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Mit dem Schleuderschuh auf die Piste

Technik. - Wenn Rennläufer ihrem Ziel entgegen rasen, soll nicht einfach ein harter Bodenschlag die Bindung öffnen und das Rennen vorzeitig beenden. Andererseits verursachen zu spät auslösende Sicherungen schwere Verletzungen. Ein Ausweg könnte aber der "Schleuderschuh" sein.

Von Volker Mrasek |
    Den alpinen Skilauf darf man getrost als Risikosportart bezeichnen. Immer wieder lassen schwere Verletzungen aufhorchen. Auch jetzt vor den Olympischen Winterspielen. Doch nicht immer reißt eine Sehne oder bricht ein Knochen in der Sekunde des Sturzes am Slalom-Tor:

    "Es gibt viele Verletzungen, die im alpinen Skibereich auftreten, die dann, wenn die Läufer gestürzt sind und über die Piste schlittern, erst auftreten. Vielleicht sogar erst dann, wenn sie in die Netze reinrutschen."

    Veit Senner fährt selbst Ski. Er ist sogar Skilehrer. Vor allem aber Professor für Sportgeräte und -materialien an der Technischen Universität München. Und als Forscher denkt Senner darüber nach, wie man das Verletzungsrisiko für Abfahrts- und Slalomläufer nach dem eigentlichen Sturz vielleicht reduzieren könnte - in dem Moment, wo sie für Sekunden rücklings oder bäuchlings über die vereiste Piste rutschen, noch immer mit Tempo 80 oder hundert, um dann in den Fangzaun zu krachen ...

    "Wir haben Stürze analysiert. Also, sie rutschen mit ihren Anzügen, die auch praktisch überhaupt keine Reibung haben, auf dieser Piste und ungebremst ins Netz. Wenn sie da zumindest ohne Ski wären, dann wäre das natürlich hilfreich. Die Idee, die man auch jetzt ganz offen mal diskutieren sollte, die ist sehr spektakulär. Man müsste die Skier trennen können von ihren Füßen, vielleicht mit einer Art Notauslösung, die die Athleten bedienen. So ein bisschen Schleudersitz."

    Sporttechnologe Senner hat es nicht bei der Idee belassen. An seinem Institut wird derzeit ein solches Notauslösesystem für Ski-Rennfahrer entwickelt ...

    "Das ist der elektrische Kontakt, den wir über einen elektrischen Stromkreis dann bestätigen werden. Der löst dann den eigentlichen Vorgang aus."

    Senner hält einen Prototyp in Händen - eine Sicherheitsbindung, die ihre Backen auf ein elektrisches Kommando hin entspannt und so den Skischuh freigibt. Das war das ursprüngliche Konzept. Inzwischen favorisieren die Münchener TU-Forscher aber eine andere Lösung: Nicht die Ski-Bindung soll auf Knopfdruck reagieren, sondern der Ski-Schuh. Der klobige Stiefel steckt vorne und hinten fest in der Bindung, mit zwei überstehenden Wülsten. Die sollen nach Senners Vorstellung beweglich sein: ein elektrischer Impuls, und die Wülste an Spitze und Ferse ziehen sich in den Schuh zurück. Auch in diesem Fall würden sich die Skier spontan vom Fuß des Rennfahrers lösen. Bei den Stiefeln der Spitzenathleten handele es sich eh um Sonderanfertigungen, sagt der Professor. Da sei es durchaus nicht abwegig, auch noch ein bisschen Elektronik in der Sohle unterzubringen:

    "Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es noch keine Rückmeldung seitens der Athleten. Das wäre unser nächster Schritt, was wir auch jetzt machen möchten: Athleten zu konfrontieren mit Sturzvideos. Ihnen vielleicht mal einen fiktiven Knopf in die Hand zu geben und einfach mal zu fragen: Wann würden Sie drücken? Würden Sie drücken? Könnten die sich das vorstellen?"

    Wo der Auslöseknopf sitzen soll, ist noch offen - am ehesten wohl im Skistock. Sicher sind sich die Forscher dagegen schon bei der Signalübertragung. Sehr gut eigne sich dafür die kabellose Bluetooth-Technologie. Das ist der Funkstandard, der sich bei der Übermittlung von Video- und Audiosignalen über kurze Distanzen etabliert hat. Viele Mobiltelefone, Video-Kameras und Bürogeräte sind heute mit Bluetooth ausgestattet. Und vielleicht auch bald die Ski-Stiefel von alpinen Rennläufern.