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Mit Gedanken Computer steuern

''Die Gedanken sind frei / Wer kann sie erraten? / Sie fliegen vorbei / Wie nächtliche Schatten'' - heißt es in einem alten Volkslied. Von wegen! Gedanken sind ganz unprosaisch elektrische Ströme. Und was jemand denkt, messen Mediziner mittlerweile auch schon - zumindest in Ansätzen. Umgekehrt heißt das aber auch: Wer gezielt an etwas denkt, produziert gezielt ein elektrisches Signal. Und dieses Signal wiederum lässt sich nutzen, um etwas zu steuern: Einen Computer etwa oder eine Handprothese. Das klingt gut, hat aber einen Haken: Das Hirn wimmelt nur so von Strömen; sie einer bestimmten Aktion zuzuordnen, ist extrem schwierig. Berliner Forscher haben nun eine Methode entwickelt, bei der ein Computer die Bedeutung neurophysiologische Signale eigenständig erlernt - ohne langwieriges Training der Testpersonen.

13.08.2003
    Von Mirko Smiljanic

    Eigentlich ist alles ganz einfach: Eine halbe Sekunde vor einer Aktion, vor dem Tippen eines Buchstaben auf der Tastatur etwa, baut sich im Gehirn ein Bereitschaftspotential auf. Die Spannung beträgt nur wenige Millionstel Volt, signalisiert aber, dass der Mensch etwas plant. Bewusst ist ihm das nicht. 200 Millisekunden bevor der Finger tatsächlich in Aktion tritt, weiß er, was er gleich macht, 40 Millisekunden vorher lassen sich erste EMGs - Elektromyogrammspuren - in den Muskeln nachweisen. Sie signalisieren, dass der Finger binnen weniger Tausendstel Sekunden die Taststur berührt. Das Bereitschaftspotential lässt sich nun abgreifen, um über einen Computer etwas zu steuern. Frei nach dem Motto: Ich denke, der Cursor bewegt sich auf dem Bildschirm, und schon tut er es. Leider nur schwirren solche Signale millionenfach durch unser Hirn. Klaus-Robert Müller, Professor für Informatik am Fraunhofer Institutes für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik in Berlin.

    Also, Sie hören ja im Moment, Sie riechen, fühlen, schmecken, - wenn ich mein Glas Wasser jetzt trinken würde - diese Aktivitäten laufen alle gleichzeitig ab. Man kann sich also vorstellen, dass diese kleinen Ströme, diese kleinen Quellen gleichzeitig elektrische Felder aussenden, und was man draußen mit dem EEG misst, ist eben eine Überlagerung, ein großes Kuddelmuddel.

    Dieses Kuddelmuddel entwirren Informatiker gemeinsam mit Neurologen des Berliner Universitätsklinikums Benjamin Franklin mit einem neuen Verfahren. Ausgangspunkt ist das akustischen Cocktailparty-Phänomen: Alle reden durcheinander, Türen schlagen Geschirr klappert, trotzdem lassen sich einzelne Geräusche identifizieren: Entweder durch Konzentration oder - technisch gesehen - durch ein statistisches Verfahren: Es müssen die feinen Unterschiede der einzelnen Geräusche herausgefiltert werden.

    Da versucht man mit vielen Mikrophonen aufzunehmen, nicht nur mit den zwei Ohren, und man versucht jetzt die statistischen Eigenschaften der Sprecher auszunutzen, die sind nämlich leicht unterschiedlich, und in jedem Mikrophon ist eine leicht unterschiedliche Überlagerung,...

    ....die dann statistisch herausgerechnet werden kann. Auf diese Weise lassen sich schließlich einzelne Geräuschquellen auseinanderhalten. Vergleichbares machen die Berliner Wissenschaftler mit den Hirnströmen beziehungsweise dem Cerebralen Cocktailpartyphänomen. 128 Elektroden messen an der Kopfhaut die vielen Millionen Potentiale, die ihrerseits von einer speziellen Software verglichen wird. Das besondere ist daran: Die Software vergleicht eigenständig vorgegebene Parameter,...

    ...zum Beispiel Aktivität in einem Frequenzband zwischen vier und zehn Hertz, das wäre so ein Merkmal. Und jetzt würde man versuchen, diese Information zu nutzen, um damit besonders gut klassifizieren zu können und eine Mustererkennung durchzuführen in diesen Merkmalen.

    Bei diesem Brain-Computer Interface durchläuft der Proband kein langwieriges Trainingsprogramm, bis die Software begriffen hat, welches Signal denn nun "Cursor rechts" bedeutet oder "Computer aus". In ersten Experimenten konnten Testpersonen schon nach 20 Minuten einen Cursor mit der Kraft ihrer Gedanken steuern. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Computer richtig reagiert, liegt mittlerweile bei 97 Prozent. Dies betrifft allerdings nur einfache Bewegungen. Komplexe Vorgänge sind noch nicht möglich: Das Greifen von Tasse mit Handprothesen oder gar bei Querschnittsgelähmten die zerstörte Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln zu überbrücken, erfordert einen wesentlich höheren Datenfluss.

    Das ist alles eine Frage der Übertragungsrate, die man erreichen kann. Im Moment haben etwa 50 Bit pro Minute, die wir erreichen können, zum Vergleich: Eine Maus hat etwa 200 bis 300 Bit pro Minute. Das heißt, die Übertragungsrate ist vergleichsweise langsam und wenn man eine Neuroprothese steuern wollte, müsste man die Bitrate viel, viel höher kriegen.