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Mit der Flut leben

Umwelt. - Immer mehr Menschen in Europa leben in hochwassergefährdeten Gebieten. Das hat nicht nur mit der Klimaerwärmung zu tun, sondern auch viel mit der Attraktivität von Fluss-, See- und Meeresufern. Gleichzeitig macht sich durch enormen technischen Aufwand ein trügerisches Sicherheitsgefühl breit. Auf der Projekttagung "FLOODsite" diskutieren derzeit in Braunschweig Experten, wie man sich gegen Fluten besser wappnen kann.

Von Björn Schwentker | 13.02.2006
    Rund 700 Todesfälle, eine halbe Million Menschen, die ihr Heim verlassen mussten und wirtschaftliche Verluste von mindestens 25 Milliarden Euro - das ist die Schreckensbilanz von Hochwasser in Europa allein in den letzten sieben Jahren. Und große Überflutungen wie in Deutschland 2002 an Elbe und Donau könnten erst der Anfang gewesen sein, glaubt Andreas Kortenhaus vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau an der Technischen Universität Braunschweig. Das Risiko steigt. Kortenhaus:

    "Es steigt aus zwei Gründen: Zum einen, weil die Wahrscheinlichkeit einer Überflutung steigt, das hängt mit dem Klimawandel, mit den steigenden Meereswasserspiegeln zusammen, es ist einfach statistisch nachgewiesen, dass die Häufigkeit von Überflutungen größer geworden ist in den letzten Jahrzehnten. Der zweite Punkt ist, das immer mehr Leute in der Nähe von Flüssen und auch in der Nähe von Küsten wohnen wollen, das heißt, dass mehr Leute sich der Gefahr aussetzen."

    Andreas Kortenhaus koordiniert die Tagung des EU-Projektes "FLOODsite", die seit heute in Braunschweig stattfindet. Experten aus elf europäischen Ländern treffen sich, um über ihre Forschung an Ursachen und Folgen von Überschwemmungen zu diskutieren. Und über Gegenmaßnahmen. Kortenhaus:

    "Die Flut wird kommen, da gibt es sicherlich keine Fragestellung, für uns natürlich entscheidend: Müssen wir die Deiche erhöhen, müssen wir sie verstärken, wenn ja, an welcher Stelle fangen wir an? Wir müssen erst einmal die physikalischen Prozesse uns näher angucken, die überhaupt passieren: Warum bricht ein Deich? Wie bricht er? Wie viel Zeit hat man, um zum Beispiel Leute zu evakuieren?"

    Denn nur, wenn das bekannt ist, kann man auch Evakuierungspläne für den Notfall erstellen: Wie schnell muss evakuiert werden, wenn das Wasser kommt, und über welche Straßen ist es dann überhaupt noch möglich? Doch vor allem muss erst einmal bekannt sein, wo überhaupt die Risikogebiete für Überflutungen sind, sagt Paul Samuels von der Firma "hydraulics research Wallingford" in Großbritannien. Er ist Koordinator des EU-Projekts FLOODsite. Samuels:

    "In Großbritannien gibt es Landkarten im Internet, die die Flutgefahr zeigen. Dort kann man nachsehen, ob Haus und Besitz im Risikogebiet liegen oder nicht. Aber so etwas gibt es nicht überall in Europa."

    In einigen Ländern gibt es eine Kartierung der Risikogebiete entweder noch nicht, oder sie ist unvollständig. Darum ist nun die Europäische Union aktiv geworden. Im Januar erließ sie die erste europaweite Richtlinie zum Risiko-Management bei Überflutungen. Die EU-Länder müssen künftig nicht nur das Überschwemmungsrisiko an Flüssen, Flussmündungen oder an den Küsten vorausschauend bewerten. Sie sollen auch Regeln aufstellen, die es zum Beispiel ermöglichen, die Bebauung von stark gefährdeten Arealen oder aber natürlichen Überschwemmungsflächen zu verbieten. Samuels:

    "Überschwemmungen sind nicht nur ein technisches Problem, sondern auch ein menschliches. Wenn es ein hohes Maß an Sicherheitsvorkehrungen gibt, wie Deiche, dann verlieren die Leute, die hinter den Barrieren leben, die Erfahrung einer Flut. Und sie verlernen, was sie tun müssen, wenn doch eine kommt. Die Leute müssen verstehen, dass sie lernen müssen, mit den Flüssen und mit den Küsten zu leben, anstatt völlig vor ihnen geschützt zu sein."

    Doch wie kann man lernen, mit den Launen der Natur zu leben? Jochen Schanze vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden nennt Beispiele:

    "Auf der einen Seite natürlich Flussauen nicht weiter besiedeln, eher die Besiedlung zurücknehmen, aber auch durch die Verlagerung von Infrastruktur innerhalb des Gebäudes in die oberen Geschosse kann man natürlich die Schadenspotenziale wesentlich verringern."

    Solche Maßnahmen könnten aber nur greifen, wenn die Betroffenen sie auch kennen, ergänzt der Landschaftsökologe. Darum sei auch das Aufgabe der Wissenschaftler: Die Information der Bevölkerung. Schanze:

    "Wir werden in FLOODsite eine Vielzahl von Aktivitäten durchführen, um die Öffentlichkeit besser zu informieren, durch internetgestützte Werkzeuge, durch Kurse, durch Publikationen, und natürlich auch durch die Zusammenarbeit mit den Medien."