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Mit Sprachwitz in die Bestsellerliste

Markus Gabriel ist der jüngste Philosophie-Professor Deutschlands. Mit seinem Buch "Warum es die Welt nicht gibt" ist ihm der Sprung in die Bestsellerliste gelungen. Ein Titel, der bewusst provozieren soll und fragt: Was ist eigentlich die Welt?

Von Ingeborg Breuer |
    "Denker, es ist aber so, dass die ganze Szene zu kleinmütig geworden ist. Also ich verbringe gern und viel Zeit in Amerika und dann stell ich fest, der Unterschied zwischen der Philosophie, die in Amerika betrieben wird und unserer ist, dass die Amerikaner Behauptungen aufstellen, die jeder verstehen kann, das nennt man Klarheit. Und davon haben wir zu wenig: Die Leute behaupten nichts, obwohl sie's könnten. Ich würde sagen, die deutsche Philosophie sollte mehr Mut zur Wahrheit haben."

    Markus Gabriel hat Mut zu klaren Behauptungen. Und mit denen schaffte es der erst 33-jährige Professor für Erkenntnistheorie in Bonn auf die Bestsellerlisten des deutschen Büchermarktes und findet sowohl im Feuilleton als auch in philosophischen Fachkreisen Beachtung. Das liegt durchaus auch am Titel seines Buchs. "Warum es die Welt nicht gibt" klingt natürlich griffiger als zum Beispiel "Sinnfelder und ontologische Provinzen", wovon sein Buch ja durchaus handelt. Aber der Titel drückt natürlich auch das Aufsehenerregende seines Buches aus, so Markus Gabriel, der übrigens selbst von seinem Erfolg überrascht ist.

    "Das wirklich Neue ist in dem Titel "Warum es die Welt nicht gibt, und das Neue an dem Argument in dem Buch ist die These, dass, dass es die Welt nicht gibt, überhaupt nicht dazu führt, dass es gar nichts gibt. Das ist ein Standardfehlschluss, der in der Philosophiegeschichte eingeführt wurde von den sogenannten Vorsokratikern. Also, wenn es das große Ganze nicht gibt, dann gibt es überhaupt nichts. Also muss es das große Ganze geben. Und seitdem hat man sich mit dem großen Ganzen befasst, das hieß Metaphysik. "

    Dieses große Ganze, die allgemein verbindliche Wahrheit darüber, was die Welt im Innersten zusammenhält, gibt es also nicht. Denn um "alles" zu erfassen, müsste man ja sozusagen mit einem "Blick von nirgendwo", von außen auf die Welt schauen. Aber zugleich müsste dieser Blick sich selbst erfassen, weil er sonst ja nicht "alles" erfasst hätte. Ein paradoxes Unterfangen. Was ebenso, meint Gabriel, für die Versuche der modernen Physik gilt mit einer "Weltformel" - der sogenannten "Theorie von allem" - sämtliche physikalischen Phänomene miteinander zu verknüpfen.

    "Aus prinzipiellen Überlegungen ist das unmöglich. Man kann sich das auch bildlich vorstellen. Nehmen wir mal an, die Welt wäre ein Behälter, wo alles drin ist. Dieser Behälter kommt aber nicht in sich selbst vor. Also ein Eimer enthält Wasser, aber keinen Eimer. Der Eimer kann sich nicht selbst enthalten. Und das gilt auch für die Welt. Also, wenn es sie gäbe, dann würde sie im Nichts schweben und damit nicht existieren."

    Das "Ende der großen Erzählungen"- also der großen Welterklärungsmodelle hatte allerdings bereits die sogenannte "Postmoderne" verkündet. Mit dem Ergebnis, dass unsere ganze Wirklichkeit eine - sei es sprachliche, sei es kulturelle oder ideologische "Konstruktion" darstelle. Die Wahrheit jeder Erkenntnis und jeder Norm könne "dekonstruiert" und in ihrer Beliebigkeit entlarvt werden, so die postmoderne These. Doch mittlerweile gibt es eine philosophische Absetzbewegung gegen diesen Relativismus.

    "Die Philosophie hat dem abgeschworen, um 2006 ist eine Absage an die Postmoderne erteilt worden in zwei Büchern, eines von, Paul Boghossian von der NY University und das andere von Quentin Meillassoux. Beide haben Bücher geschrieben, in denen sie damit aufgeräumt haben. Und dafür beginnt jetzt langsam ein allgemeines Bewusstsein sich zu entwickeln, was die Schwäche war im Dekonstruktivismus und der Postmoderne."

    Gegen die in verschiedensten Spielarten vertretene philosophische These, dass die Wirklichkeit durch den Menschen konstruiert und deshalb immer nur durch eine menschliche Brille betrachtet werden könne, vertritt Markus Gabriel einen neuen Realismus. Die Wirklichkeit könne durchaus sachhaltig beschreiben werden. Denn auch, wenn es die Welt nicht gebe, gebe es außer dieser einen Welt – alles. Es gebe viele kleine Welten, die allerdings nebeneinander existieren und nicht zu der einen großen Welt gehören.

    "Meine Beispiele umschließen auch so was wie die Welt des Bundeskanzleramts. Also wer der Chef ist, wissen wir, die Regeln der Bundeskanzleramtswelt. Die überschneidet sich mit der Fliegenwelt, nehmen wir an, da fliegen Fliegen durchs Bundeskanzleramt und jetzt überschneiden sich diese Welten. Eine andere Welt wäre zum Beispiel die einer unbeobachteten Wiese im Schwarzwald oder die eines explodierenden Vulkans in einer Galaxie, die wir nie beobachten können."

    Alle Gegenstände und Tatsachen erscheinen nur in Sinnfeldern. Das heißt: Für die Naturwissenschaft besteht ein Tisch aus Materieteilchen. Für den Philosophen ist er der Arbeitsplatz. Und für eine Familie möglicherweise ein Ort der Geselligkeit. Aber er ist eben außerdem – einfach ein Tisch. Und auch, so ein Beispiel des Bonner Philosophen, wenn der Vesuv von Sorrent anders aussieht als von Neapel, er ist eben auch der Vulkan, der sich an eine Stelle auf der Welt befindet, die zur Zeit Italien heißt. Immanuel Kant hätte darauf gesagt, dass aber der Tisch oder der Vesuv an sich - also nicht durch die Brille einer menschlichen Perspektive gesehen - für uns unerkennbar ist.

    "Da begeht Kant einen Fehlschluss. Kant hat immer eine Wertung mitgenommen aus der frühen Neuzeit, die sagt, an sich heißt immer, wenn niemand dabei ist. "Die Welt ohne Zuschauer" nenne ich es in dem Buch. Aber warum sollte denn eine unbeobachtete Tatsachenstruktur realer sein als eine beobachtete, das sehe ich gar nicht ein?! Und deshalb sage ich, stopp, die Beobachtungsvorgänge sind genauso real wie das was sie beobachten und deswegen brauchen wir eine Theorie, die nicht mehr von vornherein die unbeobachteten Dinge privilegiert."

    Und im Übrigen: Wenn es in London regnet, dann regnet es in London! Und nicht nur in unserer Vorstellung, weil zum Beispiel, wie Philosophen gern konstruieren, ein böser Dämon oder ein Computerprogramm uns ständig halluzinieren lassen, dass es in London regnet. Die Philosophie, meint Gabriel, bastele sich selbst die unwahrscheinlichsten Hypothesen zusammen, um das Sichere fraglich werden zu lassen.

    "Ich glaube, so urteilen wir gar nicht. Sondern dass ist eine philosophische Fiktion, die wir basteln, um uns einzureden, dass noch die sichersten Wahrheiten unsicher sind. Es gibt in der Philosophie eine Tendenz oder gab - der neue Realismus möchte darüber hinaus - dass die Unsicherheit der Modus des Philosophierens ist. Und das halte ich für falsch."

    Einerseits will Markus Gabriel den philosophischen Zweiflern also die Wirklichkeit wieder geben. Andererseits aber verabschiedet er sich von der Idee, diese Wirklichkeit je absolut zu erfassen. Und das bedeutet für ihn auch: den Abschied von der Vorstellung, so wörtlich, "dass es einen Regenten gibt, der das Universum und das menschliche Leben steuert". Es bedeutet: den Abschied von Gott, verstanden als den Garanten unseres großen Lebenssinns.

    "Ich glaube, das müssen wir einfach aufgeben, genau genommen, wenn man Gott an dieser Stelle einführt, um das große Ganze zu gewinnen, verliert man sich in einer Illusion. Gott im Sinne eines Garanten der Einheit des großen Ganzen existiert notwendigerweise nicht: der Gott der Philosophen, der Gott von Platon, von Aristoteles, Plotin, dieser Gott existiert nicht."

    Natürlich ist das für Markus Gabriel kein Grund zur Depression. Es komme nämlich zu einer unendlichen Sinnexplosion, die sich bis in den letzten Winkel des Universums und auf die flüchtigsten Ereignisse im Mikrokosmos erstreckt. Und dies öffne den Sinn für das Unendliche. So folgt aus der strengen erkenntnistheoretischen Reflexion schließlich eine Art Lebensweisheit. Erkenntnistheorie, so der Philosoph, ist eben immer auch ein Stück weit Therapie:

    "Ich vergleiche das immer damit, dass die Erkenntnistheorie funktioniert wie ein Psychotherapeut: da kommt jemand und sagt, ich hab ein Lebensproblem, soll ich mich trennen? Und dann leiden Menschen daran, dass sie verworren sind, dass verschiedene Wünsche und Strebungen haben, das geht so durcheinander. Und der Therapeut muss dann die Fäden sortieren und am Ende sagt man, jetzt seh ich wieder klar. Und das macht die Erkenntnistheorie mit unseren grundlegenden Begriffen, wie etwa Wahrheit, Erkenntnis oder Welt, Sein, Begriffe die wir dauernd verwenden. Da gibt’s keinen konkreten Ratschlag, verkaufe dein Haus oder kaufe keinen BMW. Das ist eine Hilfe dazu klarer zu sehen."

    Am Ende steht dann eine übrigens durchaus postmodern klingende Ethik. Denn schon bei Nietzsche – dem Vordenker aller Postmodernen – führte ja die Erkenntnis, dass Gott tot ist, zur "fröhlichen Wissenschaft". Und für Markus Gabriel ist die angemessene Haltung gegenüber einer unendlichen Produktion immer neuer Sinnfelder ein "befreiendes Lächeln" und "gelassene Heiterkeit".

    "Gebt euch zufrieden! Das ist die Message. Gebt euch zufrieden, wenn ihr glücklich seid. Jeder Therapeut und Buddha würden ja sagen, dass es wichtig ist, im Augenblick zu leben. Es gibt nämlich nur den Augenblick. Lebe im Augenblick heißt, lebe in der Wahrheit und da bin ich auf der Seite des Buddha und die Therapeuten, die einem genau das ja sagen. Wenn es gerade gut geht, dann sieh das nicht im Licht des Umstands, dass es einmal nicht gut war oder sein wird. Wenn es gut geht, dann akzeptiere das auch."