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Mit spitzer Feder zu den Geschehnissen der Zeit

Hermann Harry Schmitz, Gesellschaftskritiker und Verfasser von grotesken Erzählungen, ist ein Kind Düsseldorfs. Kein Wunder, dass sich seine Geschichten vor allem um die feine Gesellschaft der Rheinmetropole im 20. Jahrhundert drehen. Ein Porträt.

Von Sigrid Fischer | 08.08.2013
    "Über mich lacht man nur, wenn ich es will."

    Wird der zweitberühmteste "Harry" der Stadt Düsseldorf gerne zitiert, Hermann Harry Schmitz, großer "Harry" Heine Verehrer, und wie der ein kritischer Beobachter seiner Zeit. Stets elegant gekleidet hielt der "Dandy vom Rhein" seinen Zeitgenossen in Grotesken und Einaktern den Spiegel vor, und wurde mit seinen Conférencen zum Darling der feinen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Simplizissimus schrieb er, fast zeitgleich mit Kafka erschien bei Rowohlt auch sein erstes Buch. Vieles von ihm ist posthum erschienen. Denn er ist relativ jung gestorben, heute vor 100 Jahren. SF mit einem Porträt von HHS

    ""Wenn wir von Ihnen sonntags keine Geschichte haben, sind wir den ganzen Tag traurig.""

    Spricht Anfang der 1910er-Jahre Düsseldorfs Regierungspräsident Kruse zu Hermann Harry Schmitz. Dessen abstruse und groteske Geschichten erscheinen regelmäßig im Generalanzeiger. Geschichten, die genau das gesellschaftliche Milieu, dem Regierungspräsidenten angehören, mit Spott belegen.

    Da wird die reichste Dame Banausingens von der Feuerwehr in Flammen gesetzt, weil sie anders nicht aus dem neuen, zu Angeberzwecken gekauften Hosenrock kommt. Da fliegen Organe und Eingeweide einem Vater aus der geplatzten Brust, die vor Stolz zu geschwellt war ob der Uniform des Sohnes. Ein anderer verzweifelt am deutschen Ver-Ordnungswahn, der sich auch damals schon im Tarifsystem der Bahn manifestiert. Das Ende vom Lied:
    "Man bringt den Vater in die Irrenanstalt.
    Der Vater wird von den Wärtern totgeprügelt.
    Der Vater kommt in den Himmel.
    Die Strecke nach dem Himmel ist über 150 Kilometer.
    Der Vater braucht hierzu keinen roten Längsstrich und keinen bunten Streifen und keine Sammelkarte.
    Der Vater frohlockt über diese Vereinfachung"

    Dr. Michael Matzigkeit:
    "Er hat viele Ideen, hat eine überschäumende Fantasie. Er hat einen unglaublichen Feinblick für die Geschehnisse und Entwicklungen seiner Zeit."

    Dr. Michael Matzigkeit, Leiter der Sammlung des Düsseldorfer Theatermuseums und nahezu der einzige Hermann-Harry-Schmitzfachmann weit und breit.

    "Er verknüpft es mit dieser grotesken Form, die ist in Dland völlig vernachlässigt. Es gibt Satiren, aber nicht das Schwarze, diese Groteske, wie man sie in England selbstverständlich hat."

    Militarismus, Fortschrittsgläubigkeit, Disziplin, Eitelkeit – auf alles, was die Kleinbürgerseele der Kaiserzeit bewegt, richtet sich sein Spott. HHS stammt selbst aus einer angesehenen Düsseldorfer Familie: der Vater Fabrikdirektor, der Sohn muss – wenn schon nicht zum Militär - wenigstens die Kaufmannslaufbahn einschlagen. Aber er schert aus, sucht sich Fluchtwege in die Literatur und in die eigene Fantasie, er knüpft Kontakte zu D'dorfer Künstlerkreisen, veröffentlicht 1911 – kurz vor Franz Kafka, seine erste Textsammlung beim Rowohltverlag.

    ""Ich werde über der Titelsuche noch irrsinnig. Das wäre zwar eine feine Reklame für Sie, aber ich will doch erst meine 600 Mark verprassen.""Der Säugling und andere Tragikkomödien" steht schließlich auf dem Einband. Das Buch wird ein Erfolg, HHS kündigt seinen Tagjob und wird freier Künstler, in erster Linie Vortragskünstler. Das Schreiben ist für ihn Schwerstarbeit. Was er wiederum in einer seiner Geschichten ironisiert: Da erschießt sich der Autor. Mit einer Browning. Letzter Satz des Albtraums:

    ""Hinderlich wie überall ist der eigene Todesfall. So blieb mein Beitrag ungeschrieben.""
    Lunge, Blinddarm, Gürtelrose, Depressionen - gesundheitlich labil muss HHS sich ständig behandeln lassen. Andere bringt er zum Lachen, er selbst ist ein schwermütiger Mensch. Kein Foto, auf dem er ansatzweise lächelt. Auch diese Seite blitzt in seinem Werk durch. In einem Frühlingsgedicht z.B. schreibt er

    "Immer stärker wird das Raunen
    und zum Jauchzen wächst der Ruf
    Frühling, Frühling! –
    Kehre traurig diesem Feste Pans den Rücken
    und verkrieche mich im Dunkel schwarzer Tannen.
    "

    Sein dauerndes Kranksein zermürbt ihn. 33-jährig, am 8. August 1913 nimmt HHS sich das Leben. Mit einer Browning. 100 Jahre später ist er zwar nicht vergessen, aber in einschlägigen Literaturlexika sucht man ihn vergeblich. Michael Matzigkeit:

    ""Er hat zu kurz gelebt, hatte keine Fangemeinde, die ihn wirklich vermarktet hat, trotzdem ist er ein Longseller, es gibt mit Sicherheit über 200000 Exemplare mit Schmitztexten im Laufe der letzten 100 Jahre, das finde ich bemerkenswert."

    Seine Heimatstadt pflegt das Andenken an ihren Sohn allerdings eher wenig.

    Matzigkeit:
    "Die Stadt Düsseldorf hat zu HHS ein Nichtverhältnis, kann man sagen."
    Den Kommentar darauf hat er zu Lebzeiten gewissermaßen vorweggenommen. In der Replik auf die fiktive Grabrede eines Freundes an ihn schrieb er 1 Jahr vor seinem Tod als Leiche aus der Gruft:

    ""Ich war mit einem schönen Hass und einem ungöttlichen Fluch wenig sanft entschlafen, gegen die ganze Sippe und all das Ungeziefer auf der Erde. […] Ich verwese jetzt guten und frohen Sinnes, ich schreibe diesen Brief auf ein mühevoll abgebrochenes Stück Sargdeckel mit dem linken Schlüsselbein. Meine Füllfeder hat man mir nicht mitgegeben. (...)""