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Mit Gottes Hilfe

Fast 30.000 Tote pro Jahr - das ist die traurige Statistik der Verkehrsopfer in Russland. Im Kampf gegen Raser setzt die russische Verkehrspolizei jetzt nicht mehr nur auf schärfere Gesetze, sondern auch auf göttlichen Beistand und die Autorität der russisch-orthodoxen Kirche.

Von Mareike Aden |
    Kurz vor Mittag steigen die Verkehrspolizisten Sergej und Anton in der Stadt Peresslawl-Zalesski, rund 150 Kilometer nordöstlich von Moskau, in ihren schmuddelig weißen Streifenwagen, Marke Lada. Auf der Rückbank sitzt ein Mann mit langen Haaren, gekleidet in eine graue Kutte aus grobem Leinenstoff: Michail Lasarew, 40 Jahre alt. Er ist Priester, wohnt in einem Nachbarort. Zusammen wollen die Polizisten und er heute Verkehrssündern ins Gewissen reden.

    Im Kampf gegen Raser und Rowdies setzt die Verkehrspolizei der Region seit fast sieben Jahren auf die Hilfe der Russisch-Orthodoxen Kirche. Doch für Vater Michail ist es das erste Mal. Er vertritt seinen Kollegen, Vater Oleg, der sich krank gemeldet hat:

    "Wenn jemand die Verkehrsregeln gebrochen hat, dann ist das ein guter Anlass für ein Gespräch – über sein Leben, seine Beziehung zu Gott und den Sinn des Lebens an sich. Die Idee, dass wir Priester der Verkehrspolizei helfen, ist gut, aber ob das in der Praxis funktioniert, da bin ich ehrlich gesagt noch skeptisch."

    Die Trasse M8, die Moskau mit der Stadt Jaroslawl verbindet, ist eine der meistbefahrenen Straßen der Region: Lastwagenfahrer, Pendler sorgen regelmäßig für volle Fahrbahnen – am Wochenende kommen die Moskauer hinzu, die auf ihre Datschas fahren.

    Immer wieder sieht Verkehrspolizist Sergej hier Unfälle, oft mit tragischem Ausgang. Es fehle vielen Fahrern einfach an Verantwortungsbewusstsein, sagt er:

    "Eines der größten Probleme ist, dass viele Leute betrunken fahren. Deshalb gibt es viele Tote und Verletzte. Aber auch bei riskanten Überholmanövern, weil manche das Ampelrotlicht ignorieren, an Zebrastreifen nicht anhalten. Und dann sind viele gar nicht angeschnallt und benutzen auch keine Kindersitze."
    Dienstbeginn: Polizist Sergej winkt einen Lastwagen aus dem Verkehr, der zu schnell gefahren ist. "Steigen Sie bitte aus" – sagt Sergej zum Fahrer. "Wir machen heute eine gemeinsame Aktion mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, um die Verkehrssicherheit verbessern. Und der Priester möchte auch mit Ihnen reden." Sergej tritt zur Seite und macht Platz für Vater Michail.

    "Wenn Sie sich hinters Steuer setzen, dann wünsche ich ihnen, dass ihre Seele friedlich ist und ruhig. Fahren Sie nicht, wenn Sie wütend sind oder aufgebracht. Beten Sie, bekreuzigen Sie sich, und dann fahren sie mit Gottes Hilfe."
    Der Fahrer, ein schmächtiger Mittvierziger mit kurz rasierten Haaren und diversen Zahnlücken ist so perplex, dass er sich nicht mal traut, nach seinem Handy zu greifen, das in der Fahrerkabine weiter vor sich hin klingelt.

    "Ich fühle mich ein wenig verwirrt, ehrlich gesagt. – Das ist ungewohnt, wenn da zusätzlich auch noch ein Priester steht. Vor dem habe ich natürlich mehr Respekt als vor einem Polizisten. Der Priester ist ja ein Mann Gottes, er ist heilig. Und ich bin ja selbst auch getauft."

    Und bei Vater Michail weicht allmählich die anfängliche Skepsis:

    "Normalerweise, wenn ich Verkehrspolizisten mit Fahrern sprechen sehe, dann haben die Fahrer einen sehr angespannten, manchmal wütenden Gesichtsausdruck. Aber wenn ich dabei bin, dann sind sie entspannter."

    Übrigens: Auch auf die Verkehrspolizisten habe die Anwesenheit von Priestern einen guten Einfluss, hat Vater Michail beobachtet. Denn auch die Uniformierten seien oft zu unhöflich zu den Fahrern, versuchten Schmiergelder zu erpressen. Priester wie er könnten dann hervorragende Vermittler sein.

    "Ich merke immer wieder, dass viele Menschen misstrauisch sind gegenüben den hohen Würdenträgern unserer Kirche, gegenüber jenen, die fern sind vom Volk. Doch einfachen Priestern wie mir, denen vertrauen die Menschen."


    Programmhinweis: In der Sendung "Gesichter Europas" geht es am Samstag, den 19. Oktober um das Thema Zwischen Spiritualität und Staatsideologie - Russische Orthodoxie auf dem Vormarsch, Autorin ist Mareike Aden