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Mit offenem Visier

Aus einer Drei-Zimmer-Wohnung, mitten in einem von der Cosa Nostra kontrollierten Landstrich, berichtet der Fernsehsender "Tele Jato" kritisch über die Mafia. Mit seiner Berichterstattung will er die Omerta, das Schweigen der Bevölkerung, brechen. Henning Klüver hat sich bei den Machern umgesehen.

    Manchmal wissen Pino Maniaci und seine Tochter Letizia im Studio von Tele Jato gar nicht, an welchem Telefon sie zuerst antworten sollen. Und das während der Tagesschau, wenn Pino nicht nur die Nachrichten spricht, sondern zwischen einer Ansage und der nächsten einen aktuellen Beitrag fertig schneiden muss. Letizia, die am Morgen noch draußen gedreht hat, führt jetzt die Bild- und Studioregie. Tele Jato, der kleine Fernsehsender im sizilianischen Städtchen Partinico unweit von Palermo ist in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit weniger als 100 Quadratmeter Fläche untergebracht. Und schon schickt Letizia ihren Vater wieder ins Nebenzimmer vor die fest installierte Kamera.

    Ein Mitglied des Gemeinderates von Partinico ist ins Studio gekommen, weil er eine Meldung über sich, die ein paar Minuten vorher über den Sender gelaufen ist, korrigieren will. Natürlich gibt ihm Pino Maniaci die Möglichkeit zur Gegendarstellung vor der laufenden Kamera des Telegiornale.

    Solche Art von offener Information gehört zum Prinzip des kleinen Senders, der sich mit lokaler Werbung und aus den Einnahmen der Direktübertragung von Gemeinderatssitzungen finanziert, der von Spenden lebt und vor allem durch die freiwillige Mitarbeit von vielen Jugendlichen getragen wird. Dieser Einsatz ist mutig. Denn das Sendegebiet mit gut 75.000 Einwohnern im Jato-Tal gehört nicht gerade zu den friedlichsten Landstrichen von Sizilien, wie Pino Maniaci erzählt.

    "Das Problem von Partinico und besonders von dem Gebiet, das wir abdecken, also außerdem noch die Orte San Giuseppe Jato und Corleone, wird von Fachleuten als höchste mafiöse Durchdringung bezeichnet. Uns betrifft das direkt und wie wir in unserer manchmal deftigen Sprache sagen, geht uns die Mafia hier auf die Eier! Dazu gehören der Pizzo, das heißt die Schutzgeldzahlungen, die Omerta, das Schweigen. Und deshalb versuchen wir zu informieren, mit offenem Visier zu kämpfen. Das gibt Probleme, also schneiden sie uns die Reifen unserer Autos kaputt, lösen die Bremsleitungen, bedrohen uns mit Anrufen, was wir natürlich sofort alles anzeigen."

    Tele Jato hat sich besonders mit einer der größten Brennereien Europas angelegt, welche die Luft von Partinico vergiftet und den Boden des Jato-Tals mit Abwässern verseucht. Die Besitzerin gehört zu einer bekannten Mafia-Familie. Sie wehrt sich gegen jeden kritischen Bericht mit Verleumdungsklagen. Inzwischen steht sie selbst vor Gericht. Um Tele Jato den Rücken frei zu halten, hat sich ein linker Politiker, Francesco Forgione, Fraktionschef der Rifondazione Comunista im Regionalparlament, als Chefredakteur zur Verfügung gestellt.

    "Ich bin eher zufällig verantwortlicher Chefredakteur geworden. Wie überall in den Mafiagebieten ist es schwer, frei zu informieren. Und gegen diesen Sender haben sich bis jetzt rund 160 juristische Klagen angesammelt. Ich habe mich angeboten, um zu verhindern, dass diese Klagen gegen jeden kritischen Bericht zu einem Mittel der Einschüchterung werden."

    Vor ein paar Jahren, wurde der Betreiber eines privaten Radios, wie im Film "Hundert Schritte" zu sehen war, noch brutal ermordet. Heute tötet die so genannte neue Mafia nicht mehr so schnell, sondern benutzt subtilere Methoden, zettelt über ihre Rechtsanwälte langwierige Prozesse an und versucht ihre Gegner auch finanziell in die Knie zu zwingen. Dennoch: hat einer wie Pino Maniaci nicht Angst um sich, um seine Familie, seine Mitarbeiter?

    "Die Leute von hier verteidigen uns, verteidigen Tele Jato. Um nur ein Beispiel zu nennen. Es gab einen Fackelzug gegen die Bertolino-Brennerei, wie man ihn noch nie in Partinico gesehen hatte: 10.000 Menschen, wirklich 10.000 zogen bis vor die Tore der Destillerie."

    Freie, unabhängige Medien erweisen sich als ein wirksames Mittel im Kampf gegen die Mafia und geben den Einwohnern dieses sizilianischen Landstriches bislang unbekanntes Selbstvertrauen. Die Überzeugung ist gewachsen, dass der Cosa Nostra nur beizukommen ist, wenn man das Schweigen bricht. Für dieses Engagement ist Tele Jato gerade mit dem vom "Corriere Della Sera" gestifteten Maria-Grazia-Cutuli-Preis ausgezeichnet worden.