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Mit Botox gegen Migräne

Medizin.- Als Wunderwaffe in der Schönheitsindustrie hat es einst Karriere gemacht, als Faltenkiller für Filmstars und dauergrinsende Manager: Das Nervengift Botulinum-Toxin, besser bekannt als Botox. Jetzt steht dem Gift eine neue Karriere ins Haus: als Arzneimittel in der Schmerztherapie.

Von Tina Murzik-Kaufmann | 11.12.2009
    Migräne – anfallartige, halbseitige, stark pulsierende Kopfschmerzen oft verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung leiden regelmäßig – bis zu 15 Tage im Monat – an dieser extremen Form von Kopfschmerzen. Bisherige Therapien bei chronischer Migräne lindern häufig nur die Symptome, tragen aber nicht zur Vorbeugung bei. Hoffnung kommt jetzt aus den USA. Wissenschaftler haben dort entdeckt: Frauen, die sich mit Botulinum-Toxin, besser bekannt als Botox, gegen Falten behandeln lassen, haben weniger Migräne. Warum das so ist, wissen die Forscher nicht. Fest steht, das Nervengift Botulinum-Toxin hemmt die Erregungsübertragung von den Nervzellen zum Muskel.

    "Wenn man Muskeln, die unwillkürliche Bewegungen aufweisen, wenn man die schwächen möchte, dann injiziert man das in diesen Muskel. Dann kommt es zum Fehlen der Nerv-Muskel-Übertragung. Diese Bewegungsstörung, die irgendwo im Kopf beginnt, besteht weiterhin, aber kann an den Muskel nicht weitergegeben werden",

    sagt der Neurologe Zaza Katsarava vom Westdeutschen Kopfschmerzzentrum – einer Einrichtung der Uniklinik Essen, die sich seit Jahren mit der Kopfschmerz- und Migräneforschung befasst. Migränepatienten sind gewissermaßen aus dem Lot. Im Gehirn des Menschen gibt es zwei verschiedene Systeme: Das eine System nimmt Schmerzen auf und leitet sie in die Hirnrinde weiter. Erst dort, so Zaza Katsarava, werden die Schmerzen wahrgenommen. Wenn es nur dieses System gäbe, würde der Mensch permanent Schmerzen haben. Deshalb gibt es ein zweites System, einen Gegenspieler:

    "Das kennen wir alle. Wenn wir leichte Schmerzen haben, sagen wir im Kopf, und dann würden wir in dem Moment uns die Hand einquetschen, dann sind die Kopfschmerzen weg. Das heißt, das ist eine wichtige Struktur, die die Schmerzen unterdrücken kann. Das ist wie ein Tor, was manchmal sich verschließt und manchmal sich öffnet."

    Genau diese Schmerzunterdrückung ist bei Migränepatienten gestört – warum, wissen die Mediziner nicht genau. Dann bleibt das Tor einfach offen und lässt ungehindert Schmerzsignale ins Gehirn der Betroffenen hinein – der Beginn eines Teufelskreises: Zu viele Schmerzsignale überfordern die Zellen des Schmerzsystems. Die Folge: Die Zellen schütten übermäßig viele Botenstoffe aus, die in den Hirnhäuten dafür sorgen, dass sich die Gefäße erweitern. Das wiederum führt zu einer entzündungsähnlichen Reaktion in den Hirnhäuten:

    "Und die Hirnhäute sind die Strukturen, die am meisten mit Schmerzrezeptoren bestückt sind, weil die natürlich das Gehirn von ... Reizen schützen sollen. Wenn es zu der Weitstellung der Gefäße kommt und zu einer entzündungsähnlichen Reaktion, sind die Schmerzrezeptoren, die in der Hirnhaut sitzen, auch überfordert und die feuern wie verrückt zurück – wieder in das Schmerzzentrum."

    An welcher Stelle Botox diesen Kreislauf unterbricht – an diese Antwort tasten sich die Forscher noch heran. Bislang konnten sie lediglich den Kreis der Patienten einschränken, bei denen Botox wirksam ist. Seit der letzten großen Studie, an der auch das Essener Kopfschmerzzentrum teilgenommen hat, steht fest: Botulinum-Toxin – in Stirn, Schläfen, Nacken und Schultern der Patienten injiziert – wirkt bei chronischer Migräne. Zaza Katsarava:

    "Die Wirkung kommt etwas verzögert. Die kommt zwei beziehungsweise drei Wochen nach der Injektion und verschwindet in circa zwei Monaten. Weil, das ist ein Gift, was wir injizieren. Da bildet unser Körper die Antikörper gegen das Gift und baut es ab. Das bedeutet aber, sollten Nebenwirkungen auftreten, sind die auch alle in zwei, drei Monaten weg. Es gibt aber nicht viele Nebenwirkungen von Botox. Wenn man zu viel injiziert, dann kann es sein, die bestimmte Muskeln ... etwas gelähmt sind und ihre Funktion nicht mehr ausüben können. Aber auch das ist vorübergehend."

    Andere Nebenwirkungen, so der Neurologe, sind nicht bekannt. Selbst eine dauerhafte Behandlung mit Botox scheint unproblematisch. Wie lang genau Migränepatienten mit Botulinum-Toxin behandelt werden müssen – auch diese Frage haben die Forscher noch zu klären.