Archiv


Mit Herz und Seele

Technik. - Dummys für Crashtests sind immer schon High-Tech-Produkte gewesen. Sie besitzen feinste Motoren und sensible Sensorik und werden aus Materialien gebaut, deren exakte Eigenschaften geheim sind, aus Kunststoffen und exakt definierten Metallegierungen. Trotzdem ist die Entwicklung dieser für die Automobilindustrie wichtigen Unfallsimulanten noch lange nicht an einem Endpunkt angelangt, sagt ein Heidelberger Experte. Im Gegenteil: Innovative Dummys der nächsten Generation sollen – in Maßen - Herz und Seele bekommen – Dummys mit Herz.

Von Klaus Herbst |
    Die Autos sind immer sicherer geworden und haben die Dummys qualitativ überholt, sagt ein Heidelberger Unfallforscher. Florian Schüler ist Dummy-Experte am Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg.

    Ich meine ... wir können beobachten, dass in den letzten fünfzehn Jahren, etwa so Beginn der Neunziger Jahre, die Qualität der Fahrzeuge unter dem Aspekt des Verletzungsschutzes schneller zugenommen hat wie die Mess- und Entwicklungswerkzeuge sprich die Dummys, die eigentlich den Nachweis dieser Qualität der Fahrzeuge führen sollen.

    Dank optimierten Fahrzeuginnenkabinen, Airbags und Seitenaufprallschutz verlaufen schwere Verkehrsunfälle heute weniger blutig. Schädel- und Thoraxbrüche gehen zurück. Die beim Unfall plötzlich freiwerdenden Kräfte breiten sich dagegen stumpf im Körperinneren aus. Schüler erwartet:

    Dass in Zukunft bei der Evolution der Dummys auch mehr und mehr eine Modellierung, eine Gestaltung, die Darstellung innerer Organe zum Tragen kommen könnte. Wenn wir also feststellen würden, dass in hohem Maße die Lungenkontusion im Vordergrund steht mit entsprechenden Komplikationen, dann würde man bemüht sein, in Sonderheit hier eine modellhafte, physikalische Ausbildung einer solchen Lunge im Dummy zu implementieren.

    Moderne Kunststoffe machen es möglich, innere Organe vereinfacht aber sehr realistisch nachzubauen. Die Dummys bekommen also ein Innenleben. Ältere Modelle besaßen Knochen und Gelenke. Ein Dummy, der mit der Zeit geht, hat Herz. Aber auch Leber und Nieren und, so der Heidelberger Experte:

    Bei den derzeitig benutzten Dummys ist im Gegensatz zu dem, was beim Menschen der Fall ist, kein Schwingungsverhalten etwa der Muskulatur und des Gewebes dem Knochen entlang je nach Belastungsfall gegeben, welches auch im ... Geschehen eine Rolle spielen kann. Es gibt also gewisse physikalische Systemeigenschaften und auch Materialeigenschaften, die den Menschen auszeichnen, noch nicht in dem Maße im Dummybau, wie das möglicherweise förderlich sein könnte.

    Dummys sollen personalisiert werden. Es ist statistisch bekannt, dass Menschen immer älter und größer werden und in vielen Fällen auch übergewichtig sind. Folglich könnte man Dummys entwickeln, die die Eigenschaften simulieren, alt oder übergewichtig zu sein sowie porösere Knochen zu besitzen. Das häufige Schleudertrauma lässt sich ebenfalls noch nicht gut genug im Dummy simulieren. Schüler regt an, ...

    ... dass der HWS-, Halswirbelsäulenbereich und auch was den Kopf selbst betrifft, dem wertvollsten, was wir haben, dem Gehirn, noch weiter erforscht werden könnte unter dem Aspekt der Darstellung durch entsprechende Dummys. Wir wissen alle, dass Kollisionen, bei denen es zu Heck-Auffahrereignissen kommt, wo also ein Auto dem anderen Auto hinten draufprallt, ... die immer wieder zitierte Halswirbelsäulen-Dystorsion dann geltend gemacht wird.

    Innovative Dummys haben also Herz und viele anderen inneren Organe, um dem so genannten polytraumatischen Unfallgeschehen gerecht zu werden. Bei einem schweren Verkehrsunfall werden nämlich meist mehrere Organe verletzt. Florian Schüler sagt, es habe schon ernst gemeinte Studien gegeben, auch die menschliche Psyche zu simulieren. Dummys hätten dann Ansätze eines Seelenlebens, und man könnte messen, wie bestimmte Verletzungen bestimmte Konfliktneurosen auslösen können. Anlass darüber nachzudenken, war ein schwerer Unfall, bei dem ein älteres Ehepaar mit seinem Auto unverschuldet in einen Oberklasse-PKW raste.

    Für mich war beeindruckend, dass bei dem Grad der Verformung dieses Fahrzeuges die beiden älteren Herrschaften im Auto erstaunlich gering verletzt waren. [...] Wie sich dann gezeigt hat, haben sie wohl eher einen größeren psychischen Schaden genommen als einen körperlichen Schaden. Sie haben nämlich über sechs Monate gebraucht, dieses plötzliche, unerwartete Unfallereignis psychisch zu verkraften. Da könnte man also auf den Gedanken kommen, ... auch einen Dummy für die psychische Verkraftung von Unfallereignissen zu entwickeln.