Kiefer: Mit Sicherheit steckt in jedem von uns ein Unternehmer, vorausgesetzt, man ist mutig, man ist fleißig, beherrscht die Grundrechenarten und ist in der Lage, konsequent zu denken und dann auch zu handeln. Bei vielen gibt es natürlich auch eine persönliche Hürde, nämlich Wunschdenken, der Reflex, unbequemen Realitäten auszuweichen und sich nicht mit aller Qualität auf das Management zu konzentrieren.
Liminski: Was sind denn die Haupteigenschaften oder die wichtigsten Fertigkeiten eines Unternehmers?
Kiefer: Ein Unternehmer sollte zunächst einmal informiert sein, und zwar über seine Firma und über das, was er verkaufen möchte. Dabei spielt eigentlich alles eine Rolle - so banal das auch klingt. Es geht um Kosten, es geht um Umsatz. Den Umsatz kennt man noch, bei den Kosten und bei dem Gewinn wird schon gerne weggeschaut. Sie wissen sicherlich, dass im internationalen Vergleich die Gewinne bei deutschen Unternehmen deutlich zurückhängen. Zentrale Kennzahlen für die Gesundheit des Unternehmens - wie zum Beispiel der Ertrag - werden manchmal ganz außer acht gelassen. Aber es gibt auch weiche Faktoren, als Beispiel: Wie bin ich positioniert im Markt? Bin ich die Nummer eins oder die Nummer zwei? Wie sieht mein Produkt aus? Ist es alt, ist es überaltert, passt es noch zu den Gegebenheiten? Darüber muss ein Manager sich informieren. Diese Informationspflicht kann er auch niemandem abtreten, und wenn er diese Informationen hat, muss er handeln, und zwar sofort und mit aller Konsequenz.
Liminski: So wie Sie das schildern, verwundert das eigentlich ein bisschen, denn der Normalbürger geht doch davon aus, dass ein Manager tatsächlich über die Gewinnzahlen, über die Entwicklung seines Unternehmens usw. richtig gut informiert ist, um eben handeln zu können?
Kiefer: "Sie müssen da ein wenig tiefer in die Unternehmen hineingucken, und wir haben an vielen, vielen Stellen die Prozesse im Unternehmen sehr aufgeteilt, das heißt wir haben Bereiche, wo Kennzahlen sehr wichtig sind. Sie werden aber nicht immer ins operative Geschäft übertragen, das heißt es gibt in vielen Unternehmen eine große Diskrepanz zwischen der Finanzbuchhaltung und dem Finanzchef, der die operativen Kennzahlen kennt, und den im alltäglichen Umgang handelnden Managern in den Abteilungen, die von diesen Zahlen im Zweifelsfalle überhaupt keine Ahnung haben.
Liminski: Herr Kiefer, Sie plädieren in Ihrem Buch für mehr Selbstkritik. Ist das auch eine ver-
steckte Kritik an diversen Unternehmensberatungen, deren Dienste ja meistens auf Kosten
der Belegschaft gehen und nur selten auf Kosten der Manager?
Kiefer: Aus meiner Sicht nicht. Die Unternehmensberater machen ihren Job und die, die ich kennen gelernt habe, machen ihren Job auch gut. Ihre Aufgabe ist es, die Analyse zu unterstützen. Sie sind nicht dazu da, Entscheidungen anstelle der Manager zu fällen. Sie können letztendlich nur die richtigen Informationen helfen zusammenzutragen und dann Entscheidungsoptionen für den Manager vorbereiten. Ein Manager, der die vorgetragenen Informationen oder die vorgetragenen Entscheidungswege dann kritiklos durchführt, ist sicherlich fehl am Platze.
Liminski: Zur Klarstellung. "Gesunde Rücksichtslosigkeit" heißt Ihr Buch. Der Appell, der in dieser Titelformulierung steckt, richtet sich an Unternehmer und Geschäftsführer, rücksichtslos mit sich selbst zu sein. Oder ist es auch ein Appell zur Ellenbogenakrobatik in einem härter umkämpften Markt? Was darf, was soll der Unternehmer von sich und von seinen Mitarbeitern verlangen?
Kiefer: Zu allererst ist es ein Appell an den Manager selbst. Er muss mit Distanz zu sich selber ein sachgerechtes Urteil fällen. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn er halt die Stellgrößen seines Unternehmens nüchtern durchleuchtet und - falls notwenig - dann tatsächlich rigoros und rücksichtslos Konsequenzen zieht. Das ist genau das Gegenteil von einem Appell zum Management mit Ellenbogen. Es ist ein Appell, gesunde Unternehmen zu schaffen, damit wir mehr Wertschöpfung haben und damit diese Wertschöpfung wieder verteilt werden kann.
Liminski: Was heißt denn rücksichtslos in diesem Sinn?
Kiefer: Rücksichtslos heißt in diesem Sinn übersetzt auch Konsequenz; Konsequenz zu allererst gegen sich selbst und in der Entscheidung mutig in der Durchführung zu sein,
und an dieser Stelle halt eben Hindernisse auch aus dem Weg zu räumen. Dafür werden Manager bezahlt.
Liminski: Seit einiger Zeit hat die Wirtschaft eine Ressource entdeckt, Herr Kiefer, von der sie bislang gelebt hat - vielleicht ohne es zu wissen -, die aber jetzt knapper wird, nämlich das berühmte Humankapital oder etwas umfassender: das Humanvermögen. Der amerikanische Nobelpreisträger und Liberalökonom Gary Becker, der den Begriff des Humankapitals in die Wirtschaftswissenschaften eingeführt hat und dafür ja auch seinen Preis bekommen hat, sagt, die Familie ist bei der Bildung von Humanvermögen nicht zu ersetzen. In einem Interview nannte er Ausdauer als die für die Wirtschaft wichtigste Fähigkeit - man könnte auch sagen: Tugend -, die eben zu diesem Humanvermögen gehöre, das in der Familie gebildet werde. Herr Kiefer, wo ist der Platz für die Familie in Ihrem Denken?
Kiefer: Die Familie ist sicherlich die existentielle Basis für eine funktionierende Gesellschaft und damit auch für ein Funktionieren des Wirtschaften in der Gesellschaft. Konkret bedeutet das: Im intakten sozialen Kontext wird dieses Selbstbewusstsein entwickelt, das Verantwortlichkeit, Distanz zu sich selbst und Tatkraft ermöglicht. Familie muss aber auch - ich sage mal - so was wie die Grundlage für die Bildung schaffen, die wir in unserer Gesellschaft und dann auch in unseren Unternehmen brauchen, weil: In Deutschland bleibt letztendlich als einzige Ressource, die uns langfristig einen vorderen Platz in der Wirtschaft sichern kann, Bildung übrig, und hier wird die Basis mit hundertprozentiger Sicherheit in der Familie gelegt.
Liminski: Muss die Wirtschaft dann nicht auch rücksichtslos familienfreundlich sein?
Kiefer: Sie sollte damit anfangen, rücksichtslos familienfreundlich zu sein, weil: Wenn wir uns die Entwicklung anschauen, so werden wir - obwohl wir heute sicherlich einen Überschuss an Arbeitskräften haben - in zehn oder 15 Jahren einen Mangel an Arbeitskräften haben. Und auch zum heutigen Zeitpunkt sind die Potentiale, die in wirklich sehr, sehr gut ausgebildeten Frauen schlummern, noch überhaupt nicht in die Wirtschaft mit eingeflossen, das heißt hier muss die Wirtschaft sich etwas überlegen, wie sie hier neue Möglichkeiten schafft und die Familie besser ins Wirtschaftsleben integriert.
Liminski: Mitarbeiter-Dialog ist eines der zehn Gebote, die Sie zum Beispiel auf der Seite 79 sozusagen als 'Anleitung für die unternehmerische Gewissenserforschung’ angeben. Gibt es eine Rangordnung der Gebote? Was ist das höchste oder das wichtigste Gebot für einen Manager?
Kiefer: Nun, ich denke, man kann nicht wirklich von einer Rangordnung sprechen. Sicherlich wird jeder, der es liest, einige Vorlieben entwickeln. Das von mir bevorzugte Gebot ist mit sicherlich: Erfolg bedeutet die Folge meines Handelns. Das bedeutet sicherlich für jeden, der als Manager tätig ist oder ein Unternehmen selbst aufbaut, dass er durch konsequentes Handeln seinen eigenen Erfolg sichern kann, und ich denke, wenn man diese Maxime über die vielleicht anderen Maximen stellt, läuft man zumindest in die richtige Richtung.
Liminski: Ich höre öfters in Ihren Äußerungen immer das Wort rücksichtslos, konsequent. Die Folge: Wenn nun ein Manager feststellt, dass er einfach versagt hat in der Information, dass er sich nicht früh genug informiert hat, wäre es dann rücksichtslos genug, dass er selber zurücktritt, das Feld einem Anderen räumt oder - wie sehen Sie das?
Kiefer: Nun, ich denke, ein Manager wird nicht immer hundert Prozent richtig entscheiden. Wichtig ist zunächst einmal, dass er überhaupt entscheidet, wenn er genügend Informationen hat. Er wird auch nie hundert Prozent aller Informationen zusammenbringen können. Wahrscheinlich genügt es, wenn er achtzig Prozent der Informationen hat. Wenn er dann entscheidet, wird er in vielen Fällen richtig liegen. Liegt er einmal falsch, sollte er zumindest noch mal eine Chance haben, das zu korrigieren.
Das war Andreas Kiefer, der Autor des Buches: "Gesunde Rücksichtslosigkeit.
Mit Selbstkritik und harten Therapien zum Unternehmenserfolg. Erschienen ist das Opus im Metropolitan-Verlag in Berlin, es hat 192 Seiten und kostet 24 Euro 95.