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Mit sanftem Druck zum Umweltschutz

"Nachhaltigkeit" - was eine schonende Nutzung von Ressourcen tatsächlich bedeutet, versucht Claudio Padua mit seinem brasilianischen Institut für ökologische Forschung der Gesellschaft mitzuteilen. Mittlerweile ist er so erfolgreich, dass er die Industrie berät, wie sie wirklich nachhaltig werden kann.

Von Michael Stang | 05.11.2012
    Roberto de Lara Haddad hat sich hingekniet. In der einen Hand hält er eine Schaufel, in der anderen einen Setzling. Der Agrarwissenschaftler zeigt, wie man ein Bäumchen richtig pflanzt, hier am Hang einer Trinkwassertalsperre. In vielen Jahren soll der Baum 30 Meter groß werden.

    Der brasilianische Forscher koordiniert das Wiederaufforstungsprogramm am Institut für ökologische Forschung (IPE) im brasilianischen Nazare Paulista, rund 80 Kilometer nordöstlich von Sao Paulo entfernt.

    Das Bäumchen stammt aus seiner eigenen Baumschule. Seit 2009 pflanzen Roberto und seine Kollegen regelmäßig Bäume in der Region, insgesamt 120 Arten. An die 130.000 Bäume hätten sie mittlerweile geschafft, das entspricht einer Fläche von rund 90 Hektar. Jede Woche kommen mehrere Schulklassen und Besuchgruppen zu Roberto de Lara Haddad ins Institut und alle können bei der Aufforstung des Regenwaldes helfen.

    "Weil es gerade regnet, müssen wir das Bäumchen jetzt nicht gießen. Alles noch ein wenig festdrücken ... so etwa ... damit es Halt findet ... noch ein bisschen und schon ist der Baum gepflanzt."

    Das Institut besteht seit mehr als 20 Jahren. Heute stehen auf dem Gelände Schulungsräume, Wohnungen für Wissenschaftler und Mitarbeiter, sogar einen kleinen Sportplatz gib es. Durch die Luft schwirren Kolibris auf dem Weg zum nächsten Hibiskusstrauch, reife Papayas gibt es hier ebenso wie zuckersüße Mangos und kleine Bananen. Der Gründer des Instituts Claudio Padua blickt auf ereignisreiche Jahrzehnte zurück.

    "Die Grundidee ist immer noch dieselbe. Was sich geändert hat, ist die Herangehensweise. Früher dachte ich, ich kann die biologische Vielfalt allein durch die Forschung erhalten. Wenn ich all die Arten und deren Biologie erforsche und versteh, kann ich erfolgreich die Natur schützen."

    Er habe erst mühsam lernen müssen, dass zum Naturschutz auch die Lehre und vor allem die Politik gehören, genauso wie eine gewisse Beharrlichkeit und großer Optimismus. Im Laufe der Jahre habe er immer mehr qualifizierte Kollegen von seiner Idee überzeugen und gewinnen können. Heute arbeiten hier rund 25 Wissenschaftler, die forschen, lehren und Naturschutzprojekte vorantreiben, so Claudio Padua.

    "Die Erfahrung hat gezeigt, dass Naturschutz viel mehr ist als nur Biologie. Wir müssen das Verhalten der Menschen ändern, ebenso sind wirtschaftliche Faktoren relevant. Um das zu erreichen, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der mehr enthält als bloß die Kombination von Naturschutz und nachhaltiger Entwicklung."

    Daher ist die Bandbreite der Aufgaben seines Instituts für ökologische Forschung groß: Es gibt Projekte zum Naturschutz, zur nachhaltigen Entwicklung, die Biodiversität, Biologie und die Geschichte von bedrohten Tieren stehen ebenso auf der Agenda wie die Einbindung der örtlichen Bevölkerung. Auch zwei Masterstudiengänge gibt es mittlerweile hier, "Nachhaltigkeit und Naturschutzbiologie" und der andere beschäftigt sich mit nachhaltigem Wirtschaften. Einer der wichtigsten Mitarbeiter Claudio Paduas ist der deutsche Wissenschaftler Christoph Knogge. Zwar kümmert sich der Primatologe in erster Linie um die Koordinierung des Schutzprogramms der schwarzen Löwenaffen, darüber hinaus betreut er aber auch Projekte zum Thema Ökosystemdienstleistungen und Wassermanagement.
    "Diese Region hier ist eines der wichtigsten Wassereinzugsgebiete für die Trinkwasserversorgung von Sao Paulo."

    Und dort leben rund elf Millionen Menschen.

    "In dieser Region, dadurch dass es noch einen relativ hohen Waldbedeckungsgrad hat und auch aufgrund unserer Tätigkeiten hier mit der Restauration von Waldflächen um diese Stauseen herum, hat das Wasser eine sehr, sehr hohe Qualität und sehr geringe Kosten für die Aufbereitung zur Trinkwasserversorgung."

    Dies sei ein gutes Beispiel für Nachhaltigkeit, so Christoph Knogge: Wiederaufforstung, um eine Trinkwassersicherheit zu gewährleisten und das alles bleibe auch noch bezahlbar.

    "Wir haben verschiedene Projekte, die speziell jetzt Quellflüsse und so weiter betreuen. Wir haben Projekte mit privaten Landbesitzern, dass sie Ausgleichszahlungen bekommen."

    Etwa, wenn diese Zäune aufstellen, damit das Vieh nicht die jungen Bäume frisst, zudem werden Gelder für Aufforstungsprojekte gezahlt.

    Letztendlich gehe es darum, die Gesellschaft in diese Projekte zu integrieren, den Mehrwert und die Nachhaltigkeit begreifbar zu machen und sie von den mitunter auch finanziellen Vorteilen zu überzeugen. So beschreiten sie ständig neue Wege und arbeiten seit einiger Zeit auch mit der Industrie zusammen, um etwa für Firmen Umweltverträglichkeitsmodelle zu erstellen. Das sei mal mehr, mal weniger erfolgreich. Bei einigen Bioethanolfirmen sei es mitunter schwierig, weil diese wüssten, dass die Forscher ganz viel kritisieren – denn es ist mehr als nur ein Aufpolieren des Image. Dennoch müsse man es positiv sehen, so Claudio Padua.

    "Hätte sie mich vor fünf Jahren gefragt, ob ich mit der Industrie zusammenarbeiten würde, hätten sie ein klares Nein von mir gehört. Aber seit dieser Zeit hat sich vieles getan. Viele Firmen wollen wirklich etwas verändern, ihnen ist der Naturschutz wichtig, nicht mehr nur der Profit. Es gibt noch viel zu tun, aber es gibt Hoffnung, jedoch wir stehen noch ganz am Anfang."

    Optimistisch ist auch Roberto de Lara Haddad, der für heute genug Bäume gepflanzt hat. Auch er sieht die Zusammenarbeit mit der Industrie nicht nur als Möglichkeit, die Finanzierung des Instituts langfristig zu sichern, sondern um wirklich etwas zu verändern:

    "Ich sehe das als eine Art Prozess an. Die Firmen können nicht über Nacht plötzlich nachhaltig sein, aber mit sanftem Druck können wir sie in die richtige Richtung bringen und ihnen begreiflich machen, welche Verantwortung sie tragen."