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Mit Sensationsmache nichts am Hut

Das amerikanische Wochenmagazin "The Nation" gilt als eines der wenigen Blätter im Land, in dem konsequent und mit Genuss linksliberaler Journalismus gemacht wird. Obwohl schon lange eine Institution, hat "The Nation" dennoch in den letzten Jahren eine ungeahnte Blütezeit erlebt.

Von Gerti Schön |
    Die Büros von "The Nation" nahe des Union Square in Manhattan sehen aus wie jede andere Redaktion: Schreibtische, Telefone, vergrösserte Poster vergangener Titelblätter an den Wänden. Doch das Deckblatt der ersten Ausgabe vom 6. Juli 1865, wenige Tage nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkrieges, ist ungewöhnlich. Der erste Satz der ersten Ausgabe der Nation lautete: "Es gab in dieser Woche kein einziges aufregendes Ereignis". Das Magazin wollte damit damals und will auch noch heute zum Ausdruck bringen, dass es mit Sensationsmache nichts zu tun haben will. Viel wichtiger sind den Machern Themen wie Anti-Militarismus, Bürgerrechte und ein offener Diskurs, sagt Chefredakteurin Katarina vanden Heuvel:

    "The Nation genießt ein hohes Maß an Integrität. Dies ist auch der Grund, warum es uns wirtschaftlich gut geht. Nach dem 11. September fingen viele Amerikaner an nach einer Alternative zu den Mainstream Medien zu suchen und wir haben von der Stimmung profitiert. Es gibt in Amerika mehr als nur eune Medienlandschaft, es gibt fünf oder sechs. Man kann vor dem Fernseher sitzen und sich fragen warum so viel Zeit für die Glatze von Britney Spears verschwendet wird, aber man findet auch hochklassige Debatten über Politik. Eine davon findet bei uns statt, etwa darüber, dass unsere Regierung etwas Orwell´sches an sich hat. "

    Tatsächlich hat sich die Auflage der Nation nach 2001 mehr als verdoppelt und liegt jetzt bei knapp 200.000. Anders als die meisten US-Magazine, wo etwa die Hälfte der Einnahmen durch Werbung hereinkommt, sind es bei The Nation nur 10 Prozent - zu häufig werden bestehende Anzeigenkunden durch die kritische Berichterstattung über sie schnell wieder abgeschreckt. Doch mit dem Erfolg beim Publikum suchte das Magazin auch nach neuen Wegen mehr Leser abzusprechen, sagt vanden Heuvel.

    "Wie viele andere Medien auch haben wir eine Webseite, eine Radiosendung, eine Buchreihe, wir organisieren Veranstaltungen und sogar eine jährliche Kreuzfahrt. Obwohl wir ein anti-imperialistisches Magazin sind, haben wir hier selbst ein kleines Imperium aufgebaut. Aber wir legen Wert darauf, unsere Unabhängigkeit zu betonen, wir sind mit Sicherheit nicht Bestandteil eines multinationalen Medienkonglommerats. Auf dieser Weise bewahren wir uns eine gewisse Aufrichtigkeit, und das ist eine Rarität heutzutage, Amerika ist da keine Ausnahme."

    Vor Katrina vanden Heuvel war Victor Navasky der Chefredakteur der Nation. Er wird in der Reaktion auch "die Legende" genannt, hat er den Kurs des Magazins doch fast 25 Jahre lang bestimmt. Er kam 1978, als die Redaktion aus einem chaotischen Team von Feministinnen, Kommunisten, Anarchisten und Bürgerrechtsaktivisten bestand. Damals wie heute ist es schwer, eine solche ungewöhnliche Gruppe Intellektueller zu führen, sagt Navasky.

    "Ein Weg sie zusammen zu halten, ist sie auseinander zu halten. Das war so bis vor ungefähr zehn Jahren als wir anfingen eine jährliche Kreuzfahrt zu organisieren, um Spenden einzutreiben, und die Leute sagten, du bist verrückt, die werden sich gegenseitig umbringen. Unsere Kolumnisten pflegen sich nämlich gegenseitig zu attackieren, da gibt es zum Beispiel die Menschenrechts-Interventionisten, die sagten, wir müssen in Bosnien eingreifen, und die Pazifisten, die sagen, wir müssen nirgendwo eingreifen. Aber auf der Kreuzfahrt haben sie sich alle ineinander verliebt, das hielt zumindest ein paar Monate lang. Aber ich denke das ist überall so, vor allem bei Publikationen, wo die Autoren nicht verdienen was ihnen zusteht, dann rücken Dinge wie Status und Ideologie in den Vordergrund."

    Obwohl Navasky "The Nation" erst vor vier Jahren, nach 140 Jahren mieser Bilanzen, endlich aus den roten Zahlen holte, gilt sie keineswegs als wohlhabende Publikation. Aus diesem Grund setzte Navasky vor einigen Jahren aus, um zumindest die Funktion eines Außenseiter-Magazins wie "The Nation" in einer sich radikal verändernden Medienlandschaft zu definieren. Hilfe bekam er dabei von Jürgen Habermas, nachdem er dessen Schriften zur Kaffehauskultur des 18. Jahrhunderts gelesen hatte.

    Ich bin zu ihm gefahren und habe ihm die grosse Preisfrage gestellt, nämlich was die Rolle dieser Magazine im Zeitalter des Fernsehens und des Internets seit kann. Und er sagte, das ist einfach, nämlich einen Standard zu setzen für vernünftigten Diskurs. Auf diese Weise hat Habermas die Rolle dieser Magazine mitbestimmt.