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Mit ehrlichem Blick

Die Fotografin Gundula Schulze Eldowy schaute vorzugsweise dahin, wo es wehtat: also eher auf Verfall, Einsamkeit und Armut, aber auch auf das kleine Glück, das immer noch darin enthalten sein kann. Die c/o-Fotogalerie in Berlin widmet ihrer ersten großen Werkphase nun eine eigene Ausstellung.

Von Carsten Probst | 03.01.2012
    Ihre bekanntesten Fotografien verstören noch immer. Zwischen 1979 und 1987 begleitete Gundula Schulze Eldowy in Ost-Berlin das Leben einer alter Frau im Bezirk Prenzlauer Berg, ihre Einsamkeit, ihre ärmliche Wohnung, schließlich ihre Aufenthalte in einem Altenheim und in einem Krankenhaus. Gundula Schulze Eldowy nähert sich ihr zunächst aus der Perspektive des Porträts, arbeitet das interessante Gesicht mit der Frau mit dem eindringlichen Blick und den überaus charaktervollen Gesichtszügen heraus.

    Der Blick der Fotografin aber nähert sich der Person im Verlauf der Jahre immer mehr. "Tamerlan", so der Spitzname der Frau, sucht diese Nähe offenbar von sich aus, und die Fotografin dokumentiert ihr Leben und Leiden, ohne etwas zu verbergen. Im Verlauf der Jahre werden Tamerlan, einer offenbar starken Raucherin, zunächst die Zehen an den Füßen, dann das rechte und schließlich auch das linke Bein amputiert. Am Ende der Fotoserie sieht man sie nackt mit ihren beiden Beinstümpfen auf dem Krankenbett sitzen, aufrecht und gerade sieht sie in die Kamera. Ihr Körper erregt Mitleid, aber ihr Blick verrät, dass ihr Lebenswille nicht gebrochen ist.

    Diese Arbeitsweise, den Körper von der Person her zu sehen, die Aktfotografie eigentlich als Porträt aufzufassen, ist typisch für das frühe Werk von Gundula Schulze Eldowy. Die Porträtserie mit Tamerlan ist Schulze Eldowys frühes Meisterwerk, in dem sie alles zusammenfasst, was ihre fotografische Radikalität in dieser Zeit ausmacht. Jenseits des sozialistischen Menschenbildes in den Bereichen der offiziellen DDR-Kunst pflegt sie einen ganz und gar unheroischen Realismus.

    Sie dokumentiert auch nicht lediglich das Alltagsleben, wie etliche unabhängige Fotografinnen und Fotografen dieser Zeit es in der DDR getan haben. Schulze Eldowy erschafft mit ihren Bildern ein ganz eigenes Menschenbild, das wie eine gelebte, überaus schmerzhaft wirkende Collage aus lauter Brüchen und Widersprüchen erscheint. Tamerlan, die alte Frau mit den amputierten Beinen, zeigt in einer Offenheit, was man normalerweise aus Pietät und Scham lieber verbirgt: Den schlaffen, verstümmelten Körper einer Frau, die ihre Funktionen für den Markt des Begehrens längst eingebüßt zu haben scheint - und die zugleich doch Nähe, Zuwendung, Liebe einzuklagen scheint, sensible Behandlung, Offenheit, Würde und Wahrheit.

    Große Worte - Gundula Schulze Eldowy gewährt ihr all das, mit den Mitteln der Fotografie. Für den Betrachter aber werden die eingeübten Konventionen des Mitleids, der Scham, der Pietät im Anblick dieses Körpers fragwürdig. Denn man spürt, dass Tamerlan auf diese Weise, mit ihrem Körper und ihrem Wesen, kommuniziert.

    So wurde Gundula Schulze Eldowy im Verlauf ihrer großen Fotografinnenkarriere immer wieder als existenzialistische Künstlerin bezeichnet. Oft sind es in der Tat scheinbar offene oder verborgene Grenzsituationen, in denen sie ihre Figuren präsentiert: Arbeiter in scheinbar erniedrigenden Haltungen harter, schlecht bezahlter Berufe: Putzfrauen, Monteure, Trödler, Tagelöhner. Nie geht Schulze Eldowy so weit, ihre Figuren in burleske Irre zu verwandeln, wie eines ihrer Vorbilder, die Amerikanerin Diane Arbus es tat. Aber sie zeigt stets schwankende Situationen, die niemanden kalt lassen. Ein offenbar frisch vermähltes Paar, bestehend aus einem kleinen Mann und einer großen, durchaus dicken Frau, beide mit einem Lächeln, das so gezwungen wirkt, dass es kaum Lächeln genannt werden kann. Oder Tiere in einem Schlachthof, das nackte Lamm, das mit geschlossenen Augen auf seinen nahen Tod zu warten scheint. Die alte Frau, die voller Zorn mit einem Stock auf einen Mann direkt neben der Kamera eindreschen will. Das Kind im weißen Engelskostüm, das fast wie ein Wiedergänger wirkt vor der tristen, tiefgrauen Hinterhoffassade. Diese Neigung zum Ominösen, stets leicht Unheimlichen, von der Endlichkeit des Lebens Kündenden ist ein Markenzeichen der Fotografie Schulze Eldowys geblieben - und es hat im Nachhinein jenen Bildern, mit denen sie den Alltag und die Tristesse in der DDR festgehalten hat, etwas Prophetisches gegeben.

    Im Nachhinein liest man diese Bilder nicht nur als Porträts von Personen oder Städten, sondern von einer ganzen Gesellschaft, ihren Normen, Konventionen - alles durchdrungen von Verfall und einem nahe bevorstehenden Tod. Und man sollte sich nicht darüber täuschen, dass dieser Verfall mit dem Ende der DDR erledigt ist.