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Mit findigen Fahrern gerechnet

Verkehrsforschung. - Für viele Pendler gehört der Stau zum lästigen Alltag. Vorhersagen darüber, wo ein solcher entsteht, wären sehr hilfreich, das Problem ist nur: Noch gibt es keine flächendeckenden Stauprognosesysteme. Und selbst wenn es diese geben sollte, wäre damit noch nicht gesagt, dass sich die Blechkolonnen ohne Stockung über das Netz bewegten. Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt zum Beispiel, dass es auch zu viel Erfolg gibt bei der Stauprognose.

Von Sönke Gäthke |
    Verkehrsprognosen sind keine Wettervorhersagen. Während das Wetter sich reichlich wenig um den Wetterbericht kümmert, lesen Autofahrer Stautips, bevor sie losfahren -- und ändern anhand der Informationen ihr Verhalten. Das Problem dabei ist: wenn alle das tun, fahren alle auf einer anderen Route; die vorhergesagten Staus bleiben dann zwar aus, aber dafür entstehen neue, die nicht vorhersagbar waren. Verkehrsforscher nennen das eine sich selbst zerstörende Prognose.

    Es ist eine interessante wissenschaftliche Frage, ob es überhaupt eine sich nicht selbst zerstörende Prognose gibt. Wir sind da eigentlich recht optimistisch, dass man diese interne Dynamik stabilisieren kann, dass heißt, dass man am Ende an einen Fixpunkt gelangt, der sich nicht selbst zerstört, ähnlich wie das bei einer Wettervorhersage ist, das Wetter schert sich nicht um die Vorhersage, die wir machen.

    So Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen. Der Verkehrsforscher hat für das Land Nordrhein-Westfalen ein Prognosesystem konstruiert, dass bereits von so vielen Fahrern genutzt wird, dass die Zuverlässigkeit etwas sinkt. Der Wissenschaftler wollte daher in seinem System künftig auch berücksichtigen, wie Autofahrer reagieren, die eine Verkehrsprognose gelesen haben -- und zwar mit Hilfe der Spieltheorie.

    Verkehr hat in seiner Anlage sehr viel mit Spiel zu tun, es gibt eine fest vorgegebene Randbedingung, es gibt fest vorgegebene Regeln, innerhalb derer man sich bewegen kann, und so versuchen die Autofahrer auch in der Anonymität für sich Vorteile herauszufahren, indem sie gewisse Strategien verfolgen, und daher ist dieser spieltheoretische Ansatz eigentlich der richtige, um dieses Fahrerverhalten grundsätzlich zu verstehen.

    Der Verkehrsforscher tat sich daher mit dem Wirtschaftswissenschaftler und Spieltheoretiker Reinhard Selten aus Bonn zusammen. Gemeinsam entwickelten sie ein Testspiel, an dem jeweils 18 Studenten teilnahmen. Das Spiel war einfach: Die Teilnehmer sollten in einem Computernetz gleichzeitig eingeben, auf welcher Strecke sie zwischen den Orten A und B fahren wollen. Sie hatten dafür zwei zur Auswahl; eine Autobahn und eine Nebenstrecke.

    Das war nicht die typische Fahrumgebung, aber wir haben einen Anreiz dadurch gesetzt, dass es Geld zu gewinnen gab, das heißt, die Studenten waren motiviert, sonst funktioniert so etwas nicht.
    Je schneller die Teilnehmer die virtuelle Reise von A nach B bewältigten, desto mehr Geld blieb den Studierenden. Wie lang die Reise dauerte, berechneten die Computer. Die kombinierten die Eingaben der Studenten und berechneten aus der Routenwahl, ob sich Staus bilden würden oder nicht. Zwei Durchgänge à 200 Runden mussten die Studierenden spielen; im zweiten Durchgang bekamen sie nach jeder Runde gesagt, ob sie auf dem anderen Weg schneller gewesen wären. Dabei zeigte sich, dass sich die Teilnehmer nach drei verschiedenen Mustern entschieden:

    Das ist einmal der Sensible, der sehr schnell reagiert, das ist ein Gegenläufiger, der lange wartet, taktiert, und es ist ein Konservativer, der eigentlich immer nach seiner eigenen Nase fährt und die Verkehrssituation weitestgehend ignoriert.

    Die schnell reagierenden und die konservativen Verhaltensmuster traten dabei am häufigsten auf; der sogenannte Gegenläufige, der sich denkt, wenn alle der Umleitung folgen, ist die Hauptstrecke frei, also fahre ich dort lang, ist dagegen verhältnismäßig selten. Nach Angaben der Forscher haben ähnliche Spiele an der Universität Graz und in den USA die gleichen Ergebnisse erzielt. Die Wissenschaftler sind daher überzeugt, dass sie ihre Ergebnisse auf die Wirklichkeit übertragen lassen. Mit Hilfe dieser Typen könnte jetzt ein Prognosesystem entwickelt werden, das auch die Routenwahl des Fahrers nach einem Warnhinweis berücksichtigt. Derzeit plant Michael Schreckenberg allerdings eine andere Erweiterung für das Stauprognosesystem in Nordrhein-Westfalen:

    Wir werden in Kürze auch die vergangenen Tage in ihrer Auswirkung auf den Verkehr anbieten, so kann man dann abends gucken, was wäre gewesen, wenn ich die andere Route genommen hätte, und das als Ausgangsbasis für die Entscheidung am nächsten Tag nehmen, und dann eventuell diese eventuell bessere Route nehmen, ...

    Denn, auch das hatte sich im Versuch gezeigt: Diese Information führt dazu, dass die Fahrer seltener zwischen den Routen hin- und herwechseln. Und das stabilisierte zumindest im Spiel den Verkehrsfluss.