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Mit Crowdfunding gegen die Medienmultis

Die großen Zeitungen und Fernsehsender der Türkei sind in der Hand schwerreicher Investoren. Je nachdem, wem diese die Treue geschworen haben, fällt die Berichterstattung aus. Jungen Journalisten setzen auf ihrer Suche nach Geldquellen für unabhängigen Journalismus nun auf Crowdfunding.

Von Markus Dichmann | 02.11.2013
    Eine vierköpfige Truppe starrt gemeinsam auf ein und denselben Laptop. Die Nachrichten-Website T24 flimmert über den Bildschirm. Drei von den vieren hören aufmerksam zu, während einer leidenschaftlich erklärt und gestikuliert.

    "Wir haben über unsere eigenen Meldungen gesprochen. Und ich habe bei vielen Meldungen so drei, vier Punkte gefunden: Hier hätten wir eigentlich nachfragen müssen. Hier hätten wir die Anwälte von den Leuten fragen müssen. Hier hätten wir Experten fragen müssen. Hier hätten wir die Regierung fragen müssen. Das ist noch keine richtig professionelle Arbeit hier."

    Sagt Cem Sey, seines Zeichens erfahrener Auslandskorrespondent, der schon in Berlin, Brüssel und Kabul gearbeitet hat und heute auch Kolumnist für T24 ist. Damit ist er aber eine Ausnahme. Der Großteil der Journalisten hier steckt noch in den Lehrjahren und arbeitet oft ohne Bezahlung. Also Amateur-Journalisten, die allerdings seit den Gezi-Park-Protesten an Spitzentagen bis zu 400.000 Leser haben.

    "Beim Publikum hat sich geändert, dass sie jetzt denken, dass alles in der Türkei eigentlich anders sein könnte. Das heißt, sie sind auf der Suche nach Medien, die diese Erwartung bedienen – und finden keine. Das ist aber nur vorübergehend, das wissen wir. Wenn wir daraus jetzt nicht eine qualitativ gute Internetzeitung machen, dann wird dieses Zeitfenster auch irgendwann zugehen."

    Doch für Qualitätsjournalismus muss man auch die Mittel haben. Die Finanzierung ist und bleibt das entscheidende Problem der türkischen Medienlandschaft. Die großen Tageszeitungen und Fernsehsender sind in der Hand von Konzernen – diese Konzerne werden wiederum geleitet von schwerreichen Investoren. Und je nachdem, wem dieser Investor die Treue geschworen hat, fällt auch die Berichterstattung aus. Cem Sey erklärt die Situation anhand der Gezi-Proteste:

    "Das ist eine Falle der CIA. Dahinter steckt die EU, dahinter stecken Feinde der Türkei, dahinter stecken jüdische Lobbys. Solche Verschwörungstheorien standen in den Kolumnen, in vielen Zeitungen. Es gab einige Kollegen in den Zeitungen, die das nicht akzeptiert haben, viele von ihnen sind einfach sofort rausgeschmissen worden."

    T24 hat versucht durch ein andersartiges Finanzierungsmodell auf eigenen Beinen zu stehen. Am Anfang drehten sie kleine Filme für Hobbyklubs und Vereine, verdienten damit ihre ersten paar Tausende Dollar als Kickstart. Inzwischen drehen sie solche Filme für verschiedenste Gruppen, auch Architekturbüros oder Banken, und nehmen zusätzlich Geld durch Werbung ein. Überschaubare 20.000 bis 25.000 Dollar monatliches Budget stehen am Ende der Rechnung. Seit kurzem versuchen sie es aber auch mit einem neuen Werkzeug: Crowdfunding.


    Eine neue Zeitrechnung: Vor und nach "Gezi"
    Echte Crowdfunding-Pioniere sind beim Sender Acik Radyo, zu deutsch "offenes Radio", am Werk. Chefredakteur Ömer Madra hat den Versuch schon vor zehn Jahren gestartet.

    ""Journalismus sollte die Stimme der Stimmlosen sein. Das haben wir immer versucht und unsere Hörer können uns dabei symbolisch für eine halbe Stunde Programm mit knapp 30 Euro unterstützen. Und das ist alles für ein Jahr."

    Inzwischen finanzieren so 4500 Unterstützer die Hälfte der Senderkosten, der Rest kommt durch Werbung rein. Und auch hier Geld gilt ein strikter Kodex, dass Werbung niemals innerhalb, sondern nur zwischen den Sendungen laufen darf. Das Crowdfunding, glaubt Ömer Madra, bringe aber nicht nur Geld in die Kasse, sondern sei auch der einzige Weg, das türkische Mediensystem zu verändern.

    "So wird Unabhängigkeit erzwungen, es macht die Hörer zu den Investoren und stellt uns Journalisten ihnen gegenüber in Rechenschaft, was ich unglaublich wichtig finde. So verteidigen wir auch Ansichten, die den großen Medienkonzernen nicht willkommen sind."

    Trotzdem: Crowdfunding ist bisher nur ein finanzieller Tropfen auf den heißen Stein. Auch bei Acik Radyo werden nur drei von über 200 Journalisten für ihre Arbeit bezahlt. Der Rest ist Idealismus und ein Hoffen auf die Zukunft.

    "Es hat eine ungeheure Veränderung gegeben. Es ist wie vor Christus und nach Christus. Ich will auch nicht übertreiben, aber nach Gezi und diesem langen, heißen Sommer wird keiner von uns jemals wieder derselbe sein."