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Mit Bildern lässt sich Staat machen

Bilder werden strategisch genutzt, um Vorstellungen zu wecken und Meinungen zu beeinflussen. Doch Bilder entfalten auch selbst politische Macht. Diesem Eigenleben widmet sich nun ein zweibändiges Buch. Darin nehmen mehr als 90 Autoren politische Bildstrategien unter die Lupe.

Von Alexandra Kemmerer | 23.05.2011
    Mit Bildern lässt sich Staat machen. In den Kaiserdomen des Mittelalters, den Herrscherporträts, Schlössern und Gärten des absolutistischen Europa, auf Flugblättern und in illuminierten Handschriften begegnen uns Bildwelten des Politischen, deren Eigenleben sich bis in die unmittelbare Gegenwart fortsetzt. Motive und Narrative, Gesten und Rituale spiegeln sich in den Brüchen und Kontinuitäten einer Bildkultur, die längst nicht nur von historiografischem Interesse ist. Eine etablierte Herrschaftstradition kann durch Bilder verfestigt werden. Aber sie kann auch, mittels des Bildersturms aus dem kollektiven Gedächtnis ausgelöscht werden. Manchmal genügt dabei schon, wie im Falle des legendären Verschwindens Trotzkis auf dem Foto von Lenins großer Moskauer Rede, eine kleine Bildretusche.

    An einer Gesamtdarstellung, die die Vielfalt der einschlägigen Forschungslandschaft überblickt, fehlte es bislang. Das nun vorgelegte Handbuch der politischen Ikonographie tritt in diese Lücke, es bleibt – trotz seiner stattlichen 1200 Seiten - dabei aber notwendig exemplarisch und kann bei Weitem keine Gesamtdarstellung bieten. Das braucht es aber auch nicht, um den Mechanismen politischer Überzeugungsstrategien auf die Schliche zu kommen. Herausgegeben von den Kunsthistorikern Martin Warnke, Uwe Fleckner und Hendrik Ziegler, ist das Handbuch, bei dem es sich genau genommen um ein Handbuch der europäischen politischen Ikonographie handelt, im Umfeld des Hamburger Warburg-Hauses entstanden.

    Der Hamburger Kulturwissenschaftler Aby Warburg begründete Anfang des 20. Jahrhunderts eine systematische Methode der Ikonographie, die Symbole und Motive in Werken der bildenden Kunst untersucht und entschlüsselt. Warburgs Sinn für Differenz und feine Unterschiede prägt auch viele der Beiträge dieses wunderbaren Bilder- und Lesebuches. In den rund 140 Beiträgen nehmen die Autoren in der Regel ein Bildbeispiel zum Ausgangspunkt, um exemplarisch die Nutzung der Ästhetik für die Politik vorzuexerzieren. Dabei zeigt sich, dass Landkarten nicht nur Orientierung vermitteln, sondern auch Herrschaftsansprüche transportieren. Daneben entwickelte sich, wie Wiebke Franken erläutert, als neue Form einer geopolitischen Bildsprache die Darstellung der personifizierten Kontinente, die im 18. Jahrhundert große Popularität erlangte. Sie schreibt:

    Personifikationen der Erdteile wurden in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt. Auf Kupferstichen, die Kosmographien oder Atlanten schmückten, sollten sie das Informationsbedürfnis eines relativ breiten gebildeten Publikums stillen. Gleichzeitig waren sie ein Instrument der Weltdeutung, denn sie generierten nicht nur Informationen, sondern reflektierten bereits bestehende Vorstellungen und Erwartungen. Auf diese Weise vermittelten sie ein Weltbild, das die Erdteile aus der Sicht Europas hierarchisiert und ihnen bestimmte Funktionen zuschreibt.
    Neben Päpsten und Parlamenten, Rathäusern und Residenzen spielen immer wieder die Frauen eine wichtige Rolle, auch im Beitrag des Berliner Kunsthistorikers Horst Bredekamp über den "Staat". Er beschreibt mit Ambrogio Lorenzettis Mitte des 14. Jahrhunderts geschaffenem Fresko im Rathaus von Siena eine der komplexesten jemals geschaffenen Verbildlichungen des Staates. In der Blütezeit der italienischen Stadtrepubliken entstand hier ein Bild von Herrschaft, das nicht den Herrscher von Gottes Gnaden vor Augen stellt, sondern ein von Menschen geschaffenes Staatsgebilde reflektiert, dessen Ziel- und Aufgabenkatalog dem Betrachter in weiblicher Gestalt vor Augen tritt.

    Die Mitte des Freskos nimmt nicht etwa die männliche Verkörperung Sienas ein, die in der rechten Bildhälfte aufragt und mit Zepter und Stadtsiegel ausgestattet ist, sondern eine Gruppe von drei Frauengestalten auf einer Bank, unter denen die links sich lässig ausstreckende, durch ihr weißes Kleid hervorgehobene Pax herausragt. Die erste und vornehmste Aufgabe des Staates, inneren und äußeren Frieden zu gewährleisten, verkörpert sich in dieser Frauengestalt. Im Bild reflektiert sich der Staat als menschengeschaffene Ordnung. Es zeigt nicht die Sieneser Herrscher, sondern die verkörperlichte Abstraktion der Stadt, ihrer Regierung und ihrer Gemeinschaft. Insofern der Staat jene Herrschaft repräsentiert, die einer territorial bestimmten Gruppe von Menschen das friedliche Zusammenleben ermöglicht, kann Lorenzettis Fresko als dessen Stiftungsbild gelten, noch bevor er theoretisch ausdifferenziert und von den jeweiligen Institutionen und Dynastien abstrahiert wurde.
    In der Tat ist Lorenzettis Sieneser Rathausfresko die meistverwendete Abbildung der beiden Bände – und nicht etwa das von Thomas Hobbes skizzierte Bild des Leviathan, das gemeinhin als Ikone des modernen Staates gelten kann. Ob es um "Gemeinwohl" geht, um "Jagd" und "Tyrannei", um "Frieden" und "Demokratie", um die "Allegorie", die "Schwelle" oder eben den "Staat" – immer wieder öffnet sich in den Beiträgen der Blick nach Siena. Auf ein Bild, in dem es um gutes Regieren geht – um Good Governance. Die Demokratie hingegen ist offenbar kaum abzubilden, auch die moderne Verfassung hat wenige Bilder, zumal nicht, wenn es um die Anwendung des Verfassungsbegriffs jenseits des Nationalstaats geht. Ein anderes altes Bild des Staates begegnet, wie der Bremer Politikwissenschaftler Stephan Leibfried gezeigt hat, schon seit dem ersten Nachkriegsjahrzehnt als Leitbild der europäischen Integration: das "Staatsschiff", das in diesem Band von Vera Wolff vorgestellt wird:

    Die funktionale Differenzierung und Hierarchisierung von Herrschaft, wie sie an Bord jedes Schiffes praktiziert wird und in die Ikonographie des Staatsschiffes übertragen wurde, kann Auskunft über unterschiedliche Auffassungen von politischer Gemeinschaft geben. Während einmal alle Bürger als Mannschaft figurieren, sind es in anderen Fällen nur die Entscheidungsträger des Staates, die das Staatsschiff lenken.

    Für die Bürger, die in der Demokratie das Staatsschiff lenken, setzt politische Steuerungskompetenz Bildwissen voraus. Wie Bilder politisch eingesetzt werden können, wie sie zum kraftvollen Instrument werden, das politische Mächte legitimiert, stützt, glorifiziert, aber auch kritisiert und ins Wanken bringen kann – all dies lässt sich aus dem vorliegenden Handbuch lernen. Wer die Bildsprache der Wahlplakate und Staatsbesuche, der royalen Hochzeiten und Papstmessen, des Parteitags und des Präsidentenporträts besser verstehen will, wird beim Blättern und Nachschlagen immer wieder fündig werden. Darum ist das Handbuch der politischen Ikonographie ein veritables Hausbuch für Demokraten. Ins Bücherregal des Journalisten und Politikers gehört es sowieso.

    Über das "Handbuch der politischen Ikonographie". Es ist heute bei C.H.Beck erschienen, mit vielen Bildern und 1360 Seiten. Der Preis: 98 Euro. Herausgeber sind Martin Warnke, Uwe Fleckner und Hendrik Ziegler, ISBN: 978-3-40657-765-9.