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Mit dem Internet zu mehr Freiheit

Im Grundsatz ist Malaysia eine parlamentarische Demokratie in der Praxis werden diese Grundsätze aber oft ignoriert. Auch Presse und Rundfunk werden von der Regierung zensiert, beim Internet sieht das anders aus. Den Freiraum im Netz nutzt das Onlinepolitmagazin "The Nut Graph".

Von Klaus Bardenhagen | 27.03.2010
    Ein modern eingerichtetes Büro am Rande von Kuala Lumpur. Ein paar Rechner, Telefone und eine Internetverbindung. Gerade mal sechs Redakteure schreiben hier für das Onlinepolitmagazin "The Nut Graph". Auf Englisch und Malaiisch analysieren sie Parteiprogramme, kommentieren Politikerversprechen und machen sich Gedanken darüber, in welche Richtung Malaysia steuert.

    Jacqueline Ann Surin, um die 40, Brille und lange schwarze Haare, leitet die Redaktion. 14 Jahre lang hatte sie für Zeitungen geschrieben, bevor sie vor anderthalb Jahren "The Nut Graph" gründete.

    " Wir wollten unabhängig von staatlichen Eingriffen arbeiten können. Das Internet wird in Malaysia viel weniger kontrolliert, als die traditionellen Medien. Wir brauchten eine neue Plattform, um weiter guten Journalismus bieten zu können. So wurde 'The Nut Graph' geboren."

    "The Nut Graph" ist ein Begriff aus dem englischsprachigen Journalismus. Er bezeichnet den Absatz in einem Artikel, der alle wesentlichen Informationen zusammenfasst.

    Ein Massenmedium ist die Seite mit dem ungewöhnlichen Namen und den hohen Ansprüchen aber nicht. 5000 Leser täglich sind nicht viel für ein Land mit 28 Millionen Einwohnern. Die meisten Malaysier informieren sich über Fernsehen und Zeitungen. Wie es dort zugeht, hat Surin als Reporterin selbst erlebt.

    "Wir erhielten Richtlinien, per Telefon oder schriftlich. Redakteure wurden zur Regierung zitiert, und dort erfuhren sie, worüber sie berichten dürfen und worüber nicht. Manchmal hieß es dann: 'Wir können Deine Geschichte nicht drucken!' - weil die Gefahr bestand, dass die Zeitung vom Staat entweder geschlossen oder sonst wie zensiert wird."

    Zeitungszensur auf der einen Seite, freie Internetberichterstattung auf der anderen - Malaysia lässt sich in keine Schublade stecken. Seit der Unabhängigkeit 1957 gilt eine demokratische Verfassung, doch genauso lang regiert auch das immer gleiche Parteienbündnis. Der Islam ist Staatsreligion, doch islamisches Recht gilt nur für einen Teil der Bevölkerung. Dem Oppositionsführer droht wegen angeblicher Homosexualität das Gefängnis, während in Kuala Lumpur die Wolkenkratzer glitzern und die Jugend sich ins Nachtleben stürzt.

    "Malaysia ist sicherlich ein System, das sich derzeit öffnet …"

    Thomas Knirsch beobachtet in Kuala Lumpur die Situation für die Konrad-Adenauer-Stiftung.

    "… eine Wandlung vollzieht von einem semidemokratischen System mit stark autoritären Zügen versehen, hin zu einem System, das vielleicht pluralistischer angelegt sein kann, weniger autoritär ist. Das werden die nächsten Jahre zeigen, das wird vor allem auch davon abhängen, wie stark die Opposition im Lande sich konsolidieren kann."

    2008 fanden in Malaysia die letzten Parlamentswahlen statt. Nach Jahrzehnten war es der Opposition möglich, die Zwei-Drittel-Mehrheit der Regierung zu brechen.

    Touristen freuen sich, dass sie auf Malaysias Straßen Asien im Kleinformat erleben können. In Kuala Lumpur gibt es ein Chinatown genauso wie Kinos, in denen nur indische Bollywoodfilme laufen. Überall finden sich Moscheen genauso wie taoistische oder hinduistische Tempel.

    Malaien stellen die Mehrheit der Bevölkerung. Sie sind qua Geburt Muslime, und viele Frauen tragen Kopftuch. Als "Bumiputras" oder "Söhne des Landes" werden Malaien per Gesetz bevorzugt behandelt, etwa bei der Postenvergabe. Chinesen und Inder sind in der Minderheit, prägen aber vielerorts das Straßenbild.

    Doch die multikulturelle Gesellschaft ist nicht frei von Spannungen, sagt Jacqueline Ann Surin. Politische Konflikte, so die Journalistin, hätten in Malaysia fast immer mit den verschiedenen Volksgruppen zu tun. Zwar hat die Regierung mit dem Motto "One Malaysia" die Harmonie zwischen den Ethnien und Religionsgruppen quasi zur ersten Bürgerpflicht erklärt. Und der muslimische Premierminister eröffnete kürzlich ganz selbstverständlich Feiern zum chinesischen Neujahrsfest. Doch gleichzeitig wachse etwa der politische Einfluss des Islam.

    "Volkszugehörigkeit und Religion werden in Malaysia mehr und mehr eins. Die Vorherrschaft der Malaien bedeutet damit auch die Vorherrschaft des Islam. Aber diese Dinge sind tabu. Man darf nicht darüber schreiben. Denn das könnte zu Reaktionen führen, jemand könnte Gewalt androhen. Und das bewiese dann ja nur, dass dieses Thema zu heikel ist, dass es die öffentliche Ordnung gefährdete."

    So machten vor einigen Wochen die sogenannten Allah-Proteste weltweit Schlagzeilen. Es kam zu Ausschreitungen, nachdem christliche Zeitungen den Begriff Gott mit dem malaiischen Wort für Allah übersetzt hatten.

    Die Journalisten von "The Nut Graph" haben jetzt einen für Malaysia ganz neuen Weg gefunden, heikle Themen zu diskutieren. Sie fragen einfach die Abgeordneten direkt - etwa, ob Malaysia ein islamischer Staat sein soll oder nicht. Allen 222 Parlamentariern schicken sie den gleichen Fragebogen und veröffentlichen die Antworten im Netz. Die Adenauer-Stiftung fördert das Projekt MP-Watch. Mehr Transparenz stärke Malaysias parlamentarische Demokratie, sagt Thomas Knirsch.

    "Aufgrund seiner Position in diesem sehr hierarchisch geprägten Malaysia musste man das als Wähler wohl in Kauf nehmen, dass der Abgeordnete sich nicht geäußert hat. Das geht jetzt so nicht mehr, weil eben veröffentlicht wird und der Wähler kann das auch kommentieren, wenn sein Abgeordneter darauf nicht reagiert. Und da entsteht sicherlich so was wie ein Peer Pressure unter den Abgeordneten. Weil, wer möchte denn letztlich so gesehen werden als derjenige, der seiner Wählerklientel gegenüber keine Rede und Antwort steht."

    Von mehr als 100 bislang angeschriebenen Abgeordneten hat fast die Hälfte eine Stellungnahme abgelehnt. Damit verraten sie ihren Wählern zum Beispiel auch nicht, wie sie zum Internal Security Act stehen - einem umstrittenen Gesetz, das es Malaysias Regierung erlaubt, jeden Menschen ohne Verfahren einzusperren. Vor zwei Jahren war so eine Journalistin für kurze Zeit interniert worden. Dass es theoretisch auch sie selbst treffen könnte, sei eine ständige Sorge, sagt Redaktionsleiterin Jacqueline Ann Surin. Daher freue es sie, dass auch aus den Reihen der Regierungskoalition überraschende Antworten kommen. So hätten selbst amtierende Minister gesagt, der Internal Security Act dürfe so nicht bestehen bleiben.

    "Wir wollen, dass sich die Abgeordneten ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir wollen sie und die Öffentlichkeit daran erinnern, wofür sie eigentlich da sind. Sie sollen unsere Gesetze machen, nicht auf dem Marktplatz Hände schütteln und Geld verteilen. Sie sind unsere Gesetzgeber. Und das ist eine wichtige Aufgabe."

    Onlinepolitmagazin The Nut Graph