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"Mit mir und Salzburg ist alles in Beziehung"

Der Schriftsteller Thomas Bernhard hegt eine Art Hassliebe zu den Salzburger Festspielen, insbesondere zu der Stadt Salzburg. Und doch kamen mehrere Theaterstücke des Alpen-Becketts hier zur Uraufführung. Nach über zwanzig Jahren gibt es von dem längst kanonischen österreichischen Bühnenautor wieder ein Stück bei den Salzburger Festspielen. Eigentlich wäre der "Boris" 1966 des Dichters erstes Stück überhaupt für Salzburg gewesen.

Von Bernd Noack |
    Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, komme auch ohne sein Schauspiel aus, entschied vor genau 35 Jahren der Dichter Thomas Bernhard auf dem Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die er mit den Salzburger Festspielen führte. In die Chronik grotesker Theater-Ereignisse ist die Geschichte eingegangen als der "Notlicht-Skandal": Regisseur Claus Peymann hatte sich gewünscht, dass am Ende des Bernhard-Stückes "Der Ignorant und der Wahnsinnige", dessen Uraufführung 1972 im Salzburger Landestheater anstand, für ganz kurze Zeit aus dramaturgischen Gründen auch noch die blasse Notbeleuchtung im Saal gelöscht wird. Trotz feuerpolizeilicher Bedenken gestand man ihm dies zunächst zu: Bei der Generalprobe war es stockfinster im Theater. Einen Tag später bei der Premiere aber brannten die Lämpchen wieder - und bei den Künstlern die Leitungen durch.

    Zu einer zweiten Vorstellung kam es gar nicht mehr: Die Schauspieler weigerten sich aufzutreten; in der Folge entwickelte sich ein Briefverkehr samt Pressezirkus, in denen Worte wie "Infamie" und "Vertrauensbruch" noch am harmlosesten waren; die Sache landete und versandete schließlich vor dem Bühnengericht. Hilde Spiel schrieb damals: "Es war der erregendste Sommer seit langem. Er wäre der brillanteste gewesen, hätte man in jenen zwei Minuten das Licht gelöscht."

    Ein Stoff wie aus einem Bernhard-Stück? Tatsächlich kommt der Dichter Jahre später in seinem "Theatermacher", in Salzburg uraufgeführt 1985, nochmals ironisch darauf zurück, wenn er seinen Titelhelden Bruscon über vollkommene Finsternis und ausgeschaltetes Saallicht brabbeln lässt. Claus Peymann, auch diesmal der Regisseur, wollte da noch eins draufsetzen und an die guten alten Skandalzeiten anknüpfen: er ließ vorab verlautbaren, dass man beabsichtige, in der "Theatermacher" -Uraufführung zwecks realistisch stinkiger Utzbach-Dorf-Atmosphäre 800 echte Fliegen "auftreten" zu lassen. Den Salzburgern schwirrte es schon um die Köpfe: auf jeden Festspielbesucher im Theater wäre immerhin eine Fliege gekommen! Bei der Premiere waren dann die Insekten freilich aus Plastik.

    Thomas Bernhard und Salzburg, das ist ein endlos weites, literarisch und persönlich beackertes Feld: Mit ihm und der Stadt sei alles irgendwie in Beziehung, seufzte der Dichter einmal, aber dabei könne es sich natürlich nur um eine Art Hassliebe handeln. So haben sich beide Beteiligten oft genug wie beleidigte Diven betragen - lassen konnten sie voneinander nicht. Die Festspiele sind dem Dichter nachgerannt und haben ihn ausgebremst, der fühlte sich geschmeichelt und frisierte seine Eitelkeit für die leicht erregbare Öffentlichkeit gerne mit mehr oder weniger harmlosen Ausfällen gegen die "Selbstmörder-Stadt": Aus Schlagobers, meinte er, entstehe nun einmal nichts.

    Gleichwohl wurden zwischen 1974 und 1985 insgesamt fünf Bernhard-Werke im Rahmen der Festspiele uraufgeführt, unter anderem auch "Die Macht der Gewohnheit" mit Bernhard Minetti. Briefwechsel und Dokumente zeigen heute, wie sehr sich der Dichter darum bemühte, in Salzburg ausgerechnet und genau bei dem von ihm wortreich gehassten Festspielanlass präsent zu sein. Trotz diverser Rückschläge, die er in den Jahren hinnehmen musste. Neben dem Notlicht-Skandal machten da vor allem die Streitereien um das Stück "Die Berühmten" Schlagzeilen - nicht nur in den Feuilleton-, sondern vor allem in den Klatschspalten. Vorgesehen für 1976, munkelte man in prominenten Kreisen schon lange vorher, dass Bernhard unter solch einem Titel wohl nur eine ganze Riege bekannter Persönlichkeiten - inklusive Karajan! - aufmarschieren und heftig karikiert im Regen stehen lassen würde. Also wollte die Direktion den Text vorab prüfen, was den Dichter so brüskierte, dass er die Zusammenarbeit kurzerhand aufkündigte: Er brauche die Festspiele nicht, kabelte Bernhard beleidigt - aber fünf Jahre später sollte mit "Am Ziel" der aufgedröselte, freilich nie wirklich zerrissene Faden dann doch wieder aufgenommen werden.

    Und jetzt also mit "Ein Fest für Boris" nach 1985 erstmals wieder ein Bernhard-Stück bei den Festspielen. Aber auch zu diesem Schauspiel gibt es ein Salzburger Vorspiel: denn eigentlich wäre der "Boris" 1966 des Dichters erstes Stück überhaupt für Salzburg gewesen. Dieser "Anti-Jedermann", wie Bernhard schon selber vor dem Inhalt warnte, wo an einer Tafel ein Haufen "Verkrüppelter" zusammensitzt, wurde jedoch seinerzeit abgelehnt: der Inhalt erschien den Verantwortlichen als zu düster für eine sommerliche Festspielaufführung. Der Text an sich sei zwar ausgezeichnet, hieß es in der Absage, doch habe man bei den Festspielen gewisse Rücksichten auf die Nerven empfindsamer Gäste zu nehmen.

    Da hatte Thomas Bernhard dem Stück schon wohlweislich als Motto ein Zitat von Alexander Brock vorangestellt, wonach Premieren ja für gewöhnlich unerträgliche Examen und überhaupt eine Verhöhnung der Kunst seien.