Schon mit der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang. Und Stefan Herheim erzählt in den folgenden acht Orchesterminuten Teile der Vorgeschichte seiner Sizilianischen Vesper. Bevor das eigentliche Bühnengeschehen beginnt, zeigt er die Leitmotive seiner Deutung und sein Bildrepertoire. Paris 1855, Jahr und Ort der Uraufführung von Verdis Werk: Procida, eigentlich sizilianischer Freiheitskämpfer, ist hier Ballettchef am Théatre Impérial und probt mit den weißen Tutu-Tänzerinnen an Stange vor Spiegelwand. Bis Soldaten den Saal stürmen.
Sie brechen Procida die Knochen und vergewaltigen die Mädchen. Die treten danach als Ballettänzerinnen in Schwarz auf, hochschwanger oder schon mit Kindern an der Hand. Eines greift seinen Vergewaltiger-Vater mit einem Holzschwert an. Das Verlangen nach Rache ist in der Welt. Und immer wieder wird der Knabe im Verlaufe der folgenden vier Stunden die Bühne betreten, einmal auch als Henker mit elfenhaften Flügeln am Rücken und Riesenbeil in den Händen. Darüber hinaus aber ist diese Bühne nicht nur die Bühne der Royal Opera, sondern auch eine Bühne auf der Bühne, nämlich Spielfläche mit Rängen und Logen der alten Pariser Oper, vollbesetzt mit französischem Bürgerpublikum. Stefan Herheim geht es also weniger um eine Interpretation der historischen Ereignisse, die Verdis Oper zur Grundlage hat, also um die Entwicklungen hin zum Aufstand der Sizilianer gegen die französischen Besatzer und um das Massaker am Abend des 30. März des Jahres 1282. Herheim geht es vor allem um das Gespinst aus Rache, Haß, Liebe, Hoffnung, Enttäuschung und Verrat.
Diese Londoner "Vesper" ist eine atemberaubende Phantasmagorie menschlicher Unzulänglichkeiten und schändlichen Versagens. So irritierend, verwirrend und opulent die übereinandergelegten und vielfach gespiegelten Bilder sind, so präzise und mit großen Spannungsbögen versehen erklingt die Musik unter Antonio Pappano. Expressiv und nuancenreich durchwandert er das riesige Feld dieser mal martialischen, dann wieder zarten, mal hoch expressiven und sich vor populistischen Trivialitäten nicht scheuenden Klänge und Rhythmen. Michael Volle verleiht seinem Guy de Montfort alle Grausamkeit und Sentimentalität des Gewaltherrschers. Es ist schon erstaunlich, welche Wucht er seinem so kultivierten Bariton zu verleihen mag.
Erwin Schrott als revolutionärer Procida, der Montfort an den Kragen will, trägt sein voluminöses Stimmorgan sichtbar gern vor sich her. Und Hélène, die Schwester des ermordeten sizilianischen Stauferkönigs, sie trägt den verwesenden Kopf ihres Bruders mit sich herum; Lianna Haroutounian gestaltet die leidende Frau aus mit einem farbreichen und in den Tiefen glühenden Sopran.
"Wer sich selbst hilft, dem hilft Gott. Sterbliche! Eurer Schicksal liegt in euren Händen."
Zu diesem Ständchen wird Hélène von den Machthabern am Anfang der Oper gezwungen. Für eine weitere Deutungsebene findet Herheim hier den Keim. Er läßt ihn sprießen und wachsen und zeigt die Wechselbeziehung von Kunst und Macht, wie Macht sich die Kunst einverleibt, wie die Kunst sich wehrt oder doch in Dienst nehmen läßt. Herheim drückt da kräftig auf die Tube. Das menschliche Drama schlachtet seine Operntruppe auf der Pariser Bühne für Kolportage, für Show- und Gruseleffekte gnadenlos aus. Und das ist die Kunst dieser Inszenierung, dass sie mit der üppigen Ausstattung und dem musikalischen Pomp der Grand Opéra ein sinnliches Fest bietet und zugleich den Ausverkauf der wahren Gefühle präsentiert. Wie alle, so spielt auch Bryan Hymel als Henri, aufständischer Sizialianer und Sohn des Diktators zugleich, dieses doppelte Spiel mit, voller Elan und mit schlankem Belcanto-Tenor. London lohnt sich.
Henri:
"Bestrafe den Wagemut eines tapferen Jünglings; ich fühle mich fähig, dich zu hassen und zu sterben!"
Sie brechen Procida die Knochen und vergewaltigen die Mädchen. Die treten danach als Ballettänzerinnen in Schwarz auf, hochschwanger oder schon mit Kindern an der Hand. Eines greift seinen Vergewaltiger-Vater mit einem Holzschwert an. Das Verlangen nach Rache ist in der Welt. Und immer wieder wird der Knabe im Verlaufe der folgenden vier Stunden die Bühne betreten, einmal auch als Henker mit elfenhaften Flügeln am Rücken und Riesenbeil in den Händen. Darüber hinaus aber ist diese Bühne nicht nur die Bühne der Royal Opera, sondern auch eine Bühne auf der Bühne, nämlich Spielfläche mit Rängen und Logen der alten Pariser Oper, vollbesetzt mit französischem Bürgerpublikum. Stefan Herheim geht es also weniger um eine Interpretation der historischen Ereignisse, die Verdis Oper zur Grundlage hat, also um die Entwicklungen hin zum Aufstand der Sizilianer gegen die französischen Besatzer und um das Massaker am Abend des 30. März des Jahres 1282. Herheim geht es vor allem um das Gespinst aus Rache, Haß, Liebe, Hoffnung, Enttäuschung und Verrat.
Diese Londoner "Vesper" ist eine atemberaubende Phantasmagorie menschlicher Unzulänglichkeiten und schändlichen Versagens. So irritierend, verwirrend und opulent die übereinandergelegten und vielfach gespiegelten Bilder sind, so präzise und mit großen Spannungsbögen versehen erklingt die Musik unter Antonio Pappano. Expressiv und nuancenreich durchwandert er das riesige Feld dieser mal martialischen, dann wieder zarten, mal hoch expressiven und sich vor populistischen Trivialitäten nicht scheuenden Klänge und Rhythmen. Michael Volle verleiht seinem Guy de Montfort alle Grausamkeit und Sentimentalität des Gewaltherrschers. Es ist schon erstaunlich, welche Wucht er seinem so kultivierten Bariton zu verleihen mag.
Erwin Schrott als revolutionärer Procida, der Montfort an den Kragen will, trägt sein voluminöses Stimmorgan sichtbar gern vor sich her. Und Hélène, die Schwester des ermordeten sizilianischen Stauferkönigs, sie trägt den verwesenden Kopf ihres Bruders mit sich herum; Lianna Haroutounian gestaltet die leidende Frau aus mit einem farbreichen und in den Tiefen glühenden Sopran.
"Wer sich selbst hilft, dem hilft Gott. Sterbliche! Eurer Schicksal liegt in euren Händen."
Zu diesem Ständchen wird Hélène von den Machthabern am Anfang der Oper gezwungen. Für eine weitere Deutungsebene findet Herheim hier den Keim. Er läßt ihn sprießen und wachsen und zeigt die Wechselbeziehung von Kunst und Macht, wie Macht sich die Kunst einverleibt, wie die Kunst sich wehrt oder doch in Dienst nehmen läßt. Herheim drückt da kräftig auf die Tube. Das menschliche Drama schlachtet seine Operntruppe auf der Pariser Bühne für Kolportage, für Show- und Gruseleffekte gnadenlos aus. Und das ist die Kunst dieser Inszenierung, dass sie mit der üppigen Ausstattung und dem musikalischen Pomp der Grand Opéra ein sinnliches Fest bietet und zugleich den Ausverkauf der wahren Gefühle präsentiert. Wie alle, so spielt auch Bryan Hymel als Henri, aufständischer Sizialianer und Sohn des Diktators zugleich, dieses doppelte Spiel mit, voller Elan und mit schlankem Belcanto-Tenor. London lohnt sich.
Henri:
"Bestrafe den Wagemut eines tapferen Jünglings; ich fühle mich fähig, dich zu hassen und zu sterben!"