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Mit Broder und Samad durch Europa

"Entweder Broder" - die Deutschland-Safari hieß es bereits zweimal in der ARD: Zwei Staffeln lang fuhr Henryk M. Broder mit seinem Kollegen Hamed A. Samad quer durch Deutschland. Sie sprachen mit Predigern, Nazis und Linken. In der neuen Staffel erweitern sie ihren Horizont und reisen durch Europa.

Von Michael Meyer | 16.11.2012
    "Wir hatten das Gefühl, dass wir in Deutschland schon verbrannt waren, überall wo wir hinkamen, waren die Leute nett und freuten sich, das Überraschungsmoment, das wir noch hatten bei den Stasis oder bei der NPD, das war nicht mehr zu halten – also mussten wir in die Welt hinaus. Sonst würde man sich wiederholen und wir wollten eine andere Herausforderung."

    Und so stiegen Broder und sein Freund, der ägyptischstämmige Samad in ihren alten Volvo namens Kurt, der vollgesprüht ist mit bunten Graffitis und düsten 30000 Kilometern durch Europa. Mit an Bord: Terrierdame Wilma.

    Von Berlin nach Brüssel und Straßburg, nach Kalabrien und Polen und nach Island. Okay – Letzteres dann zugegeben nicht mehr per Auto. Broder, stets mit spitzer Zunge und beißendem Humor – Samad eher etwas ausgeglichener, aber auch mit Sinn für Situationskomik.

    Die Rechercheaufgabe war, herauszufinden, was ist Europa eigentlich, was macht es aus, wo schlägt das Herz von Europa? Und da liegt es natürlich nahe, erstmal nach Straßburg und Brüssel zu fahren. Broder und Samad besichtigen das EU-Parlament und stellen fest: Das EU-System ist ein gigantisches Monster mit 38.000 Beschäftigten, das sich selbst ernährt. Und irgendwie vermag auch Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments nicht wirklich für Europa zu begeistern, wenn er in der Serie sich einen Slogan ausdenkt:

    "Was wäre das europäische Kurzmotto?" - " In Vielfalt geeint. Wir sind ein vielfältiger Kontinent, der stark ist, wenn er einig ist." - "Aber Herr Schulz, in Vielfalt geeint, das klingt wie die Wahlkampfparole der CDU in Nordrhein-Westfalen. "

    Wenn Broder und Samad durchs Parlament streifen und mit Abgeordneten sprechen, dann hat das seinen ganz besonderen Reiz, denn: Zwar hat man schon oft Berichte aus Brüssel und Straßburg gesehen, aber die naheliegende Frage: Was machen die eigentlich den ganzen Tag, womit beschäftigen sich die Politiker und was soll das Ganze eigentlich – die wird doch recht selten gestellt. Broder und Samad haben dabei im Laufe der Dreharbeiten ihre Vorurteile revidiert oder bestätigt bekommen:

    "Naja, ich war zum Beispiel davon überzeugt, dass dieses Europading vollkommen überflüssig ist, dass man eigentlich alles spontan regeln kann, das glaube ich inzwischen nicht, eine gewisse Regelung muss es geben, aber nicht diese Überregelung." - "Ich war von der Idee Europa sehr begeistert, aber scheinbar hat jedes Organ die Eigenschaft, wenn man anfängt, zu regulieren, dass man immer weitermacht, weitermacht, und neue Kompetenzbereiche erobert, sodass es in der Tat sehr erschreckend ist, was für ein Bürokratiemonster daraus geworden ist."

    Broder und Samad belegen ihre These anhand der viel zitierten Energiesparglühbirne, die seitens der EU vorgeschrieben wurde. Nicht nur, dass das Ganze ein feines Konjunkturprogramm für die Glühbirnenhersteller ist, denn die Energiesparlampen sind teurer und werfen mehr Gewinn ab – nein, es gibt 800 weitere Produkte, die durch Brüssel neu reguliert werden sollen, erklärt der aus Ostdeutschland stammende FDP-Abgeordnete Holger Krahmer:

    "Wir dürfen nicht zulassen, dass eine politische Obrigkeit den Menschen vorschreibt,
    welche Produkte sie zu Hause verwenden, dafür steht die Glühbirne symbolhaft. Und diese
    Glühbirne ist ja auch nicht das Einzige, die Glühbirne ist nur der erste Schritt, in einer Öko
    -Design-Gesetzgebung."

    Mindestens ebenso interessant wie die das Schauen unter die Käseglocke Brüssel und Straßburg ist die Reise der beiden nach Kalabrien, dort besichtigen sie ein Dorf, das zwecks Verjüngung Migranten zu sich einlädt. In Island lassen sich Broder und Samad die älteste Demokratie Europas erklären.

    Die Serie ist durchaus unterhaltsam, auch wenn Henryk M. Broder sich keinen noch so schlechten Scherz entgehen lässt - selbst auf dem Gelände in Auschwitz, manche Szenen sind nicht immer sicher im Geschmack. Und dennoch, trotz manchem Kalauer, macht es Spaß, bei den Exkursionen zuzusehen.
    Zwei Dinge wollte Broder in der Serie noch herausfinden, und scheiterte: Zum einen bekam er keine Antwort auf die Frage, warum und mit wie viel Geld die EU das Mausoleum Arafats finanziert hat. Und die andere ist die nach der ewigen Gleichmacherei:

    "Es ist ein Albtraum, dass es eine Behörde gibt oder einen Apparat gibt, der die Lebensverhältnisse der Finnen und der Italiener egalisieren will. Und sei es nur durch die Verwendung derselben Glühbirne. Und es geht in der Tat darum, dass ich den Hauch einer Diktatur am Horizont sehe. Die moderne Diktatur des 21. Jahrhunderts, die kommt auf leisen Sohlen, die kommt per Verwaltungserlassung, das reicht schon. Und auch die will ich nicht haben."