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Mit dem Hirsch auf der Brust

Trikotwerbung ist aus dem Profifußball nicht mehr wegzudenken. Dabei stieß das Geschäftsmodell anfangs vor allem bei DFB-Funktionären nicht gerade auf Begeisterung. Vor 40 Jahren fing in Braunschweig alles an: Die Spieler liefen mit Werbung für den Kräuterlikör Jägermeister auf.

Von Eduard Hoffmann |
    Schon im Sommer 1972 waren sie sich einig: der Präsident des Fußball-Bundesligisten Eintracht Braunschweig Ernst Fricke und sein Freund Günter Mast, Chef des Kräuterlikör-Herstellers Jägermeister. 100.000 D-Mark sollte der klamme Verein jährlich erhalten, wenn seine Spieler anstatt des Vereinswappens mit dem Braunschweiger Löwen den Jägermeister-Hirsch auf den Trikots tragen würden. Und das gleich für fünf Jahre. Günter Mast:

    "Wir haben einen Vertrag mit Eintracht Braunschweig geschlossen und haben dann auf die Trikots der Spieler groß drauf gebracht den Hubertushirsch, und das hat den DFB auf die Palme gebracht und der hat dann den Schiedsrichtern die Anweisung erteilt, die Spiele nicht anzupfeifen, wenn die Mannschaft mit diesem Trikot auflaufen würde."

    Der Deutsche Fußball-Bund verstand sich weiterhin als Gralshüter des Amateursports. Alles, was nur annähernd mit einer Kommerzialisierung zu tun hatte, lehnte die Mehrheit seiner Funktionäre damals ab. Schon bei der Einführung der Bundesliga zehn Jahre zuvor hatte sich der Verband vehement gegen das Profitum gewandt. Die damals festgelegten Gehaltsobergrenzen für Spieler in Höhe von 1200 D-Mark führten allerdings zu ständigen verdeckten Zuwendungen.

    Im Kampf um die Trikotwerbung ließ der pfiffige Geschäftsmann Günter Mast aber nicht locker. Über ein halbes Jahr dauerten die Auseinandersetzungen, stets aufmerksam begleitet von den Medien. Wolfgang Grzyb, damals rechter Verteidiger bei Eintracht Braunschweig, erinnerte sich.

    "Die haben immer Augenmerk drauf gelegt, laufen sie auf mit der Werbung oder nicht. Es war immer dieses Hickhack, die ganzen Wochen lang. Das war jeden Tag in der Zeitung drinne."

    Sogar die Hauptnachrichtensendungen im Fernsehen berichteten. Die beste Werbung für den Kräuterlikör-Fabrikanten und alles kostenlos. Der PR-Stratege Mast war hochzufrieden.

    "Ich habe mir damals von der Ausstrahlung eines Trikots für eine solch berühmte Marke wie Jägermeister gar nicht viel versprochen, sondern ich habe mir viel davon versprochen, diese Sache zu einem großen Gerede in Deutschland zu machen."

    Selbst die Evangelische Kirche meldete sich besorgt zu Wort. Ihr Sportbeauftragter Martin Hörmann befürchtete nicht nur die Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit und Freiwilligkeit der Sportler, sondern auch die Abhängigkeit der Vereine und Verbände von Unternehmen. Mehr noch:

    "Es ist die Frage nach einer Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit des Sports und des Sportlers insgesamt, etwa wenn auf einem Trikot für ein alkoholisches Produkt geworben wird und auf der anderen Seite der Sport die Parole der Gesundheit ausgibt, und es ist die Frage nach der Werbung als Werbung im moralischen Sinn, nur ein Stichwort zu diesem Komplex: möglicher Konsumterror."

    Aber es war nichts zu machen. Es gab kein Reglement, das die geplante Trikotwerbung verbieten konnte. Denn Eintracht Braunschweig wollte keinen Sponsorennamen auf den Shirts. Das Vereinswappen mit dem Löwen sollte lediglich durch den Jägermeister-Hirschkopf ersetzt werden. Dafür genügte eine kleine Satzungsänderung, die die Mitgliederversammlung im Januar 1973 mit großer Mehrheit annahm. Dem musste Ende Februar dann auch der DFB zähneknirschend zustimmen.

    Und so liefen die Braunschweiger bei der Bundesliga-Begegnung gegen Schalke 04 am
    24. März 1973 erstmals mit dem Hubertushirsch auf den Trikots Reklame für Jägermeister. Zuvor aber hatte der Schiedsrichter mit einem Maßband penibel die Größe des Werbe-Emblems kontrolliert. 14 Zentimeter im Durchmesser waren erlaubt.

    "Das war der entscheidende Durchbruch für die eigentliche Kommerzialisierung des Fußballs. Das war gewissermaßen das Verlassen des Pfades der Tugend, nämlich des Mischlings aus Amateur- und Profifußball,"

    erklärt der Sportökonom Reiner Gömmel.

    Im Oktober 1973 beschloss dann auch der DFB-Bundestag, Trikotwerbung grundsätzlich zu gestatten. Bereits fünf Jahre später gab es bei allen Bundesligaklubs die "Werbung am Mann".

    Heute wird nahezu jeder noch so kleine Fußball-Klub von einem Sponsor mit dessen Namenszug auf den Shirts unterstützt. Und die 18 Erstligisten kassieren aktuell für Reklame auf der Brust gut 115 Millionen Euro im Jahr. Allein Bayern München erhält von der Telekom 23 Millionen Euro pro Saison. Ein Tabu aber gibt es noch: Die Trikots der Nationalmannschaften sind bislang werbefrei.