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Mit Laptop und Gummistiefeln

Vor 100 Jahren hat ein Landwirt im Schnitt vier Menschen ernährt, heute können 127 von den Erträgen eines Bauern leben. Mit dem radikalen Wandel auf dem Hof hat sich auch der Job des Bauern drastisch verändert. Die Gummistiefel braucht er nur noch selten, den Computer immer häufiger, und ohne BWL und vor allem Marketingkenntnisse kann ein Landwirt heute nicht mehr überleben. Aber auch wenn nicht ein eigener Hof geführt werden soll: Agrarwissenschaftler haben gute Arbeitsmarktchancen.

Von Andrea Lueg |
    Moritz Stöcker kommt gerade aus dem Wald: Zusammen mit seinem Praktikanten Tim hat er Holz geholt, dicke Stämme, die in kleinere Stücke zersägt und dann von einem Spezialgerät in kamingerechte Spalte geteilt werden. Kaminholz zu verkaufen, das ist einer der vielen Jobs, mit denen Moritz sein Geld verdient:

    "Wir machen Weihnachtsbaumproduktion, sowohl wie den Verkauf, wir machen relativ viel an Erdbeeranbau, wir haben noch eine Selbstpflückanlage, wo wir die Erdbeeren zum selber pflücken anbieten und dann natürlich die normale Landwirtschaft mit Weizen und Gerste, Zuckerrüben, Mais, das Rundum-glücklich-Programm sozusagen."

    Moritz Stöcker ist Ende zwanzig, vor drei Jahren hat er den Hof von seinem Vater übernommen. Für deutsche Verhältnisse ist der Betrieb klein, 55 Hektar Land nennt der Landwirt sein eigen. Um heute wirtschaftlich arbeiten zu können, bräuchte er mindestens 300 Hektar. Hat man weniger, dann kann man fallende oder stagnierende Preise, wie sie immer wieder vorkommen, nicht lange überstehen.

    "Insofern habe ich mich auf mehrere Risikofaktoren verteilt, so dass selbst wenn mal ein Jahr in einem Betriebszweig ein Problem entstehen sollte, man das mit einem anderen Betriebszweig kompensieren könnte."

    Obwohl Moritz den Hof aus Liebe zum Land übernommen hat und davon schon als Junge träumte, passt er so gar nicht ins deutsche Klischeebild vom Bauern. Das ist immer noch eine Mischung aus romantischen Vorstellungen vom Leben mit einer bunten Tierschar auf dem idyllischen Hof und dem Bild von verschrobenen Einsiedlern, die den ganzen Tag nicht aus den Gummistiefeln rauskommen. Moritz dagegen ist ein kreativer Kopf mit vielen Ideen, ein Unternehmer durch und durch. Und das muss ein Landwirt heute auch sein, sagt Thorsten Kraska, Studienberater an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Uni Bonn. Die Gummistiefel seien für einen Bauern heute fast verzichtbar, das Laptop dagegen unentbehrlich.

    "Ein Großteil der Arbeit auch im landwirtschaftlichen Betrieb wird am Notebook oder am Computer, im Internet absolviert, und wenn man sich die neuen Techniken ansieht, GPS, Satelliten-Geodäsie, die Einzug in die landwirtschaftlichen Techniken gehalten haben, dann ist der landwirtschaftliche Betrieb heute ein ganz anderer als man ihn sich vielleicht vor zehn, zwanzig Jahren noch vorgestellt hat."

    Die Uni Bonn führt in diesem Jahr erstmals Beschränkungen für den Studiengang Agrarwissenschaften ein, die Zahl der Studierenden ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Darunter sind allerdings immer weniger Jungbauern, die den elterlichen Hof übernehmen werden, dagegen werden die Absolventen, so Kraska:

    "Unternehmensberater, Wirtschaftsberater, die können natürlich auch einen wirtschaftlichen Betrieb übernehmen, sind dann aber meistens freiberuflich tätig, mieten Flächen an, führen also größere Betriebe, wobei die kleineren Betriebe natürlich immer stärker zurückgehen."

    Absolventen gehen auch in die Forschung, in Behörden oder in die Politik. Und der Frauenanteil beträgt bei den Studierenden in Bonn übrigens 50%. Wer sich bereits während des Studiums etwa über Praktika in ganz unterschiedlichen Bereichen damit auseinandersetzt, wo seine Fähigkeiten liegen, hat als Agrarwissenschaftler gute Jobchancen. Auch im Ausland, in Kanada etwa oder auch in Osteuropa, wo es viele Betriebe mit riesigen Flächen gibt, auf denen die neuen landwirtschaftlichen Techniken eingeführt werden müssen, aber auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse gefragt sind.

    "Wenn man sich von der romantisierenden Seite verabschiedet, wird man feststellen, dass die Agrarwissenschaften momentan eines der spannendsten Forschungsfelder ist, in dem man sich als Studierender tummeln kann."

    Marketing ist ein entscheidender Faktor für jeden Landwirt heute in Deutschland. Dass sein Hof recht klein ist, gleicht Moritz mit Werbung für die einmalige Lage aus. Es ist der einzige Erdbeeranbaubetrieb im Neandertal - ja genau, dem Tal, wo der Urzeitmensch gefunden wurde und durch das im Jahr etwa 800 000 Besucher wandern. Deshalb heißen Moritz' Erdbeeren nicht einfach Erdbeeren, sondern "Neanderbeeren", den Namen hat er schützen lassen - und kann seither auch etwas höhere Preise verlangen.

    Das Image der Landwirtschaft wandelt sich ganz langsam, aber vor einem alten Problem der Bauern steht auch Moritz heute:

    "Ja und dann fehlt natürlich noch das passende Gegenstück, das weibliche hier im Betrieb - es ist heute problematisch, das Verständnis einer Frau dafür zu bekommen, dass man keinen geregelten Arbeitstag hat, der um vier Uhr endet, wo man sagt, so jetzt gehen wir mal einen Kaffee trinken um halb fünf im Sommer oder gehen ins Schwimmbad."