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Mit Blumen in den Bundestag

Als die Grünen am 6. März 1983 das erste Mal in den Bundestag einzogen, da galten sie als Chaoten, Terroristenfreunde und weltfremde Utopisten. Saurer Regen, Waldsterben, atomares Wettrüsten und Atomkraft waren die Reizthemen jener Jahre. Inzwischen gehört die damals selbsternannte "Anti-Parteien-Partei" längst zum politischen Establishment.

Von Georg Gruber | 06.03.2008
    Die Bonner Republik - jahrzehntelang war sie fest in den Händen von CDU, CSU, SPD und FDP. Bis zur Bundestagswahl am 6. März 1983, als die Grünen nach einer Zitterpartie am Wahlabend mit 5,6 Prozent den Einzug ins Parlament schafften und feierten:

    "Wir haben zum ersten Mal eine Opposition im Parlament und außerhalb. Und deswegen glaube ich, dass wir mit diesen beiden Kräften enorm viel bewegen können, wenn es auch im Augenblick für die Leute draußen nicht so aussieht."

    1980 hatten sich unterschiedlichste Strömungen zur Partei Die Grünen zusammengeschlossen: Feministinnen, Atomkraftgegner, Pazifisten, wertkonservative Naturschützer, radikale Ökosozialisten. Unter den grünen Parlamentsneulingen, die Blumen zur ersten Bundestagsitzung mitbrachten, waren auch der ehemalige Straßenkämpfer Joschka Fischer, der Ex-General Gert Bastian, die Galionsfigur der Friedensbewegung Petra Kelly und der frühere RAF-Anwalt Otto Schily.

    "Von Nazis bis Kommunisten, von Terroristen bis Mafiosi ist alles recht, die Neuen zu verteufeln",

    beschrieb "Der Spiegel" die Reaktion der Alteingesessenen:

    "Der Unrat, den die feinen Herrschaften in privater Runde über die 'Zottelhaarigen' und speziell jene weiblichen Geschlechts ausleeren, ergänzt die Dokumentation demokratischer Unreife ins Widerliche. Gemeint ist immer dasselbe: Die gehören nicht dazu." ("Der Spiegel", 10.12.1984)

    Denn die Neuen hielten sich nicht an die Regeln, trugen keine Krawatten aber lange Bärte, stellten unbequeme Fragen, wie Otto Schily im Flick-Untersuchungsausschuss - und sie provozierten: Bei der Vereidigung von Helmut Kohl als Bundeskanzler verließen sie demonstrativ den Saal, da die Regierungspolitik - Aufrüstung und Ausbau der Atomenergie - die Eidesformel "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden" zu einem unglaubhaften Lippenbekenntnis mache. Der Ton im Hohen Hause wurde rauer. Der Grünen-Abgeordnete Hubert Kleinert im Mai 83:
    "Ihnen geht es in Wahrheit gar nicht so sehr um die Arbeitslosigkeit, wie Sie ja immer so gern bekunden. Ihnen geht es eher um die Gewinne der Unternehmen. Sie kalkulieren doch Arbeitslosenzahlen von drei und vier Millionen im Grunde genommen längst ein."

    Der CDU-Finanzminister Gerhard Stoltenberg, reagierte empört:

    "Das war eine unendlich deprimierende Rede, nicht nur weil Sie uns hier beleidigt haben oder beleidigen wollten, das war eine der dümmsten Unterstellungen, die ich jemals in meinem politischen Leben gehört habe. Sie können mich mit diesen primitiven Formeln ihres Steinzeitmarxismus überhaupt nicht beleidigen."

    Auch Helmut Kohl, der Kanzler, war verärgert:

    "Sie sind mit Blumen hierher gekommen, aber Sie haben viel Hass gesät, in diesen Tagen, in diesem Deutschen Bundestag."

    In den 80er Jahre blieben die Grünen auf der Erfolgsspur, schafften den Sprung in viele Länderparlamente. Gleichzeitig spielten sich in der Partei erbitterte Flügelkämpfe ab: Realos gegen Fundis. Petra Kelly mahnte auf dem Grünen-Parteitag im Juni 85:

    "Heute sind viele der Grünen - gerade die grünen Realos - dabei, über Mitverwaltung, über Mitverantwortung, über Bündnisse und auch über Koalitionen zu spekulieren, und verraten dabei jeden radikalökologischen Inhalt. Wenn es darum geht, Koalitionen zu schließen, dann bitte aber mit Greenpeace, mit 'Schwertern zu Pflugscharen' in der DDR, mit Amnesty International und mit den Grauen Panthern, aber nicht mit der SPD."

    Wenige Monate später wurde Joschka Fischer als hessischer Umweltminister vereidigt, in der ersten rot-grünen Regierung auf Landesebene. 1990 schienen die Grünen am Ende. Im Wiedervereinigungstaumel scheiterten sie mit ihrem Slogan "Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter" an der Fünf Prozent-Hürde - um dann 1994, nach dem Zusammenschluss mit dem ostdeutschen Bündnis 90 wieder über 7 Prozent zu erreichen.

    1998, 18 Jahre nach Gründung der Partei und nach einigen Häutungsprozessen - wie der Abspaltung der Ökosozialisten - dann der Moment des großen Triumphes: Rot-Grün ist an der Macht.
    "Wenn ich morgens im Radio höre: 'dass der deutsche Außenminister...' - dann kommt bei mir immer noch automatisch im Kopf: 'Klaus Kinkel', und nicht: 'Joschka Fischer'." (Joschka Fischer 1998)

    Das ist Geschichte. Dennoch: Die Republik hat sich verändert, mit den Grünen. Erschrecken können sie heute niemanden mehr, als selbsternannte "Anti-Parteien-Partei" gestartet, gehören sie längst zum politischen Establishment.