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Mit Neutronen für bessere Salben

Pharmazeutik. - Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat am Mittwoch einen Kooperationsvertrag mit dem russischen Vereinigten Institut für Kernforschung in Dubna unterzeichnet. In Halle sind es vor allem die Biologen und Pharmazeuten, die große Hoffnungen auf die Arbeit mit Neutronen setzen. Ein Ziel dabei ist die Entwicklung besserer Salben.

Von Hartmut Schade | 28.01.2004
    Wenn der Winterwind pfeift und der Schneeregen ins Gesicht peitscht, spürt man es ganz unmittelbar: die Haut ist die Barriere zur Außenwelt. Ein Schutzwall, der Wind und Wetter ebenso abweist wie Chemikalien. Dieser perfekte Schutz stellt aber den Arzt vor Probleme, sagt Professor Siegfried Wartewig von der Universität Halle

    Jeder weiß, wenn er zum Hautarzt geht, dann fängt der Hautarzt unter Umständen an zu probieren. Ich probiere diese Salbe; wenn es geht, okay, wenn nicht, muss ich variieren. Und das hängt einfach damit zusammen, dass die Kenntnisse über die Funktion der Haut noch nicht ausreichend sind.

    Die Pharmazeuten interessieren sich vor allem für die obersten 15 bis 20 Mikrometer der Haut, die so genannte Hornschicht. Die besteht aus toten Zellen und besonderen Lipiden, die Wasser abweisend sind. Um herauszufinden, was in der Hornschicht passiert, beschossen die Hallenser sie zunächst mit Laser- und Röntgenstrahlen. Die Strahlen prallen von den Lipidmolekülen ab - aus der Streuung ziehen die Wissenschaftler Rückschlüsse über einzelnen Atome und ihre Lage im Molekül. Das erlaubt Voraussagen, wie die Moleküle der Salben diese Schutzschicht überwinden können.

    Und wir sind aber zu einem gewissen Punkt gekommen, wo wir sagen können: So geht es nicht weiter, wir müssen neue Methoden einsetzen.

    Eine der neuen Methoden ist die Untersuchung mit Neutronen. Anders als Röntgenstrahlen, die an der Elektronenhülle abprallen, schlagen die Neutronen bis auf den Kern durch und werden von den dort existierenden Protonen und Neutronen abgelenkt. Nun besitzen die Atome eines Elements eine unterschiedliche Zahl von Neutronen, kommen als so genannte Isotope vor. Normaler Wasserstoff beispielsweise besitzt nur ein Proton, bei schwerem Wasserstoff hingegen besteht der Atomkern aus Proton und Neutron und ist damit fast doppelt so schwer. Das machen sich die Wissenschaftler zunutze und ersetzen in den Lipiden normale Wasserstoffatome durch schwere. Oder sie legen die Lipide in eine Lösung aus schwerem Wasser, sodass sich ihre Kohlenwasserstoffketten klar von der Umgebung abheben. So erzeugen sie kontrastreiche Bilder. Diesen hohen Kontrast sieht Michail Kiselev vom Frank Laboratorium für Neutronenphysik am Vereinigten Institut für Kernforschung im russischen Dubna als entscheidenden Vorzug der Neutronenstrahlung.

    Ein einfaches Beispiel: Wenn sie eine schwarze Katze vor einer weißen Wand haben, dann können sie sie leicht erkennen. Aber wenn sie eine weiße Katze an eine weiße Wand malen, dann haben sie ein großes Problem, sie zu sehen. Mit Hilfe der Neutronenstrahlung können sie den Kontrast verändern, indem sie beispielsweise normales Wasser ersetzen durch schweres Wasser.

    Dank der scharfen Neutronenbilder gelang es den Forschern ein Modell zu entwickeln, das die Hornschicht simuliert. In diese künstliche Hornschicht bringen die Pharmazeuten nun Wirkstoffe wie den in der Hautmedizin viel verwendeten Harnstoff ein und verfolgen mit ihren Neutronenbildern, wie sich dadurch die Lipide verändern. Das gleiche gilt für Salben, die die Wirkstoffe transportieren. Wie muss eine Salbe beschaffen sein, die Heilsubstanzen durch trockene Haut lotst und wie kommen die gleichen Stoffe leicht durch eine feuchte Haut? Siegfried Wartewig:

    Man möchte dien Wirkstofftransport so effektiv wie möglich machen: so wenig wie möglich, so schnell wie möglich und so gezielt wie möglich.
    Nun, da die Wissenschaftler die Struktur der Barriere kennen, wissen sie auch die Wege, sie zu überwinden. Die Hallenser Pharmazeuten mischen schon an Salben, die Wirkstoffe wirklich unter die Haut gehen lassen.