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Mit der Kunst gesellschaftlichen Wandel herbeiführen

Über einen schnellen Sturz Lukaschenkos macht sich unter den Künstlern in Belarus kaum jemand Illusionen. Doch sie vertrauen auf ihre Kunst. Und hoffen, mit kleinen Schritten auf einen Regimewechsel hinzuarbeiten. Die Galerie "Y" in Minsk ist Treffpunkt dieser unabhängigen Kulturszene.

Von Silja Schultheis | 26.10.2011
    Zu Besuch in der Galerie "Ў", der ersten Galerie für unabhängige zeitgenössische Kunst in Minsk. Der kleine flache Bau mit integriertem Buchladen und Café in einem Innenhof im Stadtzentrum platzt aus den Nähten – überwiegend junges Publikum, darunter die Philosophin Olga Sparaga. Sie lehrt an der weißrussischen Exil-Universität im litauischen Vilnius:

    "Für mich ist das vor allem eine Möglichkeit, im öffentlichen Raum verschiedene Diskussionen zu organisieren. Nicht nur zum Thema der Kunst, sondern auch zu gesellschaftlichen-politischen Themen. Man kann hier wirklich viel machen."

    Die Galerie "Ў" "ist einer der letzten nicht-virtuellen Freiräume, die das Lukaschenko-Regime kritischen Künstlern und Intellektuellen im Land noch lässt – und längst der Treffpunkt der alternativen Minsker Kulturszene. Neben Ausstellungen finden hier auch Lesungen und Konzerte statt. Die meisten jungen Künstler leben heute allerdings im Ausland, bedauert Galeristin Nadja Zelenkova. Mit ihrer Galerie will sie denjenigen, die im Land geblieben sind, eine gemeinsame Plattform bieten:

    "Dies hier ist der erste Versuch, die verschiedenen Kunstgattungen zusammenzubringen. Bis jetzt war es meistens so, dass Literaten vor allem mit Literaten verkehrten, bildende Künstler mit bildenden Künstlern und so weiter. Wir wollen eine Synthese schaffen."

    Kräfte bündeln in einer Zeit, in der fast alle die zunehmende Spaltung der Gesellschaft beklagen. In der die Luft für kritisch denkende Köpfe immer dicker wird, weil die Repressionen zunehmen – erst Anfang Oktober hat das Lukasenko-Regime ungeachtet internationaler Sanktionen den Druck weiter erhöht, Festnahmen und Hausdurchsuchungen sind jetzt noch leichter möglich. In dieser Zeit allgemeiner Verunsicherung, Angst und Resignation wagt die Galerie Y die Flucht nach vorne.

    "Kultur spielte sich bei uns bis vor Kurzem nur im Untergrund ab. Eines unserer führenden Kunstjournale heißt bezeichnenderweise ‚Partisan': eine Kultur im Verborgenen. Wir wollen jetzt bewusst an die Öffentlichkeit – mein neues Internetportal für zeitgenössische Kunst habe ich daher Artaktivist genannt","

    sagt der 27jährige Aktionskünstler Sergej Schabochin. Doch längst nicht alle Künstler wollen ihr Untergrunddasein aufgeben. Mack Rjazanov, künstlerischer Kopf der erwähnten Zeitschrift Partisan:

    ""Ich habe einen Weg gefunden, in einer Parallelwelt zu überleben. Da ist es nicht so gefährlich. Ich habe zwei Jahre im Gefängnis gesessen, das ist nicht lustig. Verändern kann man in der heutigen Situation ohnehin nichts. Da müsste erst jemand Lukaschenko erschießen. Und bis das passiert, mach ich still weiter meine Kunst und vermeide Konflikte mit dem Regime. Manchmal ist das kaum auszuhalten, aber es ist die einzige Möglichkeit zu überleben."

    Über einen schnellen Sturz des Regimes Lukasenko macht sich unter den Künstlern kaum jemand Illusionen. Was also tun? Viele sind müde von den Demonstrationen, die seit Monaten in Minsk und anderen Städten stattfinden, und vertrauen eher auf die Macht der kleinen, unspektakulären Schritte – auf ihre Kunst. Und hoffen, dadurch einen gesellschaftlichen Wandel und letztlich auch Regimewechsel herbeizuführen. Was tun? Diese Frage stellt sich unweigerlich auch dem westlichen Besucher. Eine - erste - Antwort könnte sein: Die bewundernswert mutigen und offenen Künstler in Weißrussland, die sich geistig längst an den europäischen Diskursen orientieren, in diese Diskurse auch einzubeziehen – in unsere Austausch- und Stipendienprogramme. Unabhängige Künstler in Weißrussland brauchen Unterstützung, finanziell wie ideell. Und wir können viel lernen von ihnen über den Umgang mit soviel existenzielleren Fragen als wir sie aus dem Westen kennen.