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Mit der westlichen Kultur kommt die Krankheit

''Man ist was man isst'' so die Volkweisheit. Bestätigt wurde der Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit schon in vielen Untersuchungen. So gibt es bestimmte Krankheiten, die nur unter bestimmten Ernährungsbedingungen signifikant häufiger auftreten. Ein Beispiel wäre da der Dickdarmkrebs. Eine Krebsart, die mit ballaststoffarmer Kost erheblich wahrscheinlicher wird.

Von Volker Mrasek |
    Als das Reich der Mitte vor westliche Kultur und erst Recht vor westliche Kost abgeschottet war, gab es bei Chinesen keinen Dickdarmkrebs. Auch wenn die Ernährungssituation für einen Teil der Bevölkerung sehr dürftig war, so hatten doch die meisten den ballaststoffreichen ungeschälten Reis als Hauptnahrungsmittel. In der Schale des Reiskorns waren alle nötigen Vitamine und Spurenelemente. Zusätzlich ist ungeschälter Reis ballaststoffreich, das heißt die faserreiche Kost räumt den Darm immer wieder aus. Mit der Öffnung Chinas kam auch die westliche Kost ins Land. Seitdem ist der ungeschälte Reis durch den ernährungsphysiologischen recht wertlosen weißen Reis ersetzt worden.

    Fleisch wird viel häufiger gegessen als noch vor 20 Jahren und seitdem sich die Chinesen fast so ernähren wie ein Mitteleuropäer gibt es in China Dickdarmkrebs: Ein Beispiel von vielen das die Weltgesundheitsorganisation aufmerken lässt .

    Unter die Gegner der Globalisierung reiht sich jetzt auch noch die WHO ein, die Weltgesundheitsorganisation. Allerdings meldet sie keine ökonomischen Bedenken an, sondern medizinische. Der Befund der UN-Organisation: Je näher die Welt zusammenrückt, desto krankheitsanfälliger werden ihre Bewohner. Weil sich Millionen von Menschen auch in Entwicklungs- und Schwellenländern dem westlichen Lebens- und Ernährungsstil anpassten ...

    Wenn man von den ärmsten Ländern der Welt einmal absieht, dann beobachten wir eine Art Einheitstrend durch die Globalisierung der Märkte: Überall werden billige Massen-Lebensmittel angeboten. Es sind Produkte, die kaum noch Pflanzenfasern und andere wichtige Nährstoffe enthalten. Stattdessen sind sie reich an Fett und raffiniertem Zucker. In vielen Ländern treten diese verarbeiteten Lebensmittel an die Stelle traditioneller ausgewogener Kost, die nun mit einem Mal verschwindet.

    Die WHO brandmarkt diesen Trend jetzt in einem neuen Sachstandsbericht. Daran mitgewirkt haben 30 Experten aus aller Welt. Unter ihnen auch der Gesundheits- und Ernährungswissenschaftler Jaap Seidell von der Freien Universität Amsterdam.

    Die WHO-Sachverständigen warnen: Mit dem globalen Siegeszug von Fast Food und Fertigprodukten nähmen auch die sogenannten Zivilisations-Krankheiten dramatisch zu. Darunter verstehen Mediziner chronische Leiden, die meist mit falscher Ernährung zu tun haben: Fettleibigkeit, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten, aber auch Zahnkaries.

    Längst sind diese Malesten auch in Nicht-Industrieländern auf dem Vormarsch ...

    Wir haben die Vorstellung: Die Welt ist zweigeteilt. Es gibt die reichen und die armen Länder. Die reichen haben mit Zivilisations-Krankheiten zu kämpfen, die armen mit Unterernährung. Unser Report zeigt eindeutig: Das ist nicht wahr! Die Mehrzahl chronischer Krankheiten tritt heute in den Schwellen- und Entwicklungsländern auf: in Lateinamerika und in großen Teilen Asiens, in Ländern wie China und Indien.

    Verantwortlich seien nicht nur veränderte Ernährungsgewohnheiten, sagen die WHO-Experten. Hinzu komme ein Mangel an Bewegung und körperlicher Aktivität.

    Auch in Schwellenländern fahren immer mehr Menschen mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit; sie hocken tagsüber auf dem Bürostuhl und abends vor dem Fernseher. In der brasilianischen Großstadt Sao Paulo zum Beispiel seien 70 bis 80 Prozent der Bewohner - Zitat aus dem WHO-Report - ''bemerkenswert inaktiv''.

    Bewegungsmuffel bräuchten eigentlich nicht so viele Kalorien in ihrer Kost. Dennoch greifen sie zu den modernen, energiereichen Fertig-Lebensmitteln. Die Entwicklung setzt schon bei den Jüngsten ein. Wie der WHO-Bericht festhält, hat die Zahl übergewichtiger Kinder in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch zugenommen - etwa in Indien, Mexiko, Nigeria und Tunesien.

    Im Jahr 2020 dürften über zwei Drittel aller Todesfälle durch chronische Krankheiten in Schwellen- und Entwicklungsländern auftreten. Davon gehen aktuelle Prognosen aus. Das werden die ohnehin begrenzten Gesundheitsbudgets der betroffenen Staaten nicht verkraften, fürchtet die Weltgesundheitsorganisation. Und bereitet deshalb eine Kampagne vor im Kampf gegen Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

    Derek Yach, Koordinator des Projektes bei der WHO in Genf:

    Wir hoffen, dass wir mit dieser weltweiten Kampagne Mitte 2004 starten können. Und dass wir die Länder der Erde dazu bringen, die Epidemie chronischer Krankheiten einzudämmen.

    Die WHO-Strategie sieht vor, die Lebensmittel-Industrie mit einzubinden. Schließlich ist sie es, die die angeprangerte Lifestyle-Kost auf den Markt bringt. Doch ob die Konzerne kooperieren, ist noch offen. Großen Widerstand habe es schon während der Arbeit am neuen Report gegeben, sagt Ernährungswissenschaftler Seidell. Von der Zucker-Industrie sei die WHO sogar gedrängt worden, den Bericht zurückzuziehen ...