", weil sie es nie ausprobiert hätten.

    Jörg Felfe empfiehlt, bereits in Kindergarten und Schule pädagogisch zu intervenieren und auch defensiveren Kindern Führungserfahrungen zu ermöglichen.

    Um erwachsenen Frauen dabei zu helfen, ihre persönliche Motivation kennenzulernen, haben Felfe und sein Team einen Fragebogen entwickelt. Er liefert ein individuelles Motivationsprofil, mit dem Frauen und auch deren Berater oder Personalentwickler klären können, ob der Wunsch nach einer Führungsposition besteht und wie man gegebenenfalls die motivationale Handbremse lösen kann.

    Jörg Felfe: "Es gibt darüber hinaus auch einen Teil, wo wir nach Interessenfeldern fragen, weil häufig ist es so, dass bestimmte Interessenfelder, zum Beispiel Interesse, Dinge zu gestalten, zu verbessern oder möglichst autonom und unabhängig zu arbeiten, direkt oder am besten in Führungspositionen verwirklicht werden können. Ohne das die Betreffenden bislang schon sich darüber schon im Klaren sind, dass Führungspositionen etwas sind, was für sie infrage kommen kann. Also, wir können mit diesem Instrument auch so etwas wie verdeckte Führungspotenziale aufdecken."

    Möglicherweise entdeckt manche Frau ihren Führungswunsch tatsächlich erst durch diesen Fragebogen. Die Psychologen empfehlen ihn bei allen Weichenstellungen der Karriereentwicklung, selbst schon bei der Studienplatzwahl. Der Fragebogen sei geschlechtsneutral konzipiert - "gendersensitiv", wie Gwen Elprana erläutert:

    "Es gibt ältere Verfahren, die zum Beispiel die Frage stellen, ob man gerne eine Krawatte zur Arbeit trägt. Das ist bei uns nicht der Fall. Bei uns geht es ganz normal um Vorlieben zum Thema: Trägt man gerne Verantwortung, findet man es schön, auch andere Menschen weiter zu entwickeln, ihnen ihr eigenes Wissen weiterzugeben, hat man Freude daran, auch seine eigene Persönlichkeit weiter zu entwickeln. Denn das sind ja alles auch Punkte, die in einer Führungsposition besser möglich sind, als in anderen Positionen."

    Das Hamburger Forscherteam will mit dem Fragebogen Frauen helfen, ihre Führungsmotivation zu erkennen und zu stärken. Seine ersten Praxistests hat er schon bestanden. Jörg Felfe berichtet von positiven Reaktionen von Beratern und Personalentwicklern. Gleichzeitig betonen die Psychologen, dass es oft auch die Rahmenbedingungen in den Firmen sind, die die weibliche Führungsmotivation bremsen:

    Gwen Elprana: "Also, ich denke, ein ganz wichtiger Punkt, der sehr viel Skepsis bei Frauen hervorruft, ist, dass selbst wenn zahlreiche Work-Life-Balance-Programme in den Unternehmen nach vorne getrieben werden, die Frauen nach oben gucken und sehen, und auch die Männer, und sehen, dass die Unternehmensspitzen das selbst häufig selbst ganz anders leben. Das heißt, die zuständigen Unternehmensspitzen hingegen arbeiten genauso: Mehr als Vollzeit in ihren Führungspositionen und sind dadurch auch schlechte Vorbilder. Und Frauen sollten sehen können, genauso wie junge Väter beispielsweise auch, dass es möglich ist, durch Teilzeit, durch Elternzeit Arbeit und Familie zu vereinbaren, ohne dadurch einen schlechteren Stand in der Firma zu bekommen."

    An diesem Beispiel wird deutlich, wie eng Motivation und äußere Bedingungen oft zusammenhängen. Jörg Felfe betont, dass es keineswegs darum gehe, die Frauen selbst für ihre mangelnde Repräsentation in den Chefetagen verantwortlich zu machen:

    "Deswegen betonen wir immer wieder, dass wir hier mit der Betonung der Motivation die Veränderung oder die Notwendigkeit der Veränderung von Rahmenbedingungen überhaupt nicht infrage stellen, sondern wir tatsächlich eher den Ansatz verfolgen, dass von beiden Seiten gleichzeitig geguckt werden muss. Es braucht auf der einen Seite die Chancen, aber es braucht auf der anderen Seite aber eben auch die Motivation, diese Chance zu nutzen. Beziehungsweise wenn es dann Hindernisse gibt oder wenn es Barrieren gibt, diese dann auch mit Nachdruck zu überwinden. Und um das zu klären und da so etwas den Weg freizumachen, da ist dieses Instrument sicherlich ein Beitrag."