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Mit Sicherheit überwacht

Wer mit wem zu welcher Zeit telefoniert hat, das soll nach dem Wunsch der Bundesregierung komplett erfasst und sechs Monate lang gespeichert werden. Zu einer solchen Vorratsdatenspeicherung sind die Telefongesellschaften in England seit 2001 verpflichtet. Neben den Sicherheitsdiensten haben inzwischen zum Beispiel auch Steuer- und Gesundheitsämter Zugriff auf die Daten. Der britische Datenschutzbeauftragte resigniert: Das Königreich sei schon längst eine Überwachungsgesellschaft.

Von Martin Zagatta | 09.11.2007
    Der Telekommunikationsexperte Benedict Spencer führt der BBC vor, wie einfach es ist, die SIM-Karte eines Mobiltelefons auszuwerten. Innerhalb weniger Minuten lässt sich so feststellen, welcher Anschluss wann und von wo angerufen wurde. Routinearbeit im Auftrag der Polizei in Großbritannien, wo auch die so genannte Vorratsdatenspeicherung schon seit Jahren praktiziert wird. Die entsprechende EU-Richtlinie ist zwar neu. Seit 2001 aber waren britische Telefongesellschaften durch eine Selbstverpflichtung schon gezwungen, sämtliche Verbindungsdaten sechs Monate lang aufzubewahren und sie den Behörden zugänglich zu machen.

    "Sobald solche Informationen verfügbar sind, können sie missbraucht werden. Mobilfunkunternehmen stimmen wohl mit mir überein, dass diese Daten so schnell wie möglich vernichtet werden sollten", "

    kritisiert Simon Davies von der Datenschutz-Organisation "Privacy International".

    Ein größeres Echo haben diese Bedenken allerdings nicht gefunden. Das Oberhaus hat sich nur wenige Minuten mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt. Die umstrittene EU-Richtlinie wurde in Großbritannien ohne öffentliche Kontroverse schon im vergangenen Monat in Kraft gesetzt, teilweise zumindest. Denn während die Telefonanbieter alle Verbindungen nun ein Jahr lang speichern müssen, bleiben die britischen Internet-Provider vorerst verschont. Die technische Umsetzung soll erst noch geklärt werden.

    Im Telefonbereich muss die bisher schon übliche Speicherung nur verlängert werden. Zu den genauen Kosten der Überwachung gibt es dabei in London seit Jahren aber nur vage Angaben, wie etwa von Jack Wraight, dem Sprecher der britischen Mobilfunkbetreiber:

    " "Die Mobilfunkunternehmen müssen entsprechend ausgebildete Mitarbeiter abstellen um den zunehmenden Anfragen der Sicherheitsbehörden nachzukommen. Wir werden dafür von den Behörden auch bezahlt. Aber das deckt bei weitem nicht die Kosten, die den Unternehmen durch diese Aufgaben entstehen."

    Laut Angaben des zuständigen Regierungsbeauftragten hat es schon im vergangen Jahr knapp 440 000 Behördenanfragen zu Telefonverbindungen gegeben. Neben den Sicherheitsdiensten haben nun zum Beispiel auch Steuer- und Gesundheitsämter Zugriff auf die Daten. Ausnahmen, Schutzrechte für bestimmte Berufsgruppen sind in dem neuen Gesetz nicht angeführt. Missbrauch zu verhindern, ist Aufgabe des britischen Datenschutzbeauftragten, der unlängst aber fast resignierend festgestellt hat, dass das Königreich aus seinem Sicherheitsbedürfnis heraus längst zu einer Überwachungsgesellschaft geworden sei.

    Im Land von Sherlock Holmes sind mehr Videokameras installiert als in allen anderen EU-Staaten zusammen. Kritik daran hält sich in Grenzen, zumal man mit Hilfe solcher Aufzeichnungen zuletzt auch den Bombenattentätern von London und Glasgow auf die Spur gekommen ist. Mit inzwischen viereinhalb Millionen Einträgen verfügt Großbritannien auch über die größte DNA-Datenbank der Welt. Diskutiert wird sogar, ein nationales DNA-Archiv mit Gewebeproben aller Einwohner aufzubauen.

    Ian Johnston, Vereinigung der leitenden Polizeibeamten: "Eine DNA-Probe sollte schon bei der Geburt genommen werden, und jeder, der in dieses Land kommt oder hier lebt, sollte einbezogen werden. Und auch dass Großbritannien schon jetzt die größte DNA-Sammlung der Welt hat, ist meiner Meinung nach keine schlechte, sondern eine sehr gute Nachricht."

    Was Ian Johnston, der Chef der Vereinigung der leitenden Polizeibeamten, vorschlägt, wird von der Regierung noch geprüft. Zunächst will Premierminister Gordon Brown aber erst einmal eine Ausweis-, eine Meldepflicht einführen, die es ausgerechnet in Großbritannien noch immer nicht gibt. Denn trotz aller Überwachung und Vorratsdatenspeicherung: Wer auf der Insel ein Bankkonto eröffnen will, muss seinen Wohnort noch immer mit verschiedensten Dokumenten nachweisen - zur Not auch mit einer Telefonrechnung.