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Mit dem Wohnwagen nach Utopia

Das Künstlerkollektiv Fräulein Wunder AG tourt mit einem Wohnwagen durch Niedersachsen. Es ist auf der Suche nach Träumen, Ideen und geheimen Plänen von einer besseren Welt.

Von Alexander Kohlmann |
    Irgendwo muss es sie noch geben, die letzten Utopien, versteckt hinter Gartenzäunen vielleicht und hinter gepflegten Vorgärten. Fünf Künstler der Fräulein Wunder AG haben sich gemeinsam einen alten Wohnwagen gekauft und ihn mit einer silbergrauen Folie überzogen. Mit dem so entstandenen Utopien-Mobil sind sie auf die Suche gegangen. Ohne Dusche und WC, aber mit viel Neugierde.

    "Hier ist, das ist der Satelliten-Überzug, den müssen wir bei der Fahrt immer abnehmen. Einmal ist er uns auch, wir haben gedacht, wir können uns doch trauen, weil es natürlich schöner aussieht, wenn das Ding silber auch durch die Landschaft fährt. Aber das eine Mal, als wir es ausprobiert haben, ist er uns wirklich auf der Bundesstraße oben am Dach zerrissen und flatterte dann halb auf der Straße, mussten wir rechts ranfahren und irgendwie zwischen LKW und Automanövern das Ding wieder einsammeln. Das war ein bisschen gefährlich."

    sagt Malte Pfeiffer, der in Hildesheim Szenische Künste studierte.

    Eng sei es mit bis zu vier Personen in dem alten Anhänger gewesen, aber schön kuschelig - vor allem nachts. Jetzt sitzen wir mit ihnen um den Esstisch und wollen erfahren, wie dieses ungewöhnliche Projekt funktioniert.

    "Also das ist hier unser Utopien-Mobil und das haben wir jetzt umgebaut, um hier in Niedersachsen die wirklichen Utopien, die konkret vor Ort stattfinden, zu suchen. Wir sind damit durch ganz Niedersachsen unterwegs, haben teilweise Spuren, die wir verfolgen, klopfen teilweise einfach an Türen und fragen, wo hier Utopisten zu finden sind. Und die Menschen schicken uns dann von Tür zu Tür, bis man jemand findet, der tatsächlich auch eine Utopie lebt oder träumt und uns davon erzählt, teilweise uns in sein Haus einlädt und uns aufnimmt und mit uns Zeit verbringt."

    sagt Vanessa Lutz, die aus Brasilien kommt und in Hildesheim Kulturwissenschaft studierte.

    Von Ort zu Ort reisen sie so mit wechselnder Besetzung. Schon die Standortsuche entpuppt sich oft als Tor zu Menschen, die sie sonst nie kennengelernt hätten - und überraschenden Lebensgewohnheiten.

    "Manchmal ist es wirklich so, dass wir in Allerbüttel plötzlich landen, da uns umgucken, bisschen langsamer fahren auf der Straße, hinter uns hupen sie da meistens schon und gucken so ein bisschen, an welchen Häusern sieht es denn so ein bisschen nach utopischen Potenzial aus."

    Nicht immer einfach gestaltete sich die Suche nach den verborgenen Träumen. Wir leben in einer Zeit, in der die große Gesamt-Utopie fehlt, sind sich die beiden Künstler einig. Im Gegensatz zu früher, als gesellschaftliche Großkonflikte wie der Kampf gegen die Atomkraft klare Freund- und Feindbilder produzierten, blühen die Träume von einem anderen Leben heute im Verborgenen.

    "Wir haben uns dann auch gefragt, was sind denn unsere Anhaltspunkte dafür. Man kann es nicht so genau sagen, aber sobald irgendwie ein Garten ein bisschen verwilderter aussieht und ein Haus ein bisschen runter ist, irgendwelche schrägen Dinge im Vorgarten stehen, ist das für uns ein Indiz. Dann sind wir teilweise einfach ausgestiegen und haben geklingelt und haben gefragt. Und es gab auch Orte, wo wir tatsächlich Station gemacht haben auf einem größeren Platz, einem Dorfplatz oder so, wo wir tatsächlich Station gemacht haben - und gewartet."

    Alternative Lebensformen haben sie so gefunden. Menschen, die sie gastfreundlich aufnahmen, obwohl sie eigentlich nur auf der Suche nach einem Topf für die schlecht ausgestattete Wohnwagen-Küche waren. Lange Nächte auf einsamen Waldgrundstücken. Und immer wieder die Utopie von einem Leben im Einklang mit der Natur.

    "Wunderschön war es im Öko-Dorf "Siebenlinden". Stellplatz war so geregelt, hier können die Caravans stehen, aber wir hatten Freiluftduschen. Das war sehr schön. Das sind dann also wirklich Duschen, die komplett ökologisch gebaut sind. Das Wasser wird von der Sonne aufgewärmt und man steht so draußen im Wald und duscht. Und das ist einfach ganz einfach, aber gleichzeitig ein tolles Erlebnis."

    Die Auslese des mehrmonatigen Projektes wollen sie jetzt präsentieren. Auf einer "Konferenz der Utopisten", zu der sie einige der Menschen eingeladen haben, denen sie auf ihrer Reise begegnet sind.

    Wer genau diese Gäste sein werden und was dann an diesem Abend passiert, wollen sie noch nicht verraten. Nur soviel: Vielleicht könnte die Konferenz ein neuer Aufbruch sein. Denn die Welt ist auch nach dem Zusammenbruch von Groß-Utopien wie dem Sozialismus noch nicht im besten aller Zustände angekommen, sind sich die Künstler sicher. Damit wäre das Utopien-Mobil nicht nur ein Sammler, sondern auch ein Produzent von Träumen und Ideen, die unser Leben ein bisschen besser machen sollen. Und somit als bewegbares Weltverbesserungslabor die größte aller präsentierten Utopien.

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    Fräulein Wunder AG