Amal Ramsis: Der Saal war voll. Die Kinobesucher waren sehr beeindruckt und viele weinten sogar. Sie hatten wieder die bedrückende Zeit vor der Revolution vor Augen. Im Anschluss an die Premiere in Kairo wurde dann aufgeregt über 'Forbidden' diskutiert. Im Kino gab es niemand, der sagte, dass die Revolution gesiegt hätte. Die Demokratisierung des Landes stehe noch ganz am Anfang und meine Dokumentation sei kein historischer Film, sondern einer, der die aktuelle Lage widerspiegelt.
Michael Briefs: Sie zeigen hautnah, wie schwierig das Leben unter Ex-Präsident Hosni Mubarak für die einfachen Leute war. Führen die vielen Schikanen im Alltag vor Augen. Wann entstand die Idee zum Film und welche Funktion erfüllt er heute?
Ramsis: Ein Jahr vor der Revolution entstand die Idee zu "Forbidden". Ich wollte wissen, warum Ägypter sich gegenseitig alles verbieten müssen. Und da man in einer Diktatur nicht einfach mit der Kamera auf die Straße rennt, verging Monat um Monat. Am Ende drehte ich dann doch - stets im Glauben, dass nur gute Freunde den Film sehen werden. Der finale Schnitt war am 25. Januar 2011. Und was für ein Zufall. Aber an diesem Tag entlud sich plötzlich der Zorn der Ägypter. Alle wurden überrascht. Wir leben eben nicht in einem demokratischen System, wie viele - auch im westlichen Ausland - glauben machen wollten. Das zu zeigen, ist die Funktion meines Films heute.
Briefs: Zensur ist ein Thema Ihres Films. Wie erklären Sie sich, dass aus Ihrem künstlerischen Protest gegen die Verbote von Filmen, Büchern und Musik in einem Land im Ausnahmezustand ein Dokumentarfilm wurde, der in einem Kino in Kairo öffentlich gezeigt werden konnte?
Ramsis: Ich musste den Film natürlich auch durch die Zensur bekommen und erhielt erstaunlicherweise die Genehmigung für eine einzige Vorführung. Um den Film ein zweites Mal zu zeigen, brauche ich eine neue Erlaubnis. Es hat geklappt, und ich meine, es liegt daran, dass sich die Beamten in der Zensurbehörde jetzt den Touch von Revolutionären geben wollen. Sie haben einfach Angst davor, dass die Leute merken, es gibt ja gar keine Lockerung der Zensur von kreativen Ideen. Vielleicht haben sie den Film deshalb akzeptiert. Auch wenn sie ihn nicht mögen.
Briefs: In Ihrem Film zeigen Sie neben den überall im Land anzutreffenden Polizeikontrollen in einer längeren Kamerafahrt eine kilometerlange schmiedeeiserne Gitterwand im Zentrum Kairos. Unüberwindbar für Passanten, die nur mal eben die Straßenseite wechseln wollen. Was wollten Sie eigentlich damit zeigen?
Ramsis: Die Reaktion des Publikums in Kairo bei der Filmpremiere von "Forbidden" auf diese Szene mit den Absperrgittern hat mich verblüfft. Die Menschen hatten die Absperrungen auf den Straßen im Alltag gar nicht mehr bemerkt. Obwohl die Innenstadt Kairos voll davon ist. Einige im Kino mokierten sich sogar, weil ich das im Film zeige. Die Eisenzäune aus der Kolonialzeit würden sie nun stören. Das ist für einen Besucher Kairos natürlich schwer zu verstehen. Für mich ist diese Haltung eine Form der Selbstzensur bis hin zur hartnäckigen Überzeugung vieler Ägypter, in einer freien Gesellschaft zu leben, und nicht in einem großen Gefängnis.
"Briefs": Die Ägypter stehen kurz vor den ersten demokratischen Wahlen in ihrer Geschichte. Amal Ramsis, Sie haben wie Millionen ihrer Landsleute auch auf dem Tahrir-Platz protestiert und die Revolution gefeiert und sprechen heute von Konterrevolution. Neun Monate danach steht das Land an einem kritischen Punkt. Der Kopf des Mubarak-Systems ist abgeschlagen, aber sein Rumpf bleibt bestehen. Ist die Revolution nicht ins Stocken geraten und die alten Kräfte kehren zurück?
Ramsis: Aber diejenigen, die für die Revolution auf die Straße gingen, sind immer noch da. Vorher dachten wir, es gäbe überhaupt kein Bewusstsein für Veränderung. Aber plötzlich erkannten wir, dass die Menschen nur auf eine passende Gelegenheit gewartet haben. Es gibt diesen magischen Punkt, wo alle Nein sagen. Deswegen habe ich keine Angst, Freiheiten wieder einzubüßen. Natürlich ist es ungeheuer schwierig und braucht viel Zeit, ein Land von einem jahrzehntelang wuchernden Krebsgeschwür zu befreien. Die alten Eliten, das Ex-Regime, wollen sich nicht so einfach mit einer neuen demokratischen Rolle zufriedengeben. Sie benutzen das Militär und auch die Medien – mit denselben Journalisten und Meinungsmachern wie vorher - um die Macht zurückzugewinnen.
Briefs: Stimmt es, dass die Lage in manchen Kairoer Vierteln wie in Embaba oder Bula äußerst instabil ist? Wir hören von Krawallen zwischen Kopten und Muslimen. Zuletzt Anfang Oktober in Kairo mit fünfundzwanzig Toten. Seit Kopten und Muslime Seite an Seite auf dem Tahrir-Platz protestieren, nehmen blutige Konflikte unter Christen und Muslimen zu. Haben Sie als koptische Intellektuelle keine Angst vor religiös motivierter Gewalt?
Ramsis: Das war sehr gefährlich, was sich zwischen Christen und Muslimen abgespielt hat. Auf unseren Freitagskundgebungen sind wir zunächst alle Ägypter. Andererseits nimmt man uns als zwei feindliche konfessionelle Lager wahr. Aber es wird viel falsch berichtet. Zweifellos gibt es Probleme. Schuld daran sind aber die katastrophalen Lebensverhältnisse. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Im sozialen Alltag bestehen die vielen Restriktionen, die ich im Film zeige, weiter. Auch Streiks und Demonstrationen sind immer noch illegal. Vor allem in den Dörfern, dort wo die Analphabetenrate hoch ist, zetteln die Leute des Ex-Regimes immer wieder gewaltsame Konflikte unter Christen und Muslimen an, um die Lage zu destabilisieren.
Briefs: Eine Frage zu den politischen Parteien, die sich jetzt formiert haben. Droht dem Land nach den Wahlen – die Möglichkeit eines Militärputsches einmal außer Acht gelassen -, dass die ägyptische Muslimbruderschaft die Macht ergreifen könnte und die Missionierung der Straße mehr vorantreibt als bisher und dass die Menschen – wie auch in Tunesien - das zunächst akzeptieren wenn nicht sogar begrüßen würden?
Ramsis: Vermutlich werden die Muslimbrüder die Wahlen gewinnen. Aber keine Bange, es ist nicht die schlechteste aller Optionen auf dem Weg der Ägypter hin zur Demokratie. Sollten die Muslimbrüder die Regierungsverantwortung übernehmen, erfahren wir bald mehr über deren Politikfähigkeit. Bei einer allzu konservativ rigiden Politik werden sie bei der nächsten Wahl halt abgewählt. Seit ein paar Wochen richten sich unsere Freitagskundgebungen direkt gegen den Militärrat. Nur die Muslimbrüder sind nicht mehr mit von der Partie. Viele Junge aus ihren Reihen haben die Organisation verlassen im Streit darüber, inwieweit man den Islam zu einer Demokratisierung heranziehen soll. Kurz vor den Wahlen erfahren wir endlich, für welches politische Programm die Führung der Muslimbrüder steht, abseits aller Propaganda. Auch wir werden für unser eigenes politisches Programm werben.
Briefs: Welches Chancen, welches Programm haben progressive säkulare Parteien, die sich aus der jungen Bloggers- und Aktivistenszene speisen, in Ägypten?
Ramsis: Das ist die große Frage. Derzeit kämpft eine Szene von sechs, sieben verschiedenen Fraktionen um den Führungsanspruch in ein oder zwei Parteien, die man gründen will. Das wird einerseits erschwert dadurch, dass sie weder finanziell noch strategisch gut aufgestellt sind. Ganz anders die Muslimbrüder, die über eine jahrzehntelange Organisationsstruktur verfügen und seit dem Umbruch Millionen Saudischer Dollar erhalten haben sollen. Dann sind Ägypter schlicht und ergreifend unerfahrene Demokraten. Aber wir halten die Lokomotive der Revolution unter Dampf.
Briefs: Amal Ramsis, glauben Sie ernsthaft, dass die Ägypter zu unerfahren für die moderne Demokratie sind' Wie soll es denn weitergehen in Zukunft mit dem "Arabischen Frühling"'
Ramsis: Manche meinen, die Ägypter hätten keine Erfahrung mit der Revolution. In Wahrheit hat die Revolution noch keine Erfahrung mit den Ägyptern gemacht. Ich will damit nur sagen, dass wir uns mit Solidaritätsbekundungen und Wirtschaftsdeals aus dem Ausland nicht zufriedengeben werden. Diese virtuelle Geldmaschine des internationalen Finanzsystems, der Turbo-Kapitalismus macht überall auf der Welt deutlich, dass man das System umbauen muss. Wir hoffen auf einen Dominoeffekt. Dass die Menschen in den westlichen Demokratien erkennen, dass die arabischen Revolutionen auch zu tun haben mit der eigenen Krise zu Hause.
Michael Briefs: Sie zeigen hautnah, wie schwierig das Leben unter Ex-Präsident Hosni Mubarak für die einfachen Leute war. Führen die vielen Schikanen im Alltag vor Augen. Wann entstand die Idee zum Film und welche Funktion erfüllt er heute?
Ramsis: Ein Jahr vor der Revolution entstand die Idee zu "Forbidden". Ich wollte wissen, warum Ägypter sich gegenseitig alles verbieten müssen. Und da man in einer Diktatur nicht einfach mit der Kamera auf die Straße rennt, verging Monat um Monat. Am Ende drehte ich dann doch - stets im Glauben, dass nur gute Freunde den Film sehen werden. Der finale Schnitt war am 25. Januar 2011. Und was für ein Zufall. Aber an diesem Tag entlud sich plötzlich der Zorn der Ägypter. Alle wurden überrascht. Wir leben eben nicht in einem demokratischen System, wie viele - auch im westlichen Ausland - glauben machen wollten. Das zu zeigen, ist die Funktion meines Films heute.
Briefs: Zensur ist ein Thema Ihres Films. Wie erklären Sie sich, dass aus Ihrem künstlerischen Protest gegen die Verbote von Filmen, Büchern und Musik in einem Land im Ausnahmezustand ein Dokumentarfilm wurde, der in einem Kino in Kairo öffentlich gezeigt werden konnte?
Ramsis: Ich musste den Film natürlich auch durch die Zensur bekommen und erhielt erstaunlicherweise die Genehmigung für eine einzige Vorführung. Um den Film ein zweites Mal zu zeigen, brauche ich eine neue Erlaubnis. Es hat geklappt, und ich meine, es liegt daran, dass sich die Beamten in der Zensurbehörde jetzt den Touch von Revolutionären geben wollen. Sie haben einfach Angst davor, dass die Leute merken, es gibt ja gar keine Lockerung der Zensur von kreativen Ideen. Vielleicht haben sie den Film deshalb akzeptiert. Auch wenn sie ihn nicht mögen.
Briefs: In Ihrem Film zeigen Sie neben den überall im Land anzutreffenden Polizeikontrollen in einer längeren Kamerafahrt eine kilometerlange schmiedeeiserne Gitterwand im Zentrum Kairos. Unüberwindbar für Passanten, die nur mal eben die Straßenseite wechseln wollen. Was wollten Sie eigentlich damit zeigen?
Ramsis: Die Reaktion des Publikums in Kairo bei der Filmpremiere von "Forbidden" auf diese Szene mit den Absperrgittern hat mich verblüfft. Die Menschen hatten die Absperrungen auf den Straßen im Alltag gar nicht mehr bemerkt. Obwohl die Innenstadt Kairos voll davon ist. Einige im Kino mokierten sich sogar, weil ich das im Film zeige. Die Eisenzäune aus der Kolonialzeit würden sie nun stören. Das ist für einen Besucher Kairos natürlich schwer zu verstehen. Für mich ist diese Haltung eine Form der Selbstzensur bis hin zur hartnäckigen Überzeugung vieler Ägypter, in einer freien Gesellschaft zu leben, und nicht in einem großen Gefängnis.
"Briefs": Die Ägypter stehen kurz vor den ersten demokratischen Wahlen in ihrer Geschichte. Amal Ramsis, Sie haben wie Millionen ihrer Landsleute auch auf dem Tahrir-Platz protestiert und die Revolution gefeiert und sprechen heute von Konterrevolution. Neun Monate danach steht das Land an einem kritischen Punkt. Der Kopf des Mubarak-Systems ist abgeschlagen, aber sein Rumpf bleibt bestehen. Ist die Revolution nicht ins Stocken geraten und die alten Kräfte kehren zurück?
Ramsis: Aber diejenigen, die für die Revolution auf die Straße gingen, sind immer noch da. Vorher dachten wir, es gäbe überhaupt kein Bewusstsein für Veränderung. Aber plötzlich erkannten wir, dass die Menschen nur auf eine passende Gelegenheit gewartet haben. Es gibt diesen magischen Punkt, wo alle Nein sagen. Deswegen habe ich keine Angst, Freiheiten wieder einzubüßen. Natürlich ist es ungeheuer schwierig und braucht viel Zeit, ein Land von einem jahrzehntelang wuchernden Krebsgeschwür zu befreien. Die alten Eliten, das Ex-Regime, wollen sich nicht so einfach mit einer neuen demokratischen Rolle zufriedengeben. Sie benutzen das Militär und auch die Medien – mit denselben Journalisten und Meinungsmachern wie vorher - um die Macht zurückzugewinnen.
Briefs: Stimmt es, dass die Lage in manchen Kairoer Vierteln wie in Embaba oder Bula äußerst instabil ist? Wir hören von Krawallen zwischen Kopten und Muslimen. Zuletzt Anfang Oktober in Kairo mit fünfundzwanzig Toten. Seit Kopten und Muslime Seite an Seite auf dem Tahrir-Platz protestieren, nehmen blutige Konflikte unter Christen und Muslimen zu. Haben Sie als koptische Intellektuelle keine Angst vor religiös motivierter Gewalt?
Ramsis: Das war sehr gefährlich, was sich zwischen Christen und Muslimen abgespielt hat. Auf unseren Freitagskundgebungen sind wir zunächst alle Ägypter. Andererseits nimmt man uns als zwei feindliche konfessionelle Lager wahr. Aber es wird viel falsch berichtet. Zweifellos gibt es Probleme. Schuld daran sind aber die katastrophalen Lebensverhältnisse. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Im sozialen Alltag bestehen die vielen Restriktionen, die ich im Film zeige, weiter. Auch Streiks und Demonstrationen sind immer noch illegal. Vor allem in den Dörfern, dort wo die Analphabetenrate hoch ist, zetteln die Leute des Ex-Regimes immer wieder gewaltsame Konflikte unter Christen und Muslimen an, um die Lage zu destabilisieren.
Briefs: Eine Frage zu den politischen Parteien, die sich jetzt formiert haben. Droht dem Land nach den Wahlen – die Möglichkeit eines Militärputsches einmal außer Acht gelassen -, dass die ägyptische Muslimbruderschaft die Macht ergreifen könnte und die Missionierung der Straße mehr vorantreibt als bisher und dass die Menschen – wie auch in Tunesien - das zunächst akzeptieren wenn nicht sogar begrüßen würden?
Ramsis: Vermutlich werden die Muslimbrüder die Wahlen gewinnen. Aber keine Bange, es ist nicht die schlechteste aller Optionen auf dem Weg der Ägypter hin zur Demokratie. Sollten die Muslimbrüder die Regierungsverantwortung übernehmen, erfahren wir bald mehr über deren Politikfähigkeit. Bei einer allzu konservativ rigiden Politik werden sie bei der nächsten Wahl halt abgewählt. Seit ein paar Wochen richten sich unsere Freitagskundgebungen direkt gegen den Militärrat. Nur die Muslimbrüder sind nicht mehr mit von der Partie. Viele Junge aus ihren Reihen haben die Organisation verlassen im Streit darüber, inwieweit man den Islam zu einer Demokratisierung heranziehen soll. Kurz vor den Wahlen erfahren wir endlich, für welches politische Programm die Führung der Muslimbrüder steht, abseits aller Propaganda. Auch wir werden für unser eigenes politisches Programm werben.
Briefs: Welches Chancen, welches Programm haben progressive säkulare Parteien, die sich aus der jungen Bloggers- und Aktivistenszene speisen, in Ägypten?
Ramsis: Das ist die große Frage. Derzeit kämpft eine Szene von sechs, sieben verschiedenen Fraktionen um den Führungsanspruch in ein oder zwei Parteien, die man gründen will. Das wird einerseits erschwert dadurch, dass sie weder finanziell noch strategisch gut aufgestellt sind. Ganz anders die Muslimbrüder, die über eine jahrzehntelange Organisationsstruktur verfügen und seit dem Umbruch Millionen Saudischer Dollar erhalten haben sollen. Dann sind Ägypter schlicht und ergreifend unerfahrene Demokraten. Aber wir halten die Lokomotive der Revolution unter Dampf.
Briefs: Amal Ramsis, glauben Sie ernsthaft, dass die Ägypter zu unerfahren für die moderne Demokratie sind' Wie soll es denn weitergehen in Zukunft mit dem "Arabischen Frühling"'
Ramsis: Manche meinen, die Ägypter hätten keine Erfahrung mit der Revolution. In Wahrheit hat die Revolution noch keine Erfahrung mit den Ägyptern gemacht. Ich will damit nur sagen, dass wir uns mit Solidaritätsbekundungen und Wirtschaftsdeals aus dem Ausland nicht zufriedengeben werden. Diese virtuelle Geldmaschine des internationalen Finanzsystems, der Turbo-Kapitalismus macht überall auf der Welt deutlich, dass man das System umbauen muss. Wir hoffen auf einen Dominoeffekt. Dass die Menschen in den westlichen Demokratien erkennen, dass die arabischen Revolutionen auch zu tun haben mit der eigenen Krise zu Hause.