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"Mit einer Minderheitsregierung kann man als Opposition auch was bewegen"

Die Konstruktion der Minderheitsregierung hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Sie biete aber auch Chancen für die Opposition und erfordere die Bereitschaft der Regierung, alle Abgeordneten offen zu beteiligen, sagt Anke Spoorendonk, SSW-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein.

Anke Spoorendonk im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Anke Spoorendonk: Guten Tag!

    Barenberg: Frau Spoorendonk, hierzulande wird ja die Minderheitsregierung gewöhnlich als Notlösung auf Zeit lediglich gesehen. Ist das zu einseitig betrachtet?

    Spoorendonk: Das ist auf jeden Fall zu einseitig betrachtet. Man kann ja einfach mal sehen, wie es in den skandinavischen Ländern läuft. Da gehört eine Minderheitsregierung sozusagen zum politischen Alltag, sie hat eine lange Tradition. Das ist ja nicht so, dass man sie dort aus ideologischen Gründen wählt, aber es gibt sie immer wieder, und die Erfahrung zeigt, dass man auch mit einer Minderheitsregierung große Reformvorhaben bewältigen kann.

    Barenberg: In Skandinavien – Sie haben es erwähnt – ist das gang und gäbe. In Schweden beispielsweise haben die Sozialdemokraten Jahrzehnte ohne eigene Mehrheit regiert. Was ist denn dort anders in der Handhabung, im Parlamentarismus?

    Spoorendonk: Das ist natürlich eine andere politische Kultur, das steht schon mal fest, und man hat auch begriffen, dass man nicht weiterkommt, indem man nur auf Mehrheiten achtet. Man muss auch weiterkommen können, sagt man sich in den nordischen Ländern, wenn eine Regierung keine Mehrheit gegen sich hat, und das ist ja in Schweden immer wieder der Fall gewesen, in Dänemark auch. Von daher lebt eine Minderheitsregierung von einer politischen Kultur der Gleichwertigkeit von Parlaments- und Regierungsarbeit, von einer Arbeit auf gleicher Augenhöhe sozusagen, und notwendig ist eben auch, dass man von Regierungsseite dann dem Parlament gegenüber auch ein Vertrauen entgegenbringt, und umgekehrt, dass Parlaments-, oder dass Oppositionsarbeit sich nicht als Fundamentalopposition begreift.

    Barenberg: Wenn wir nun darauf schauen, wie die Sache in Nordrhein-Westfalen gerade läuft. Die bisherigen Reaktionen von CDU und FDP deuten ja auf eine abermalige Lagerbildung hin. Sie kündigen eine scharfe Oppositionspolitik an, Blockade, Abstimmungsniederlagen der geplanten Minderheitsregierung zu erteilen. Das sei quasi die Hauptaufgabe der CDU beispielsweise in der Opposition. Sehen Sie überhaupt eine Chance, sehen Sie Anzeichen dafür, dass man dieses Muster von Regierung gegen Opposition durchbrechen könnte?

    Spoorendonk: Das ist ja ganz sicher ein schwieriger Schritt. Ich finde auch, dass es ein mutiger Schritt von Hannelore Kraft ist. Es kommt wirklich darauf an, dass dann auch die Opposition begreift, dass sie etwas bewegen kann. Was Oppositionsarbeit häufig ja ausmacht, ist, dass man sagt, man arbeitet sozusagen für den Papierkorb. Aber mit einer Minderheitsregierung kann man wirklich als Opposition auch was bewegen, und wenn man das begriffen hat, dann ist es wirklich eine Chance. Ich sehe das noch nicht so richtig in NRW, ich sah das auch nicht richtig in Schleswig-Holstein, aber es gab für uns auch keine andere Möglichkeit, und ich sehe auch, dass es in NRW keine andere Möglichkeit gibt. Das heißt, ich kann auch nur appellieren an alle Fraktionen im Landtag dort, zu begreifen, dass man so auch gute Politik machen kann und dass alle sich aufeinander zubewegen müssen.

    Barenberg: Aber ist es nicht die Aufgabe der Opposition, eine klare Alternative zur Regierung zu formulieren und nicht bei der einen oder anderen Frage dann doch zuzustimmen?

    Spoorendonk: Das ist richtig, aber die Wirklichkeit sieht ja anders aus. Es ist ja nicht so, dass in einer bestimmten Regierungszeit die Opposition nur Alternativvorschläge macht. Ganz häufig, ich will mal sagen 95 Prozent aller Vorschläge, die in einem Parlament diskutiert und beschlossen werden, sind ja so, dass man durchaus sich verständigen kann, dass es gute Kompromissmöglichkeiten gibt. Wenn man sich darauf erst mal besinnt, dann, denke ich, ist es auch möglich, mit einer Minderheitsregierung sehr gute Politik und auch zukunftsweisende Politik zu machen.

    Barenberg: Was verlangt das von dieser Minderheitsregierung ab? Was muss sie leisten, um die anderen Parteien von ihrem Konzept zu überzeugen?

    Spoorendonk: Sie muss aus meiner Sicht auf jeden Fall damit anfangen, nicht erst für Mehrheiten zu werben, wenn schon ein Vorschlag sozusagen formuliert worden ist. Man muss, denke ich, früher anfangen, muss sagen, hier haben wir etwas, was wir gemeinsam bewältigen wollen, wie sieht euer Vorschlag aus, oder umgekehrt, was man auch in Dänemark häufig sieht, zum Beispiel bei Haushaltsberatungen, dass dann die Regierungskoalition sagt, so sieht unser Haushaltsentwurf aus, wir legen den jetzt erst mal auf den Tisch und ihr könnt euch offen daran beteiligen, sodass wir dann mit euch, liebe Opposition, dann auch weitere Vereinbarungen abschließen können zu Teilen des Haushalts. So läuft das häufig auch und ich denke, man muss ganz einfach Politik offener begreifen, und ich sage auch noch mal ganz deutlich, wenn ich mir anhöre, wie häufig Menschen sagen, wir haben keine Lust mehr auf diese starre Aufteilung Regierung-Opposition, wir haben sowieso keine Lust mehr zu Schlammschlachten und sonstigen Sachen, dann, glaube ich, ist die Zeit reif für eine Minderheitsregierung.

    Barenberg: Heute Mittag im Gespräch in den "Informationen am Mittag" Anke Spoorendonk, die Fraktionsvorsitzende des SSW im Landtag von Kiel. Danke schön für das Gespräch, Frau Spoorendonk.

    Spoorendonk: Ja. Gerne geschehen!