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Mit feiner Nase zum Sprengstoff

Weil Spürhunde zu teuer und zu uneffizient sind, um in Kriegsgebieten Landminen aufzuspüren, kam der Belgier Bart Weetjens auf eine Idee: Afrikanische Riesenhamsterratten sollen die Arbeit übernehmen. In Tansania suchen die Tiere bereits erfolgreich nach Sprengstoff.

Von Gunnar Köhne |
    Es ist sechs Uhr morgens. Die ersten Sonnenstrahlen lassen die Umrisse der mächtigen Uluguru-Berge erkennen. Mark packt zwei vergitterte Kisten und schiebt sie auf die Ladefläche des Lkw. In einer Kiste hockt Ze Roberto, in einer anderen Miss Marple. Sie stecken ihre aufgeregt schnüffelnden spitzen Schnauzen zwischen die Gitterstäbe. Miss Marple und Ze Roberto sind afrikanische Riesenhamsterratten auf dem Weg zum morgendlichen Trainingsprogramm. Ihre Aufgabe: Leben retten. Mit ihrem feinen Geruchssinn sollen sie auf einem präparierten Feldstück im Herzen Tansanias Landminen aufspüren. Eine Idee des Belgiers Bart Weetjens:
    "Landminen behindern jede Art von Entwicklung. Solange das Risiko besteht, dass sich diese gefährlichen Waffen in der Erde befinden, können die Menschen in der Region kein normales Leben führen. Und sie können sich nicht weiterentwickeln."
    Der afrikanische Kontinent ist mit Landminen übersät. Fast 50 Millionen dieser Waffen sollen dort vergraben sein - und sie fordern auch lange nach einem Krieg täglich Opfer. Sie zu beseitigen, wird Jahrzehnte dauern. Bislang wurden dafür Spürhunde eingesetzt. Doch viele Hunde vertragen das Klima am Äquator nicht. Überdies kostet ihre Ausbildung rund 25.000 Euro - viel Geld für die verarmten Staaten dieser Region. Und so sann Bart Weetjens auf einem seiner Afrika-Aufenthalte auf Abhilfe:
    "Ich habe versucht, mich in die Lage eines afrikanischen Bauern zu versetzen, der bislang auf ausländische Hilfe angewiesen war - im Kampf gegen die Landminen. Ich stieß dabei in einer Fachzeitschrift auf einen Artikel, in dem beschrieben wurde, wie Springmäuse auf das Aufspüren von Sprengstoff abgerichtet wurden. Da kam mir die Idee: natürlich! Ratten. Ratten könnten diesen Job übernehmen!"
    Riesenhamsterratten scheuen die heiße Mittagssonne. In der morgendlichen Kühle ist ihr Geruchssinn am besten. Bis sie aber in wirklich vermintes Gelände geschickt werden, müssen die Ratten acht Monate Training absolvieren. In der Zentrale von Bart Weetjens Organisation Apopo im tansanischen Morogoro müssen sie zunächst enge Aluminiumröhren ablaufen. Spürt der Nager durch kleine Löcher Döschen mit TNT-Sprengstoff auf, bekommt er auf ein Klick-Signal hin zur Belohnung Bananenmus. Die Ergebnisse werden genau protokolliert und ausgewertet. Später, in offenem Gelände, müssen sie den gefürchteten Sprengstoff in der Erde vergraben aufspüren - dafür werden sie an einer über ein Feld gespannten Leine geführt.
    Mit seinen 44 Mitarbeitern bildet Bart Weetjens inzwischen knapp 300 Ratten für die Minenbekämpfung aus. Seit fünf Jahren schon erschnüffeln sie Minen in Mosambik - und noch nie hätten sie eine übersehen.

    Der 30-jährige Angestellte Albert ist seit Anfang an bei Apopo dabei. Er hat die Aufgabe, Jungtiere an Menschen und deren Eigenarten zu gewöhnen - etwa an Popmusik oder Motorengeräusche. Dass die Ratte keine Plage, sondern für den Menschen nützlich sein kann, wollten anfangs auch in Tansania nur wenige glauben:
    "Ich hatte vorher keinerlei Verhältnis zu Ratten. Ratten waren für mich, wie für die meisten hier in Afrika, Feinde."
    In Belgien hat Bart Weetjens Industriedesign studiert, er war in Brüssel Punk - als welcher er erste Beziehungen zu Ratten knüpfte - und ist heute buddhistischer Mönch, worauf seine kurz geschorenen Haare und seine weiten schwarzen Baumwollkleider hinweisen. Ost-Afrika ist dem 43-Jährigen längst zur Heimat geworden:
    "Meine Familie hatte Verbindungen zum damaligen Zaire. Ich habe mich in Europa immer in afrikanischen Zirkeln bewegt und ich hatte eine Menge afrikanischer Freunde, als ich noch in Belgien wohnte. Da gab es also schon immer eine Verbindung mit Afrika."
    Seit Jahren beweisen seine gelehrigen Tiere ihre Einsatzfähigkeiten in Mosambik. Nun will Bart Weetjens mit seiner Idee expandieren:
    "Diese Ratten lassen sich besonders gut in tropischem Klima einsetzen. Vor allem auf dieser roten Erde, wo Metalldetektoren oft versagen. Aber die Ratten könnten auch in anderen Gegenden der Erde eingesetzt werden, in Kolumbien etwa. Auch dort wird mit Minenratten gearbeitet. Heute verhandeln wir darüber, die Ratten auch nach Thailand zu bringen."
    Und noch an einer anderen Einsatzmöglichkeit für die intelligenten Nager arbeitet Weetjens: im Kampf gegen die Tuberkulose. Heute sterben immer noch mehr Menschen an Tuberkulose, als an jeder anderen Infektionskrankheit - vor allem in Verbindung mit AIDS verläuft TBC oft tödlich. Anhand von Gewebeproben können die Ratten das Virus in einem Frühstadium erschnüffeln - und damit langwierige und teure mikroskopische Untersuchungen ersetzen. Doch auch bei anderen Erkrankungen könnten sich die Tiere nützlich machen:
    "Diese Technik könnte auch gegen die meist verbreiteten Krebserkrankungen eingesetzt werden. Ich denke da an Prostatakrebs bei Männern oder Brustkrebs bei Frauen."
    Zahlreiche Auszeichnungen hat der findige Belgier Weetjens für seine Minenratten schon erhalten. Dennoch ist die Finanzierung seiner Arbeit ein täglicher Kampf. Für eine langfristige Zukunft von Apopo hofft Weetjens auf die Hilfe internationaler Organisationen und Regierungen. Doch ans Aufgeben hat er noch nie gedacht:
    "Bei der Entwicklung dieser Methode gab es oft Momente, in denen wir uns als Team fragten: Wird das jemals funktionieren? Aber der Durchbruch kam, nachdem die Ratten erstmals ein Minenfeld in Mosambik erfolgreich gesäubert hatten. Und dann wurde unsere Arbeit auch offiziell durch zahlreiche afrikanische Regierungen anerkannt. Deshalb sagen wir heute: Ja, es hat geklappt. Die Methode ist ein Erfolg."