Mit dem Zweiten sieht man besser: Das gilt auch für das virtuose Doppelgängerspiel, das Claus Guth noch einmal zugespitzt hat: Der Holländer erscheint jetzt als eine Art Zombie-Variante des korrekten Daland. Weit komm ich her, singt das Gespenst, und der Bürger Daland singt stumm die Worte mit, überhaupt sind sie sich bald einig.
Immer wieder werden sie ineinander gespiegelt, so wie der ganze Raum um die Mittelachse einer grandios geschwungenen Treppe gespiegelt ist: Oben ist wie unten auf dem Kopf, alles doppelt da, sogar die hellen Flecken auf der Tapete, wo früher einmal Bilder gehangen haben. Christian Schmidt hat für den Psychothriller einen wunderbar trügerischen Raum gebaut, der sich durch verblüffende Projektionen und eine starke Lichtregie dauernd verändert. Ein Spukhaus. Das Böse aber ist real. Gegen den Alptraum in Sentas Kopf ist selbst der große Klabautermann, der sich einmal von der Decke hinabsenkt, bloß Geisterbahn.
Die analytische Doppelstunde in der Praxis Dr. Sigmund Guth entwickelt, mehr noch in der Überarbeitung, eine starke Suggestion: Alles klug gedacht und gut gezeigt, und auch die Projektionstechnik funktioniert gespenstisch perfekt. Dass der pausenlose Abend dann doch kein Krimi wurde, liegt an den Schwächen der Besetzung. John Tomlinson kann auch durch seine starke Präsenz die stimmlichen Defizite nicht mehr wettmachen, er klingt schauriger als er selbst als Untoter dürfte. Dafür bleibt der Daland von Jaakko Ryhänen allzu brav und übertreibt es allenfalls mit dem Piano. Eine feine Miniatur gelingt Uta Priew als Frau Mary, Tomislav Muzek ist ein sicherer Steuermann. Aber was nützt es, wenn Senta schwächelt. Adrienne Dugger vermag die dunkle Geschichte, um die es doch gehen soll, durch ihren Gesang kaum zu beglaubigen, der Eindruck bleibt blass, trotz einiger schöner Töne.
Marc Albrecht war es in seinem zweiten Jahr als Holländer-Dirigent um mehr Binnendifferenzierung zu tun. Wo mehr Details zu hören waren, waren es aber auch mehr verrutschte Kleinigkeiten. Was beim Debüt trotz der für die Holländermusik schwierigen Bayreuther Akustik direkt und zupackend überkam, wirkte jetzt stellenweise verschwommen. Weiterhin ausbaufähig.
Bayreuth 2004: Es begann mit Christoph Schlingensiefs Neulanderkundung im "Parsifal", erlebte einen nur musikalisch saftigen, szenisch belanglosen "Tannhäuser", Jürgen Flimms im fünften Durchgang noch einmal runderneuerten "Ring", und zum Schluss des Premierenzyklus’ jetzt Guths und Albrechts "Holländer": intelligentes Konzept, technisch state of the art, musikalisch Durchschnitt. Nach den Hysterien um den angeblichen Spaßaktionisten am Gral: Der Alltag hat sie wieder, da oben auf dem Grünen Hügel, und für manch einen mag das eine gute Nachricht sein.